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Im Mai 2024 besetzten pro-palästinensische Aktivisten das Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität Berlin. Eine Etage wurde verwüstet und mit antisemitischen und terrorverherrlichenden Botschaften beschmiert.

© dpa/Sipa USA/Presscov

Update

Umstrittene Antisemitismus-Resolution beschlossen: Unis fühlen sich bevormundet, Schulen zeigen sich offener

Der Bundestag hat am Mittwoch eine Antisemitismus-Resolution für den Bildungsbereich verabschiedet. Die Hochschulen äußerten sich im Vorfeld sehr kritisch. Der Lehrerverband begrüßt den Schritt hingegen.

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An den Hochschulen wurde sie viel diskutiert, im Bundestag fand sie hingegen fraktionsübergreifend Zustimmung: Am Mittwoch wurde die neue Resolution gegen Antisemitismus verabschiedet. Sie richtet sich an Wissenschafts- und Bildungseinrichtungen, um Judenhass und Boykottaufrufen zuvorzukommen. Der Antrag war von den Fraktionen der SPD, CDU/CSU, Grünen und FDP eingebracht worden. Auch die AfD stimmte zu, das BSW dagegen, die Linke enthielt sich.

Wissenschaftliche Fachverbände aus dem In- und Ausland, Online-Petitionen und Gutachten einflussreicher Rechtswissenschaftler hatten sich zuvor gegen die Resolution ausgesprochen, auch die Hochschulrektorenkonferenz warnte vor ihrer Verabschiedung.  Unter dem Titel „Antisemitismus und Israelfeindlichkeit an Schulen und Hochschulen entschlossen entgegentreten sowie den freien Diskursraum sichern“ werden darin Empfehlungen für den Bildungsbereich formuliert. Während unter vielen Wissenschaftlern Aufregung herrschte, äußerten sich Lehrervertreter im Vorfeld entspannter.

Zu den im Resolutionstext geforderten Maßnahmen gehören unter anderem die intensivere Befassung mit Antisemitismus und Judentum in der Lehrkräftebildung, eine systematischere Antisemitismus-Prävention in den Schulen, der Ausbau von Kooperationen israelischen Hochschulen und mehr Forschung zu Antisemitismus und jüdischer Gegenwart

Die Resolution enthält Forderungen, die auch bei besten Absichten als Einfallstor für Einschränkungen und Bevormundung etwa in der Forschungsförderung verstanden werden könnten.

Walter Rosenthal, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz

Außerdem spricht sich der Resolutionstext für verstärkte Sicherheitskonzepte in engem Austausch mit den Behörden aus – und fordert, „Aktivitäten von Gruppierungen, die israelbezogenen Antisemitismus verbreiten“, zu unterbinden. Unterstützer der Boykott-Kampagne BDS und „ähnlich gesinnte Bewegungen“ dürften „in deutschen Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen keinen Platz haben.“

Bereits an einer ersten, im November vom Bundestags beschlossenen Antisemitismus-Resolution („Nie wieder ist jetzt“) gab es heftige Kritik auch aus der Wissenschaft. In ihrem neuen, nun speziell auf Bildung und Wissenschaft gerichteten Aufschlag betonen die Fraktionen nun zugleich, Fördermittel des Bundes sollten weiter „ausschließlich nach dem Maßstab der wissenschaftlichen Exzellenz“ vergeben werden.

Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) begrüßt zwar die Ziele der neuen Resolution, warnte aber vor ihrer Verabschiedung. HRK-Präsident Walter Rosenthal sagte, die Resolution enthalte Forderungen, „die auch bei besten Absichten als Einfallstor für Einschränkungen und Bevormundung etwa in der Forschungsförderung verstanden werden könnten“.

Kritik aus den Hochschulen

Eine Gruppe von Rechtswissenschaftlern um den Max-Planck-Direktor Ralf Michaels kritisieren unter anderem das Verfahren, eine nicht bindende Resolution zu erlassen „und so die Notwendigkeit von Anhörungen und Ausschussbeteiligungen zu umgehen“, als „formal möglich, aber einer Demokratie unwürdig“.

