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Bei der Besetzung der Alice-Salomon-Hochschule am 6. Januar 2025. Man sieht Banner wie „Friede der Welt - Tod dem Imperialismus“, „ACAB“ (kurz für: „All Cops Are Bastards“, „Free Palestine“ und die antisemitische Parole „No Place for Zionists“.

© dpa/Annette Riedl

Nach umstrittener Duldung von Protestaktion: Leitung der Berliner Alice-Salomon-Hochschule rechtfertigt sich

Die Alice-Salomon-Hochschule steht nach der Duldung einer pro-palästinensischen Aktion unter Druck. Präsidentin Völter verteidigte jetzt ihr Handeln. An der ASH überzeugt das nicht alle.

Stand:

Nach der umstrittenen Duldung einer mehrtägigen Aktion von pro-palästinensischen Aktivisten an der Alice-Salomon-Hochschule (ASH) stehen Bettina Völter und ihr Präsidium in der Kritik. Zwölf Anzeigen wegen antisemitischer Vorfälle während des Protests wurden gestellt, die Senatsverwaltung prüft eine Verletzung der Dienstpflichten und fordert lückenlose Aufarbeitung. Das Präsidium erklärte jetzt vor dem Akademischen Senat (AS) und gegenüber der Politik sein Handeln.

In einem zehnseitigen Schreiben an Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) und die Mitglieder des Wissenschaftsausschusses des Abgeordnetenhauses distanziert sich die Präsidentin nachdrücklich von „jeglichen Formen des Antisemitismus“. Man bedauere zutiefst, dass es in der Protestwoche vermehrt „mündlich und schriftlich“ zu solchen Äußerungen kam. Völter rechtfertigt zudem, warum sie ins Gespräch mit den Aktivisten ging und ihnen das Audimax mehrere Tage zur Verfügung stellte. Diese traten vermummt auf und verschreckten laut Berichten Mitarbeiter.

Völter argumentiert mit „Bildungsprozess“

Zwischen dem Präsidium und „Akteur:innen der Hochschule“, die vor Ort waren oder sich über den Fortgang informierten, herrscht laut Völters Brief Konsens darüber, dass „mit der Duldung der Protestwoche die Erreichbarkeit der Aktivist:innen für gemeinsame Bildungsprozesse erhöht wurde“. Antisemitismus könne nur bekämpft werden, wenn Menschen dafür erreichbar seien und im Gegenzug mit ihren Anliegen gehört würden. Eine Räumung wäre „das Aus“ für dieses Ziel gewesen.

Die Präsidentin verspricht auch, mit externer Expertise ein „Bildungs- und Verständigungskonzept“ zur Thematik zu erarbeiten. Und sie weist den von der Deutschen Journalisten Union erhobenen Vorwurf, ASH-Angehörige „hätten Material verschwinden lassen“, deutlich zurück. Das sei falsch und „üble Nachrede“.

Zum internen Team, das das Präsidium während der Woche beriet, zählten laut der ASH „Kolleg:innen mit eigenen Antisemitismus- und Rassismuserfahrungen“ sowie fachlich ausgewiesenes Personal aus der Bildungsarbeit.

Kritik und Zuspruch im Hochschulgremium

Weniger einstimmig, als die Hochschule im Schreiben dargestellt wird, war das Bild am Dienstagmittag im Akademischen Senat. In dem Gremium berichteten Völter und ihre Vizepräsidentin Gesine Bär vom Stand der Aufarbeitung, erklärten erneut ihre Deeskalationsstrategie. Dafür gab es Zuspruch, aber auch Unverständnis. Schon während des Protests hatte sich Kanzlerin Jana Einsporn aus Sorge an den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) gewandt und das Handeln des Präsidiums infrage gestellt.

