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„Wer nicht mehr bedürftig ist, soll Beitrag leisten“: Berliner Wohnungsbau-Chef fordert Einkommenskontrollen bei Sozialwohnungen
Wer normal verdient, aber in Berlin vergünstigt wohnt, soll mehr Miete zahlen, fordert Lars Dormeyer von der landeseigenen WBM. Doch lohnen sich millionenteure Einkommenskontrollen überhaupt?
Stand:
Sollte Berlin regelmäßig die Einkommen von Mieter:innen in Sozialwohnungen prüfen? Der Geschäftsführer der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft WBM, Lars Dormeyer, hält das für sinnvoll: „Da kann Berlin im Vorgehen konsequenter sein“, sagte Dormeyer in einem Interview mit dem Tagesspiegel. Würde heißen: Wer vergünstigt mietet, obwohl er inzwischen durchschnittlich verdient, soll einen Aufschlag zahlen.
Dormeyer knüpft damit an eine alte Debatte an, die Bundesbauministerin Verena Hubertz (SPD) wieder belebt hat: Hubertz nannte vor Kurzem sogenannte Fehlbelegungsabgaben eine „sehr gute Idee“. Zahlen sollen sie jene, die weiter in einer Sozialwohnung leben, also eine subventionierte Miete zahlen, obwohl sie seit ihrem Einzug mehr verdienen und die festgelegten Einkommensgrenzen inzwischen überschreiten. Entscheiden kann die Bundesbauministerin das nicht: Sozialer Wohnungsbau ist Ländersache.
Wie es heute in Berlin läuft
Wie in den meisten Bundesländern wird auch in Berlin Bedürftigkeit bisher einmalig geprüft. Wer eine Sozialwohnung mieten will, braucht in der Regel einen Wohnberechtigungsschein (WBS). Den bekommt, wessen Einkommen bestimmte Grenzen nicht überschreitet.
Der Schein ist meist nur ein Jahr gültig, vorzeigen müssen Mieter:innen ihn bislang aber lediglich beim Einzug in eine geförderte Wohnung. Niemand kontrolliert, ob sich das Einkommen später erhöht – etwa bei einem Jobwechsel oder wenn aus Studierenden Berufstätige werden. Im Schnitt mieten Menschen bei der WBM eine Wohnung für 33 Jahre, auch andere landeseigene Unternehmen kommen auf über zwei Jahrzehnte. Viel Zeit also, in der sich Lebenssituationen ändern können.
Hessen: alle drei Jahre eine Kontrolle
Häufiger kontrollieren das aktuelle Einkommen mehrere Gemeinden in Hessen, was Hubertz als Vorbild nennt: Dort hat die Landesregierung 2015 eine Rechtsgrundlage für regelmäßige Prüfungen und Fehlbelegungsabgaben geschaffen. 51 Gemeinden – darunter Frankfurt am Main – wenden sie inzwischen an. Alle drei Jahre verschickt die Stadt Einkommensfragebögen an die Mieter:innen von Sozialwohnungen.
Wer mehr als 20 Prozent über der Einkommensgrenze verdient, zahlt eine Abgabe – bis zu zwei Euro pro Quadratmeter. Wer nicht antwortet, zahlt ebenfalls. Das Geld fließt in den sozialen Wohnungsbau.
„Keine Neiddebatte aufmachen“
Er wolle in Berlin „keine Neiddebatte aufmachen“, sagt Dormeyer. Es gehe auch nicht darum, „ob jemand in einer Wohnung bleiben darf“. Aber: „Wenn ein Student in eine geförderte Wohnung gezogen ist und 20 Jahre später noch subventioniert wird, wenn er nicht mehr subventionsbedürftig ist – sollte er nicht seinen Beitrag leisten?“ Ziel müsse sein, dass diese Menschen „die Miete zahlen, die normalerweise zu bezahlen ist.“
Dormeyer deutet zudem an, dass Überprüfungen auch jenseits des Einkommens zeigen könnten, wenn Mieter:innen Wohnungen nicht so belegen, wie das Land und dessen Wohnungsunternehmen es gerne hätten: „Bedarfe ändern sich im Leben. Aber es kann auch nicht sein, dass jemand allein 80 Quadratmeter verbraucht und dann gerne noch ein Zimmer untervermietet.“ In einigen Schweizer Städten drohen Mieter:innen kommunaler Wohnungen Mietaufschläge oder gar der Auszug, wenn aus Sicht der Stadt zu wenige Menschen in großen Wohnungen leben – etwa, nachdem Kinder ausgezogen sind.
In Berlin werde nur darüber debattiert, dass Mieten zu hoch seien, kritisiert Dormeyer: „Es ist gut, dass wir Instrumente für günstige Mieten haben, aber wir müssen auch in die andere Richtung denken.“
Wie groß ist das Problem tatsächlich?
Allein die WBM vermietet 34.000 Wohnungen in Berlin, bei Neubauprojekten vermietet sie die Hälfte als WBS-Wohnungen. Insgesamt gibt es noch 97.000 Sozialwohnungen in der Hauptstadt. Zahlen, in wie vielen der WBM-Wohnungen tatsächlich Menschen mit zu hohem Einkommen leben, hat Dormeyer nicht: „Das darf ich aus datenschutzrechtlichen Gründen auch nicht.“
Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen wiegelt auf Anfrage ab: Fehlbelegung sei „in Berlin unserer Einschätzung nach nicht [...] ein Massenphänomen.“ Sprecher Martin Pallgen betont, es gebe keine Anzeichen dafür, dass „zahlreiche Professoren noch in ihren WBS-Wohnungen aus Studentenzeiten wohnen“.
