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Fünf Königspinguine stehen an einem steinigen Strand und spiegeln sich im ruhigen Wasser

© Aurora Fernández Durán

Wo die Reise der Pinguine begann: Evolutionsgeschichte der heutigen Pinguine begann nicht in der Antarktis

Erbgutanalysen weisen auf einen anderen Ursprung der heutigen Pinguinarten als den südlichsten Kontinent. Doch die Schlussfolgerung wird bezweifelt.

Wie ein Erfolgsmodell der Evolution sehen sie nicht aus. Zwar sind sie Vögel, haben ihre Fähigkeit zu fliegen aber eingebüßt. Auch ihr Gang auf festem Grund scheint in der Evolution gelitten zu haben, auch wenn die Tiere watschelnd und wackelnd große Strecken zurücklegen können.

Bei alledem sind sie exzellente Schwimmer, Taucher und Jäger. Körperbau, Stoffwechsel und Verhalten der Pinguine ermöglichten ihnen, Lebensräume von der Antarktis bis zu den Galapagos-Inseln am Äquator zu besiedeln. 18 heute lebende Arten von Pinguinen sind der Biologie bekannt.

Ein internationales Forschungsteam um Juliana Vianna von der Päpstlichen Katholischen Universität von Chile in Santiago hat nun im Erbgut der Tiere nach Spuren gesucht, die anzeigen, warum sich die heutige Artenvielfalt entwickelte und sich die Pinguine über die Südhalbkugel verbreiten konnten.

23.000 Merkmale

Biologen sprechen von adaptiver Radiation, wenn sich in der Evolution aus einer Gründerart neue Arten bilden, die sich an unterschiedliche ökologische Nischen anpassen, neue Lebensräume erschließen, aber auch nebeneinander leben können, ohne sich zu stark Konkurrenz zu machen. Lehrbuchbeispiele sind die Arten von Finken auf den Galapagos-Inseln und die Buntbarsche im Tanganyikasee in Afrika.

„Die Evolutionsgeschichte der Pinguine ist bislang nicht aufgeklärt“, berichten die Forschenden nun in den „Proceedings“ der US-amerikanischen Akademie der Wissenschaften, obwohl in den letzten Jahren eine Reihe wissenschaftlicher Studien zum Thema veröffentlicht wurde. Vogelkundige seien sich uneins über die Verwandtschaftsverhältnisse der Pinguinarten und die zeitliche Abfolge der Artenbildungen sei umstritten.

Sieben Eselspinguine laufen über ein eisbedecktes Ufer. Im Wasser schwimmen Eisschollen.
Eselspinguine sind, einmal im Wasser, die schnellsten Schwimmer unter den Pinguinen.

© Daniel Alfonso González Acuña

Viannas Team hat die Genome, also jeweils das vollständige Erbgut, von allen 18 heute lebenden Pinguinarten entschlüsselt, um den Stammbaum der Tiere mit Reihenfolge, Zeitpunkten und Orten der Artenbildung zu rekonstruieren. Die dabei geltende Grundregel lautet, dass Arten umso näher verwandt sind und sich ihre Äste im Stammbaum umso später trennten, je mehr Gemeinsamkeiten ihr Erbgut aufweist.

Die Forschenden nutzten mehr als 23 000 einzelne Erbgutabschnitte für ihre Analyse. Darunter sind Teile, die sich in der Entwicklung der unterschiedlichen Arten nicht verändert haben, aber auch Abschnitte von Genen, die für die Proteinproduktion in den Zellen genutzt werden und Introns, die nicht abgelesen werden.

Eisbad und Badewanne

Anhand der Erbgutsequenzen konnten die Forschenden auch nachvollziehen, wie sich die Vögel an die unterschiedlichen Temperaturen in ihren neuen Lebensräumen anpassten. Einige Pinguinarten jagen in antarktischen Gewässern, wo die Temperatur etwa zwei Grad unter dem Gefrierpunkt von Süßwasser liegt.

Die Galapagos-Pinguine haben sich in ihrem Lebensraum jedoch auch an Wassertemperaturen von bis zu 27 Grad Celsius angepasst. Die Tiere – insgesamt gibt es nach Schätzungen nur etwa 1200 – haben stark durchblutete federlose Hautflecken am Schnabelansatz, über die sie Wärme an die Umgebung abgeben und Überhitzung vermeiden können.