Einsporn kritisierte im AS, die Leitung habe abgelehnt, in der Protestwoche die Personalien beim Zugang zur Hochschule aufzunehmen, obwohl die Polizei dies „gefordert“ habe. „Woher wusstet ihr, dass da Studierende kamen und nicht Fremde?“ Dass die Vermummten in den dritten Stock kamen, wo die Verwaltungsbüros sind, habe Ängste erzeugt. Auch Uwe Bettig, Dekan des Fachbereiches Gesundheit und ehemaliger Rektor, zeigte sich irritiert über die Akzeptanz der vermummter Personen: „Mit denen will ich nicht reden, das ist Ausdruck von Gewalt.“

Mehrfach klang an, die Aktivisten hätten die vom Präsidium so betonten „roten Linien“ überschritten, ohne dass es dafür Sanktionen gab. Lutz Schumacher, als Professor AS-Mitglied, wandte mit Blick auf die nachgiebige Strategie der Leitung und die antisemitischen Vorfälle ein, er stelle sich „einen pädagogischen Prozess nicht als Raum mit solchen Plakaten vor, auch nicht auf einer so öffentlichen Bühne ausgetragen“. Viele Hochschulmitglieder seien davon ausgeschlossen gewesen.

Ich sage nicht: Wir haben alles richtig gemacht.

Bettina Völter, Präsidentin der ASH

„Ich verstehe nicht, was eure Motive gewesen sind, das zuzulassen?“, sagte er ans Präsidium gewandt. Er gab zu bedenken, die Nachgiebigkeit der ASH könne als Einladung verstanden werden, auch von anderen „vielleicht rechtsradikalen“ Gruppen.

Präsidium deutet Versäumnisse an

Bettina Völter bekräftigte in der Diskussion, man müsse mit Menschen, die auf dem Weg in die Radikalisierung sind, reden, „an ihren eigenen Biografien anknüpfen“ und sie „in Widersprüche verstricken“. Zur Begegnung mit den Aktivisten sagte sie, in Gesprächen mit der Leitung hätten diese die Vermummung abgenommen. „Ich habe sie sprechen lassen, habe wahrgenommen, dass auch Palästinenser:innen dabei sind.“ Auf deren Vorwurf, die ASH würde nicht nach der Menschenwürde handeln, habe sie erwidert, sie müssten sich auch selbst daran messen lassen.

Vizepräsidentin Gesine Bär sagte, man habe „einen Polizeieinsatz um jeden Preis verhindern“ wollen und schob nach: „Ob das die richtige Strategie war?“ Auch Völter gab sich punktuell selbstkritisch: „Ich sage nicht: Wir haben alles richtig gemacht.“ Bär gab zu, „die roten Linien waren am Anfang sehr allgemein“, man habe dann „nachgeschärft“.

Die Präsidentin berichtete noch von Gesprächen mit Personen, die den Vorgang scharf kritisiert hatten oder selbst von Antisemitismus betroffen sind, sowie mit dem Einsatzleiter der Polizei. Ihre umstrittene Aussage, man nehme die Polizeibeamten am Hinterausgang der ASH als „bedrohlich“ wahr, ordnete sie als Missverständnis ein und sagte, sie habe „vielleicht zu schnell, ad hoc, gehandelt“. Die Beamten hätten dort „aus gutem Grund gestanden“, sie habe dazu mit dem Einsatzleiter der Polizei bereits gesprochen.

Weitere Gespräche habe sie mit Berlins Antisemitismusbeauftragten Samuel Salzborn geführt, sowie mit dem in England lebenden Nachfahren von Alice Salomon, deren Büste die Aktivisten mit einer Kufiya verhüllt hatte. Gideon Botsch, der Leiter der Forschungsstelle Antisemitismus und Rechtsextremismus in Potsdam, habe ihr nahegebracht, wie es manchen jüdischen Studierenden und Mitgliedern der Hochschule mit den Bildern der Proteste gehen mag. Kontakt aufgenommen habe sie auch mit Hanna Veiler, Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion, und Walter Rosenthal, Chef der Hochschulrektorenkonferenz.

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