CDU und SPD sind sich uneins
Trotzdem: Auf dem Zettel der Landesregierung steht das Thema längst. Bereits in den Richtlinien für die Regierungspolitik von 2023 bis 2026 kündigte die schwarz-rote Koalition an, ein Konzept zu erarbeiten, „um den sozial- und stadtentwicklungspolitisch problematischen Fehlbelegungen im sozialen Wohnungsbau entgegenzuwirken.“
CDU-Abgeordnete drängen seitdem auf eine Umsetzung. Danny Freymark etwa warb dafür, mit den Einnahmen andere Wohnungen des Landes zu vergünstigen. Auch die Berliner AfD hat im vergangenen Jahr einen Gesetzesvorschlag für eine Fehlbelegungsabgabe gemacht.
Die SPD lehnt das ab: Eine Abgabe löse weder die Mietenkrise noch finanziere sie den sozialen Wohnungsbau, sagte die Abgeordnete Sevim Aydin im Mai. Stattdessen treffe er die Mittelschicht, die bereits unter steigenden Lebensmittel-, Energie- und Heizkosten leide.
Bisher sitzt die Regierung das Streitthema aus: Von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen ist seit Längerem bekannt, dass sie Konzepte „prüft“. Auf Tagesspiegel-Anfrage zum aktuellen Stand der Dinge heißt es von Sprecher Pallgen: „Die Arbeiten hierzu sind komplex in ihren Details und noch nicht abgeschlossen.“ Nach einem baldigen Vorstoß klingt das nicht. Es gelte bürokratischen Aufwand und erzielbaren Ertrag auszubalancieren, so Pallgen.
Fehlbelegungsabgabe ist alter Bekannter in Berlin
Und womöglich, aus vergangenen Fehlern zu lernen? Denn bis 2002 gab es in Berlin bereits eine solche Abgabe. Zwischen einer und fünf D-Mark, später 0,50 bis 2,50 Euro pro Quadratmeter mussten Mieter:innen in Sozialwohnungen draufzahlen, wenn sie WBS-Grenzen überschritten. Kurz vor der Abschaffung durch die rot-grüne Landesregierung unter Klaus Wowereit (SPD) zahlten 18.500 Haushalten zusammen etwa acht Millionen Euro jährlich.
Doch die Einkommensüberprüfung kostete: Laut Berliner Mieterverein fraßen die entsprechenden Verwaltungskosten zwischen 1999 und 2001 rund 40 bis 55 Prozent der Einnahmen auf. Ähnlich ist das Verhältnis heute in Frankfurt: Laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung nahm die Stadt zuletzt sechs Millionen Euro ein. 2,6 Millionen Euro entfielen auf Personal und Verwaltung – knapp 43 Prozent. Übrig blieben 3,4 Millionen Euro, die für den Ankauf von Belegungsrechten verwendet wurden. Wenig im Vergleich zu den jährlich bis zu 150 Millionen Euro, die Frankfurt dafür insgesamt ausgibt.
Was würde eine Abgabe Berlin einbringen?
Ob der Anteil von Normal- und Besserverdiener:innen in Sozialwohnungen gewachsen ist, lässt sich mangels Daten nicht sagen. Einnahmen dürften aber geringer sein als 2002: Zu Beginn dieses Jahres gab es in Berlin noch rund 97.000 Sozialwohnungen. Als die Abgabe abgeschafft wurde, waren es laut Berliner Mieterverein noch 430.000.
In den kommenden Jahren fallen zudem Tausende weitere Wohnungen aus der Bindung. Schon jetzt hätten mehr als eine Million Berliner:innen Anspruch auf einen WBS-Schein.
Macht es das umso dringender, dass die zu wenigen Wohnungen und Mittel „den Richtigen“ zugutekommen?
Nutzen, Gerechtigkeit oder Symbolpolitik?
Für manche offenbar zumindest fürs Gefühl: In Frankfurt verweist der Wohnungsdezernent der Stadt gegenüber der Süddeutschen Zeitung auch auf den Wert der Abgabe in der laufenden „Gerechtigkeitsdebatte“.
Aus Sicht des Berliner Mietervereins macht es die Diskussion dagegen zu „Symbolpolitik“ – die Menschen für ihren sozialen Aufstieg bestrafe. Die Forderung nach marktüblichen Mieten für Ex-WBS-Berechtigte übergehe, dass Mieten bis in die Mittelschicht hinein große Teile des Einkommens auffressen, so das Argument.
Dormeyer wiederum betont gegenüber dem Tagesspiegel, dass die WBM-Mieter:innen im Schnitt 14 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens für Miete bezahlen – also weniger als die 27 Prozent, die das Land bei den eigenen Wohnungen als kritische Grenze festgelegt hat.
Ob Frankfurt oder Berlin, ob 2002 oder mehr als zwanzig Jahre später: Trotz vergleichsweise geringer potenzieller Erträge gleicht sich die Debatte. Ein früheres Argument gegen eine Abgabe hat sich allerdings erledigt: Teile des Senats fürchteten, dass Normalverdiener:innen keine Aufschläge zahlen und ausziehen würden – die Sorge um die oft bemühte „Durchmischung“ von Quartieren.
Zwanzig Jahre später ist der Berliner Wohnungsmarkt so angespannt, dass auch mit Aufschlag die meisten Bestandsmieten bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen nicht an die aktuellen Mieten in Neuverträgen heranreichen dürften – und Umzüge deutlich unattraktiver geworden sind.
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