
© Auke-Florian Hiemstra
Zeitreise im Blässhuhn-Nest: Nistmaterial ist auch nicht mehr das, was es mal war
Der Frühling hält Einzug, Vögel bauen ihre Nester und suchen nach Zweigen, Halmen und Schokoriegelverpackungen. Zumindest Blässhühner nehmen nachweislich seit Jahrzehnten, was sie kriegen.

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Ach, wäre es doch die glorreiche Fußballweltmeisterschaft von 1990 gewesen! Doch auf der Verpackung eines Schokoriegels, die ein Blässhuhn in Amsterdam in sein Nest einbaute, wurde die WM 1994 in den USA angekündigt.
Der sportliche Verlauf des Turniers (Titelverteidiger Deutschland schied im Viertelfinale aus, Brasilien wurde Weltmeister) ist hier allerdings Nebensache. Viel beachtlicher ist das pragmatische Vorgehen der Vögel, die an den Ufern der Amsterdamer Grachten nisten.
Mithilfe von Hinweisen wie dem auf die Fußball-WM, aber vor allem von aufgedruckten Verfallsdaten auf Lebensmittelverpackungen, konnte ein niederländisches Forschungsteam nun zeigen, dass die Nester der Vögel Archive des Anthropozäns sind, des Zeitalters der Menschen und ihres Mülls.

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„In einem Vogelnest können viel mehr Daten stecken, als man vielleicht denkt“, sagt Auke-Florian Hiemstra vom niederländischen Naturalis Biodiversity Center in Leiden.
Normalerweise bauen die Wasservögel schwimmende Nester aus Bestandteilen der Ufervegetation: Schilfhalmen, Zweigen und Blättern. Doch in der niederländischen Stadt sind die Mangelware. Und da die dort eingesetzten Nistmaterialien auch viel länger haltbar sind, benutzen die Vögel sie mehrfach – über Jahrzehnte, wie die nähere Untersuchung zeigte.

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Wie das Team um den Stadtökologen in der Fachzeitschrift „Ecology“ berichtete, wurde eines der Nester wahrscheinlich schon vor über 30 Jahren gebaut. Erkennbar ist das an Schnipseln, mit denen es ausgekleidet wurde: viel Verpackungsmaterial aus einem Schnellrestaurant in der Nähe, besagtes WM-Schokoriegel-Papier und 15 Atemmasken aus der Covid-19-Pandemie.
Verpackungen von Produkten mit geringer Haltbarkeit, wie Avocado oder Milch, waren besonders hilfreich, um den Zeitraum zu bestimmen, in dem sie verbaut wurden, berichtet Hiemstra.
Die ältesten Kunststoffteile stammten aus dem Jahr 1991. Die Forscher glauben, dass mindestens drei Generationen von Blässhühnern, die zehn Jahre alt werden können, das Nest genutzt haben.
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