Solchen Anpassungen gingen zahlreiche schrittweise Veränderungen im Erbgut voraus. Viannas Team konnte nachweisen, dass sich Gene der Arten durch Anpassung veränderten, die an der Regulierung der Körpertemperatur und am Sauerstoffhaushalt beteiligt sind und das Tauchvermögen beeinflussen.

Neben den genetischen nutzte das Forschungsteam auch geografische Daten: Von den Verbreitungsgebieten der heutigen Arten lässt sich darauf schließen, wo die letzten gemeinsamen Vorfahren von Arten lebten bevor sie sich getrennt voneinander weiterentwickelten.

Große Pioniere

Die neue Analyse zeigt, dass in der Evolution die Großpinguine mit den zwei Arten Kaiserpinguin (Aptenodytes forsteri) und Königspinguin (Aptenodytes patagonicus) als erste ihren eigenen Weg gingen und die Antarktis besiedelten. Andere Arten folgten später.

Laut der Interpretation der Forschenden ist nicht die Antarktis die Ahnenheimat der heutigen Pinguinarten. Die Rekonstruktion weise auf eine Zeit vor rund 22 Millionen Jahren, als sie an den Küsten Australiens, Neuseelands und naheliegender Inseln lebten, sagen die Forschenden. Bevor sie kältere Gewässer für sich erschlossen, hätten sich die Pinguine bevorzugt in Gewässern mit etwa neun Grad Celsius Wassertemperatur aufgehalten.

Mit dem Nachweis der frühen Abspaltung der Großpinguine bestätigen die Forschenden die Ergebnisse weiterer Studien. Doch bei ihren weiteren Thesen regt sich Widerspruch: „Die biogeografischen Aussagen zur Verbreitung von Pinguinen aus Australien und Neuseeland in die Antarktis und nach Südamerika sind nicht überzeugend“, sagte Gerald Mayr vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum in Frankfurt dem Tagesspiegel.

In der Studie sei nur die Ausbreitung der Vorfahren moderner Arten in für die Evolution verhältnismäßig junger Zeit betrachtet worden. Ursprünglichere Pinguinarten hätten sich aber schon viel früher in diese Regionen ausgebreitet. „Man weiß inzwischen, dass schon vor mehr als 55 Millionen Jahren Pinguine in der Antarktis existierten und dass schon vor mindestens 42 Millionen Jahren die ersten Arten nach Südamerika kamen“, sagt Mayr.

Auf beiden Kontinenten haben sich zahlreiche, heute ausgestorbene Arten ursprünglicher Pinguine entwickelt. „Die Hypothese vom Ursprung aller heute lebenden Arten ist nur schwer zu halten“, sagt der leitende Vogelkundler.

Zwei Zügelpinguine sitzen auf ihren Nestern mit grauen Küken.
Zügelpinguine gelten als die streitlustigsten Pinguine und verteidigen ihre Brut auch gegen große Gegner.

© Aurora Fernández Durán

Es sei eine Schwäche der Studie, dass keine Paläontologen beteiligt wurden. „Im Vergleich zu vielen anderen Vogelgruppen haben Pinguine einen außerordentlich guten Fossilbericht“, sagt Mayr. In den letzten Jahren sind zahlreiche Funde hinzugekommen und die Entwicklung der Arten lässt sich anhand der versteinerten Überreste gut nachvollziehen.

„Fossilien belegen, dass die Ausbreitung bei einigen sehr ursprünglichen Vertretern stattfand und dann später bei den Vorfahren der modernen Arten“, erklärt Gerald Mayr.

Viannas Team entwickelt das zentrale Szenario, dass Klimaveränderungen die Artenbildung der Pinguine vorangetrieben haben. Vor rund 11,6 Millionen Jahren öffnete sich die Drake-Passage zwischen der Südspitze Südamerikas und der Nordspitze der Antarktischen Halbinsel und der antarktische Zirkumpolarstrom, ein Ring kalter Strömungen rund um die Antarktis, wurde stärker. Pinguine hätten sich auf der nördlichen und südlichen Seite des Strömungssystems getrennt weiterentwickelt.

Für Mayr bleibt diese Theorie jedoch „sehr spekulativ“.

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