Einige der Forderungen verstießen gegen die Hochschulautonomie, etwa die vorgesehene engere Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden, die ein „Klima der Einschüchterung sowohl für die Lehrenden als auch die Studierenden“ erzeuge. Es entstehe Unsicherheit in Hinblick auf die Vergabe von Fördermitteln und die geforderte Ausschließung von Personen von Universitäten sei nicht mit den Grundrechten der Meinungsfreiheit und der Wissenschaftsfreiheit vereinbar.

Die Resolution ist wichtig, weil sie die systematische Prävention in den Vordergrund stellt und zugleich klarstellt: Antisemitismus muss auch an Bildungseinrichtungen Konsequenzen haben.

 Stefan Liebig, Professor für Soziologie an der Freien Universität Berlin

Bereits im November hatten sich die einflussreiche British Society for Middle Easter Studies und der europäische Sozialanthropologen-Verband EASA „in tiefer Sorge um die akademische Freiheit in Deutschland“ an die Bundespolitik gewandt. Am Donnerstag (dem Tag, an dem die Resolution im Bundestag ursprünglich beschlossen werden sollte), tragen führende Wissenschaftler vor der Bundespressekonferenz ihre Argumente gegen die Resolution vor.

Präsident des Lehrerverbands ist dafür

Weniger groß scheint die Aufregung in den Schulen zu sein. „Das, was in der Resolution gefordert wird, ist selbstverständlich und sollte niemanden aufregen“, sagt der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Stefan Düll. Wenn der demokratische Bogen im Parlament ein Zeichen setzen und Solidarität mit Jüdinnen und Juden ausdrücken wolle, sei das angesichts der täglichen Anfeindungen nur zu begrüßen. „Aufregen sollte man sich vielmehr darüber, dass es so etwas braucht.“

Er wisse gar nicht, fügt Düll hinzu, warum an den Hochschulen viele Probleme in den Empfehlungen sähen. „Die Gesetze der Bundesrepublik gelten auch an den Hochschulen. Dazu gehört, dass antisemitische Äußerungen und Handlungen, Sachbeschädigung und körperliche Gewalt strafbar sind.“

Die Schulen nähmen ihren diesbezüglichen Erziehungsauftrag sehr ernst, und das bei wachsenden Herausforderungen: „Früher konnte man im Unterricht über den Nationalsozialismus an der Familiengeschichte der Schüler anknüpfen, heute sitzen da Schüler, deren Großeltern nach dem Krieg geboren wurden, wenn sie nicht gar aus einem anderen Land oder Kulturkreis stammen.“

Manche Professoren begrüßen die Resolution

Doch auch in der Wissenschaft ist die Ablehnung der Resolution keineswegs einheitlich. Der Soziologe Stefan Liebig etwa sagt, er finde es richtig, „durch die Entschließung jüdisches Leben stärker sichtbar zu machen, gerade auch an Schulen und Hochschulen, wo dieses Leben spätestens seit dem 7. Oktober 2023 nur noch unter Sicherheitsvorkehrungen stattfinden kann“.

Im Sommer hatte der FU-Professor Liebig, der bis 2022 das Sozioökonomische Panel geleitet hatte, das Statement „Aus aktuellem Anlass: Kein Platz für Antisemitismus an Hochschulen!“ initiiert. Es hat inzwischen 2000 unterzeichnende Wissenschaftler. „Die Resolution ist wichtig, weil sie die systematische Prävention in den Vordergrund stellt und zugleich klarstellt: Antisemitismus muss auch an Bildungseinrichtungen Konsequenzen haben“, sagt Liebig. Und was ist mit der potenziellen Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit? Er habe da keine Befürchtungen. „Die wissenschaftsgeleiteten Begutachtungsverfahren sind robust genug.“

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