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Eine Wespe im Anflug

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Notfall Wespengift: Wenn der Wespenstich zur Lebensgefahr wird

In nur wenigen Minuten kann eine Wespengiftallergie eskalieren. Wie man eine echte Notfallsituation erkennt und wie man handeln sollte, erklärt die Expertin Margitta Worm.

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Ein scharfer Schmerz und dann der Aufschrei: Eine Wespe hat zugestochen. Und jetzt? Wer nicht in Panik gerät, wird die Stelle direkt kühlen unter kaltem, fließendem Wasser, mit Coolpacks oder Eiswürfeln. Für ganze 15 bis 30 Minuten, um die Ausbreitung des Gifts zu bremsen. Doch manchmal reicht das nicht.

Was, wenn die Schwellung nicht kleiner wird, sondern der Kreislauf plötzlich verrücktspielt? Wenn sich Quaddeln bilden, die Haut überall juckt, der Hals zuschwillt und das Atmen schwerfällt? Eine Wespengiftallergie, die in wenigen Minuten eskaliert. Wie man eine echte Notfallsituation erkennt und warum man eine Wespenstichallergie auch im Alter entwickeln kann, erklärt die Allergologin Margitta Worms.

Frau Worms, man sitzt im Park und wird nach allen Abwehrversuchen doch von einer Wespe gestochen. Woran erkennt man, ob der Körper normal reagiert oder es ein allergischer Notfall ist?
Bei einem allergischen Notfall bleiben die Beschwerden nicht auf die Einstichstelle beschränkt. Stattdessen treten plötzlich Symptome am ganzen Körper auf, zum Beispiel juckende Quaddeln auf der Haut, Atemnot oder Kreislaufprobleme wie Schwindel oder gar Bewusstlosigkeit. Das deutet auf eine systemische allergische Reaktion hin, bei der der gesamte Organismus betroffen ist.

Dauert es lange, bis diese allergische Reaktion wirklich gefährlich wird?
Eine anaphylaktische Reaktion, wie sie bei schweren Insektengiftallergien vorkommt, kann sich innerhalb weniger Minuten nach dem Stich entwickeln. In einem solchen Fall sollte sofort der Notruf 112 gewählt werden und am Telefon auf einen „allergischer Notfall nach Insektenstich“ hingewiesen werden. Die geben auch Verhaltenshinweise am Telefon und erklären, wenn man Notfall-Medikamente da hat, wie diese einzunehmen sind. Spätreaktionen, die erst zwei Stunden oder später einsetzen, gibt es kaum.

Eine allergische Reaktion auf Wespengift ist eine überschießende Immunantwort auf eigentlich harmlose Substanzen. Was passiert dabei im Körper?
Bei einer Wespengiftallergie handelt es sich um eine sogenannte IgE-vermittelte Immunreaktion. Das bedeutet: Der Körper bildet spezielle Antikörper vom Typ IgE, die sich an bestimmte Immunzellen – die Mastzellen – binden. Kommt es dann erneut zu einem Kontakt mit dem Allergen, also dem Insektengift, wird eine heftige Reaktion ausgelöst: Die Mastzellen schütten binnen Sekunden Botenstoffe wie Histamin aus, die etwa Quaddeln auf der Haut, Atemnot oder einen plötzlichen Blutdruckabfall mit Schwindelgefühl verursachen.

Gibt es etwas, das man im Notfall nehmen sollte?
In so einer Situation ist Adrenalin das wichtigste Medikament. Es wird über einen sogenannten Autoinjektor verabreicht – ein handliches Gerät, das Betroffene oder Angehörige selbst anwenden können. Der Injektor wird meist seitlich in den Oberschenkel gedrückt, und zwar notfalls auch durch die Kleidung hindurch. Ergänzend kann ein Antihistaminikum eingenommen werden, um Hautreaktionen wie Quaddeln oder Juckreiz zu lindern. Zusätzlich empfiehlt sich eine Einmaldosis Kortison. Sie wirkt zwar langsamer, kann aber mögliche Spätreaktionen abschwächen.

Bekommt man den Injektor verschrieben?
Ja, wer nach einem Stich bereits eine allergische Reaktion mit Atemnot, Hautausschlag oder Kreislaufproblemen erlebt hat, sollte dauerhaft ein Notfallset mit Adrenalin-Autoinjektor verschrieben bekommen. Denn das Risiko für eine erneute schwere Reaktion ist erhöht. Bei sehr ausgeprägten, aber auf die Einstichstelle begrenzten Schwellungen...

