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Ein Weißstorch (Ciconia ciconia), der von seinem Nest abhebt.

© imago/imagebroker

Weißer Wanderer: Störche gibt es in Deutschland noch gar nicht lange

Die alte Sage vom Storch, der Kinder bringt, ist uns allen bekannt. Doch der Vogel ist in Mitteleuropa noch nicht lange ansässig. Heute kämpft er ums Überleben.

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Wer kennt nicht die uralte Legende vom Weißstorch, der in Sümpfen oder Höhlen Neugeborene findet und sie in einem Korb zu ihren Müttern fliegt? Auch wenn die Sage älter wirkt, lässt sich die tatsächliche Verbreitung des Weißstorchs in unseren Breiten wissenschaftlich erst vor rund 2000 Jahren südlich der Donau und westlich des Rheins nachweisen.

Weiter Norden und Osten ist seine Ankunft sogar erst vor etwa einem Jahrtausend nachweisbar. Das berichten Ulrich Schmölcke vom Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA) in Schleswig und Kai-Michael Thomsen vom Michael-Otto-Institut im Naturschutzbund Deutschland in Bergenhusen in der Zeitschrift „Journal of Ornithology“.

Das Forschungsteam hatte Knochen von Weißstörchen untersucht, die in Siedlungsabfällen von Lagerplätzen der Steinzeit, von ehemaligen Dörfern und Städten, aber auch Schlössern und Handelszentren ausgegraben wurden. Vor etwa 10.000 Jahren – und damit kurz nach dem Ende der letzten Eiszeit – gibt es solche Funde im heutigen Spanien, im Südosten Frankreichs und in der Kölner Bucht.

In offenen und halboffenen Landschaften versuchen die großen Vögel, Beutetiere mit dem Schnabel zu packen.

Kai-Michael Thomsen, Ornithologe am Michael-Otto-Institut im Naturschutzbund Deutschland

Später waren die Weißstörche offenbar überwiegend im Gebiet des Römischen Reiches anzutreffen und lebten bis zu dessen Niedergang vor etwa 1500 Jahren fast ausschließlich innerhalb seiner Grenzen, vor allem im südlichen Europa, südlich der Donau und westlich des Rheins. Berichte aus jener Zeit deuten darauf hin, dass sich das Verhalten der Störche damals kaum von dem heutigen unterschied: Sie bauten ihre Nester auf Bauernhäusern und suchten auf Wiesen und Weiden nach Nahrung. Erst vor rund tausend Jahren begann sich die Art weiter nach Nordosten auszubreiten, in Gebiete, die bis heute wichtige Schwerpunkte ihres Vorkommens sind.

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„Diese Verbreitung in historischer Zeit lässt sich sehr gut mit den Lebensgrundlagen der Störche erklären“, ordnet Kai-Michael Thomsen solche archäologischen Funde ein. „Als typische Schreitjäger laufen diese großen Vögel über offene und halboffene Landschaften und versuchen dort, Beutetiere mit dem Schnabel zu packen“, so der Ornithologe.

Heute finden Weißstörche ihre Nahrung daher auf Wiesen und Weiden. Sie laufen Rindern oder auf Äckern hinter landwirtschaftlichen Geräten her, die gerade den Boden bearbeiten. „Dort werden Mäuse und Heuschrecken aufgeschreckt, die dann häufig in einem langen Schnabel enden“, erzählt Kai-Michael Thomsen.

Vor rund 2000 Jahren fehlten nördlich der Donau und östlich des Rheins weitgehend die offenen Landschaften. In Germanien gab es damals deutlich weniger Bauern und stattdessen undurchdringliche Urwälder, in denen die Störche wohl nicht genug Nahrung gefunden hätten. Erst vor etwa tausend Jahren, als im Mittelalter mehr Menschen in den Osten zogen, Wälder rodeten und Wiesen sowie Ackerflächen anlegten, erweiterte sich das Verbreitungsgebiet der Art auch in diese Regionen.

Heute leidet der Weißstorch stark unter der Intensivierung der Landwirtschaft. „Auf stark gedüngten Wiesen wächst das Gras schneller, oder es werden aus Sicht der Natur extrem monotone Maisfelder angelegt, auf denen der Storch nicht genug Nahrung für sich und seine immer hungrigen Küken findet“, erklärt NABU-Experte Kai-Michael Thomsen. Er ergänzt: „Wer Milch von Kühen trinkt, die auf extensiv bewirtschafteten Flächen weiden, unterstützt indirekt auch den Weißstorch.“

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