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Pedro Gonsalvus und seine Frau Catherine (Bild von Joris Hoefnagel, 1575/1580)

© IMAGO/Heritage Images/IMAGO/Heritage Art/Heritage Images

Zwischen Glatze und Biest: Verflixter Haarwuchs

Geheimratsecken, Halbglatze – über zu wenig Haarwuchs wird viel geklagt. Doch zu viel ist auch nicht zu empfehlen.

Sascha Karberg
Eine Kolumne von Sascha Karberg

Stand:

Zu wenig, zu viel oder an den falschen Stellen – das ist, kurz zusammengefasst, was man im Laufe seines Lebens über die eigene Haarpracht so herumlamentiert. Als spät zündender Teenager wünscht man sich den Flaum am Kinn irgendwann herbei, wenn um einen herum schon mit Vollbärten geprahlt wird.

Doch irgendwann, spätestens mit Mitte 30 und in Eile vor irgendeinem Bewerbungsgespräch, verflucht Mann die impertinent an den unmöglichsten Körperpartien nachwachsenden Stoppeln. Was Frauen sich antun, um schütteres Haar zu kaschieren oder unerwünschte Haare mit Stumpf und Stiel auszureißen, wäre noch ein ganz anderes Kapitel.

Pedro Gonsalvus, der erste in Europa dokumentierte Fall einer Hypertrichose, eines genetisch bedingt übermäßigen Haarwuchses.

© Anonymous

Doch all das, selbst die kahlste Glatze, ist nichts im Vergleich zur wirklich haarsträubenden Geschichte von Pedro Gonsalves. 1547, im Alter von zehn Jahren, wurde er als Kuriosität von seinem Geburtsort Teneriffa an den Hof des französischen Königs Heinrich II. gebracht: Sein gesamter Körper, mit Ausnahme der Handflächen und Fußsohlen, war behaart.

Die höfische Gesellschaft behandelte das Kind zunächst wie einen Affen, steckte es sogar in einen Käfig, bis sich herausstellte, dass er sich in nichts von einem Zehnjährigen unterschied, außer in seiner Behaarung.

Pedro Gonsalves Tochter Tognina erbte die (dominante) Genmutation, die Hypertrichose auslöst.

© IMAGO/Heritage Images/IMAGO/? Fine Art Images/Heritage Images

Gonsalves ist der erste dokumentierte Fall von Hypertrichose, einer übermäßigen Behaarung, mit Sicherheit ausgelöst durch die Mutation eines Gens. Denn nachdem Gonsalves eine Ausbildung bekommen und – wohl zum höfischen Amüsement – mit der hübschen, normal behaarten Magd Catherine Raffelin verheiratet worden war, erbten vier der sieben Kinder des Paars die Anomalie.

„Die Schöne und das Biest“ in einer Verfilmung von 1946.

© IMAGO/Capital Pictures/imago

Zwar lebten sie unter dem Schutz des Königs im Park von Fontainebleau, mussten sich jedoch Zeit ihres Lebens auf höfischen Festen als Kuriosum vorführen lassen. Womöglich war das ungewöhnliche Gonsalves-Paar Inspiration für die Erzählungen und Verfilmungen um „Die Schöne und das Biest“, allerdings kursierten ähnliche Volksmärchen schon lange vor Pedros Geburt.

Welche Genveränderung für den übermäßigen Haarwuchs verantwortlich ist, ist nach wie vor unbekannt. Es gibt nur sehr wenige Fälle, höchstens ein paar Dutzend weltweit. Dennoch sind sie Mahnung genug, sich an den eigenen, nur moderat abweichenden Haarwuchs-Genen zu erfreuen und sich frühmorgens nicht mehr über die zwei, drei Borsten zu ärgern, die aus Nase oder Ohren wachsen.

Der „Erbonkel“ – Geschichten rund um Gene, jedes Wochenende.

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