... also ohne Anzeichen einer schweren allergischen Reaktion, die den ganzen Körper betrifft...
... reicht es dagegen oft aus, ein Antihistaminikum und ein Kortisonpräparat einzunehmen. Sie helfen auch schon, die Schwellung zu lindern und den Verlauf der Reaktion zu verkürzen.

Bleibt die Schwellung lokal, ist es kein Notfall.

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Kann man sich im Alltag, zum Beispiel beim Picknick im Park oder auf der Klassenfahrt, vor Wespen schützen?
Offene Lebensmittel, süße Getränke oder barfuß laufen im Gras: all das sind typische Situationen, in denen es schnell zu einem Insektenstich kommen kann. Wespen und Bienen lassen sich besonders von süßen oder eiweißreichen Speisen anziehen. Doch grundsätzlich kann man überall von Wespen oder Bienen gestochen werden, auch ganz ohne erkennbaren Auslöser.

Ob Klimawandel und Umweltfaktoren langfristig zu mehr allergischen Reaktionen führen, lässt sich derzeit bisher nicht sicher sagen. Hier lohnt sich ein genauer Blick in den kommenden Jahrzehnten.

Margitta Worm, Immunologin

Wie wird festgestellt, ob man eine Wespengiftallergie hat?
Entscheidend sind die Symptome nach einem Stich. Lokale Reaktionen – auch wenn sie stark ausfallen – sind weitverbreitet und betreffen bis zu 20 Prozent der Bevölkerung. In solchen Fällen ist in der Regel keine weiterführende Allergiediagnostik notwendig.

Und wenn man etwa Atemnot oder Kreislaufprobleme bekommt?
Dann sollten Betroffene einen Blut- und Hauttest durchführen lassen. Dabei wird untersucht, ob eine Sensibilisierung vorliegt, also eine übermäßige Reaktionsbereitschaft des Immunsystems auf das Insektengift. Wird eine solche nachgewiesen, kann eine spezifische Immuntherapie in Erwägung gezogen werden. Sie schützt in über 95 Prozent der Fälle zuverlässig vor erneuten schweren Reaktionen.

Die Zahl der Pollenallergikerinnen und -allergiker steigt. Beobachten Sie das auch unter Wespenallergikerinnen und -allergikern?
Insgesamt ist die Zahl der Insektengiftallergien über die vergangenen Jahrzehnte weitgehend stabil geblieben. Zwar gibt es einen leichten Anstieg, dieser schwankt jedoch stark von Jahr zu Jahr – je nach Wetterlage, Insektenaufkommen und Stichhäufigkeit. Ob Klimawandel und Umweltfaktoren langfristig zu mehr allergischen Reaktionen führen, lässt sich derzeit bisher nicht sicher sagen. Hier lohnt sich ein genauer Blick in den kommenden Jahrzehnten.

Wer hat eigentlich ein höheres Risiko, nach einem Wespenstich nicht mehr richtig Luft zu bekommen?
Zwei Gruppen gelten als besonders gefährdet für schwere allergische Reaktionen auf Insektenstiche: zum einen ältere Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, zum anderen Patientinnen und Patienten, bei denen genetisch bedingt zu viele Mastzellen im Körper vorhanden sind.

Also jene Immunzellen, die bei allergischen Reaktionen eine zentrale Rolle spielen. Kann man herausfinden, ob man zu viele Mastzellen hat?
Ja, das kann man. Ein wichtiger Risikomarker ist dabei der Tryptase-Wert im Blut: Ist er erhöht, deutet das auf eine erhöhte Mastzellaktivität und damit auf ein gesteigertes Risiko für eine schwere Anaphylaxie hin. Übrigens ist es so, dass Kinder deutlich seltener von Wespenstichallergien betroffen sind: Studien zeigen, dass bei ihnen schwere Verläufe selten sind und die Prognose insgesamt günstiger ausfällt als bei Erwachsenen.

Kann eigentlich jeder im Laufe des Lebens plötzlich eine Allergie gegen Wespengift entwickeln?
Ja, sie kann jederzeit im Leben plötzlich auftreten – selbst bei Menschen, die zuvor nie Probleme hatten. Die genetischen Ursachen für Insektengiftallergien sind bislang nur unzureichend erforscht. Interessanterweise haben Personen mit anderen allergischen Erkrankungen wie Heuschnupfen, Asthma oder Neurodermitis kein nachweislich erhöhtes Risiko, auch auf Wespen- oder Bienengift allergisch zu reagieren.

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