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Zum 150. Geburtstag der Schriftstellerin Alice Berend: Bestimmen, nicht bestimmt werden!

Gut platziert zwischen Kurt Tucholsky und Theodor Fontane: Zu ihrem 150. Geburtstag gilt es, die große Berliner Schriftstellerin Alice Berend wieder zu entdecken.

Von Tobias Schwartz

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Berliner sind berüchtigt für ihre freche „Schnauze“ und berühmt für ihren Humor. Letzterer gehörte an der Spree stets zum guten Ton. Gleichwohl zeigten sich Kritiker im frühen 20. Jahrhundert überrascht, als da plötzlich eine Schriftstellerin die literarische Bühne betrat, die es darauf anlegte, ihre ausgeprägte Begabung zum Witz in der hehren Form des Romans zum Ausdruck zu bringen.

„Soweit das Auge reicht, die einzige Frau mit Humor“, hieß es in einer Rezension, „eine Humoristin ist zu uns gekommen“ in einer anderen. Die Rede ist von der großen Alice Berend, einer der meistgelesenen, geistreichsten Autorinnen der Weimarer Republik, deren 150. Geburtstag am 30. Juni dieses Jahres ansteht.

Neu herausgegeben wurde jetzt ihr Erfolgsroman „Frau Hempels Tochter“ von 1913, in dem sie sich als Meisterin komischer Beschreibungen des Berliner Kleinbürgertums und Alltags erweist. Darin inbegriffen beengte Wohnverhältnisse, der allgegenwärtige Geruch von Sauerkohl und Bratfett sowie die typischen Vertreter des „Milljöhs“, die Portiersfrauen, Dienstmädchen, Kneipiers und Bademeister – Zille lässt grüßen.

Zille lässt grüßen

Dass der Name Alice Berend heute nur wenigen etwas sagt – und das selbst in ihrer Heimatstadt –, hat Gründe. Nach den Rassegesetzen der Nazis war sie, obgleich evangelisch getauft, Jüdin. Ihre Bücher kamen auf die „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“, auf der sie sich in bester Gesellschaft befanden. Hitlers Schergen leisteten ganze Arbeit und tilgten sie aus dem kulturellem Gedächtnis.

Ein Porträt zum 50. Geburtstag der Schriftstellerin 1928

© Staatsbibliothek zu Berlin/CC BY-NC-SA 4.0

1999 wurde in Berlin-Moabit eine Straße nach ihr benannt, im gleichen Zeitraum kam es zu Neuauflagen verschiedener Berend-Titel, darunter der fulminante Bestseller „Die Bräutigame der Babette Bomberling“, der amüsant-ironisch vom Leben und Leiden der Tochter eines Sargfabrikanten erzählt. Oder der schillernde Theaterroman „Dore Brandt“, der in jüdische Salons führt, ins legendäre Café Metropol und in ein Theater unweit des Bahnhofs Friedrichstraße (mit dem legendären Regisseur Max Reinhardt, der dort wirkte, war die Autorin befreundet) – eine breite Renaissance ihrer Werke aber steht noch aus.

Fulminante Bestseller

Geboren wurde Berend 1875 als Tochter einer jüdischen Fabrikantenfamilie, und sie wuchs in großbürgerlichen Verhältnissen in der Kantstraße auf. Anders als ihre eher extrovertierte Schwester Charlotte (Berend-Corinth), die eine bekannte, der Berliner Secession angehörende Malerin wurde und ihren Lehrer Lovis Corinth heiratete, versank sie in der Welt der Bücher.

Zunächst schrieb Berend als Journalistin fürs Berliner Tageblatt, wie später ihre jüngere Kollegin Gabriele Tergit, und verfasste Theaterstücke für Kinder. Ihren Durchbruch hatte sie, inzwischen verheiratet und in Florenz lebend, 1912 mit „Die Reise des Herrn Sebastian Wenzel“, dem fast jährlich neue Romane folgten. Zum Teil erreichten sie Auflagen von mehr als 100.000 Exemplaren.

Will man ihr Werk stilistisch einordnen, dann wohl irgendwo zwischen Kurt Tucholsky und Theodor Fontane. Tatsächlich wurde sie aufgrund ihres Plaudertons und der liebevollen Figurendarstellungen mit letzterem verglichen, ja, als „kleine Fontane“ gehandelt. Parallelen gibt es entsprechend zum „jüdischen Fontane“ Georg Hermann, der in seinem Frisörroman „Kubinke“ (1910) oder dem „Rosenemil“ den Berliner „kleinen Leuten“ ein humorvoll-zugewandtes Denkmal setzte.

Hermann teilte Berends Schicksal und geriet in Vergessenheit, allerdings wurde er Opfer des Holocausts, während sie 1935 nach Italien emigrierte. Hinter ihr lagen zu dem Zeitpunkt eine zweite Ehe mit dem Maler Hans Breinlinger, ein mehrjähriger Aufenthalt in Konstanz und eine Freundschaft mit dem Philosophen, Staatsrechtler und späteren NSDAP-Mitglied Carl Schmitt, die sie zu dem Schlüsselroman „Der Glückspilz“ von 1919 inspirierte. 1938 starb sie verarmt in Florenz.

Ihr literarisches Erbe bleibt gewaltig. Davon, dass ihre Bücher Staub angesetzt hätten, kann keine Rede sein. Im Gegenteil, sie zeichnen sich vielmehr durch Witz und Wärme aus, wie auch ihr kürzlich neu aufgelegter Roman „Spreemann & Co“ von 1916, der über drei Generationen die Geschichte einer Familie und ihres Stoffgeschäfts erzählt und ebenso erfolgreich war wie „Die Bräutigame der Babette Bomberling“ und „Frau Hempels Tochter“.

Anders als der Titel suggeriert, ist in letzterem die Mutter – wie so oft bei Berend eine sehr willensstarke Frau – die eigentliche Hauptfigur. Sie setzt alles daran, ihrer Tochter Laura ein besseres Leben zu ermöglichen, nur verliebt sich diese ausgerechnet in einen verarmten Grafen, was ihren Ehrgeiz umso mehr anstachelt – und dem satirischen Gehalt dieses rasanten Großstadt- und Gesellschaftsporträts sehr zugute kommt. „Wenn wir nicht selbst bestimmen, dann werden wir bestimmt“, heißt es da und diese Weisheit gilt noch immer. Nicht nur für Frauen.

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