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Ein Porträt Sauerbruchs, das Max Liebermann malte.

© Elke Walford/Hamburger Kunsthalle/bpk

Sauerbruch-Ausstellung am Medizinhistorischen Museum: Halbgott in Grautönen

Der „ganze“ Sauerbruch: Eine Ausstellung an der Charité spürt einer zwiespältigen Mediziner-Persönlichkeit nach.

Dieser Tage hat der berühmte Chirurg Ferdinand Sauerbruch für Millionen Deutsche ein Gesicht – das von Ulrich Noethen. In Staffel 2 der „Charité“-Serie der ARD spielt der Schauspieler den wahrscheinlich bekanntesten deutschen Arzt des 20. Jahrhunderts. Den Mann, der den Nobelpreis für Medizin und Physiologie nie bekam, aber am häufigsten dafür vorgeschlagen wurde. Einen innovativen, extrem rührigen Operateur, aber auch einen Verantwortungsträger, der politisch sehr schwer einzuordnen ist.

Der echte und ganze Sauerbruch

Im Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité widmet sich nun eine Ausstellung dem „echten“ Sauerbruch. Es soll, wie Museumsdirektor Thomas Schnalke vor der Eröffnung betonte, zudem auch der „ganze Sauerbruch“ sein, über den die TV-Serie schon deshalb nicht Auskunft geben kann, weil sie nur in den Kriegsjahren 43 bis 45 spielt. Wen die Fernsehserie neugierig gemacht hat, der kommt hier auf seine Kosten. Denn die Ausstellung „Auf Messers Schneide. Der Chirurg Ferdinand Sauerbruch zwischen Medizin und Mythos“ bietet (noch bis zum 2. Februar 2020) in chronologischer Reihenfolge anhand von 285 Exponaten eine Sicht auf seine Herkunft, seinen beruflichen Werdegang, seine medizinischen Leistungen, seine Persönlichkeit, vor allem aber auf seine ambivalente politische Haltung in der NS-Zeit. Eine wichtige Quelle zu seinem Wirken in dieser Zeit – für die Drehbuchautorinnen der Serie wie für die Ausstellungsmacher um Kuratorin Judith Hahn – sind die ganz frisch auf deutsch erschienenen Aufzeichnungen des Elsässer Chirurgen Adolphe Jung, der seit 1940 zwangsweise an Sauerbruchs Klinik tätig war („Zwangsversetzt. Vom Elsass an die Berliner Charité. Die Aufzeichnungen des Chirurgen Adolphe Jung 1940-1945“, Schwalbe Verlag 2019.) Thomas Beddies und Susanne Michl vom Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin der Charité werden als Herausgeber das Buch am 7. Mai im Begleitprogramm zur Ausstellung vorstellen.

Eine multiple Persönlichkeit

„Es gibt mehrere Sauerbruchs“, resümiert Kuratorin Hahn. Da ist zunächst einmal der ehrgeizige und selbstbewusste junge Arzt, der in Breslau zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine (in der Ausstellung nachgebaute) Unterdruckkammer erfand, die erstmals Operationen im Brustraum ermöglichte. Der gleiche Mann behinderte aber auch den Fortschritt, indem er seine Methode energisch gegen die „Konkurrenz“, die Überdruckbeatmung der modernen Anästhesie, verteidigte. Als Chirurg half er vor allem Verwundeten des Ersten Weltkriegs mit dem „Sauerbrucharm“, ein Konstrukt, um mit dem verbliebenen Stumpf eine Handprothese bewegen zu können. In seiner Münchner Zeit operierte Sauerbruch den Kurt-Eisner-Attentäter Anton Graf von Arco auf Valley, half aber auch dem Schriftsteller und Revolutionär Ernst Toller. 1923 schickte er einen Assistenzarzt zu Adolf Hitler, der nach dem gescheiterten Putschversuch vom November dessen ausgekugelte Schulter behandeln sollte.
Ließ sich das noch mit einem ärztlichen Ethos begründen, das Hilfeleistung ohne Ansehen der Person erfordert, so zeigte der Chirurg, inzwischen Direktor der Chirurgischen Klinik der Charité, seit 1933 widersprüchliche Haltungen gegenüber dem neuen Regime. Mit einem Brief „An die Ärzteschaft der Welt“ und als einer der Hauptredner bei der Präsentation eines „Bekenntnisses der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat“ bezog der 1934 von Göring zum Staatsrat ernannte Mediziner Position für das neue Regime. 1937 ließ er sich mit dem erstmals verliehenen Nationalpreis für Kunst und Wissenschaft auszeichnen, einem nationalsozialistischen Gegenentwurf zum Nobelpreis. Andererseits bezog er gegen die „Neue Deutsche Heilkunde“ der Nazis klar Stellung.

Ein Antisemit war er nach Aussagen emigrierter Kollegen auf keinen Fall – dennoch protestierte er nicht gegen die Entlassung jüdischer Mitarbeiter der Charité. Er wurde beratender Chirurg der Wehrmacht und 1943 mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet, war aber nie Parteimitglied. Er behandelte Regimegegner, verschaffte Mitverschwörern des 20. Juli Gelegenheit zu konspirativen Treffen. Und er nahm als einer der wenigen prominenten Berliner im Jahr 1935 an der Beisetzung seines zeitweiligen Nachbarn Max Liebermann teil.

Autoritär, impulsiv, geltungsbedürftig

Eine ambivalente Persönlichkeit, eine zwiespältige Haltung. Sauerbruch war Gegner des T4-Euthanasie-Projekts, trug aber als Mitglied des Reichsforschungsrates Mitverantwortung dafür, dass Fördermittel für Forschungen an KZ-Häftlingen bewilligt wurden. „Er hat die Projekte wohl nicht im Detail gekannt. Er hat sich aber auch nicht darum gekümmert, sie kennenzulernen, und das kann man ihm zum Vorwurf machen“, kommentierte Karl Max Einhäupl beim Ausstellungsrundgang. Der Charité-Vorstandsvorsitzende begrüßt die Ausstellung, die nun ein knappes Jahr im Medizinhistorischen Museum zu sehen sein wird, auch als Teil der Auseinandersetzung mit den dunklen Anteilen der Charité-Geschichte. Ärzten und Studierenden könne sie einen weiteren Anstoß geben, sich die Frage zu stellen: Was hätten wir getan?
Doch hätte Ferdinand Sauerbruch sich als Teil eines solchen „Wir“ gesehen? Er galt als autoritär, impulsiv, auch als geltungsbedürftig und narzisstisch. „Im OP, der ganz auf seine Bedürfnisse zugeschnitten war, fielen scharfe Worte, es gab spontane Entlassungen von Mitarbeitern“, berichtete Schnalke. Und Kuratorin Hahn ergänzte: „Am Mythos des Halbgottes in Weiß hat er zu Lebzeiten mit gestrickt.“

Informationen zur Ausstellung: www.bmm-charite.de

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