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A100-Chaos im Berliner Westen: Bezirk riegelt Wohnstraßen ab – Einfahrt nur noch für Anwohner
Im Berufsverkehr am Dreieck Funkturm kommt es zu massiven Staus. Die Ringbahnbrücke der A100 ist aus Sicherheitsgründen voll gesperrt. Jetzt äußert sich die Autobahn GmbH.
Stand:
Nach der kurzfristigen Sperrung der maroden A100-Brücke im Berliner Westen riegelt der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf mehrere Kieze für den Durchgangsverkehr ab. Dazu soll die Einfahrt von Autos in mehrere Wohnstraßen in der Umgebung verboten werden.
In Absprache mit dem Senat habe der Bezirk zur „kurzfristigen Gefahrenabwehr“ begonnen, die Ausweichverkehre in die Wohngebiete durch Sperren zu verhindern, heißt es in einer Pressemitteilung des Bezirks.
Betroffen davon sind zunächst folgende Straßeneinfahrten:
- Tegeler Weg / Brahestraße
- Tegeler Weg / Mindener Straße
- Die Einfahrten zum Klausenerplatz-Kiez aus der Sophie-Charlotten-Straße und Schloßstraße
- Kaiserdamm / Soorstraße
- Kaiserdamm / Meerscheidtstraße
Für die Anwohner sollten die Beschränkungen nicht gelten, sagte Charlottenburg-Wilmersdorfs Verkehrsstadtrat Oliver Schruoffeneger (Grüne) dem Tagesspiegel. Zunächst würden an den Einmündungen aus Zeitgründen nur Einfahrverbotsschilder aufgestellt, die Anwohner jedoch ignorieren sollten. „Irgendwann muss dann auch ein ‚Anlieger frei‘-Schild ran“, sagte er.
Zudem forderte der Bezirk die Autobahn GmbH auf, zu prüfen, ob auf der ab kommender Woche geplanten einspurigen Führung der Autobahn in Richtung Norden nur Lkw zugelassen werden sollten, um zusätzlichen Lastwagenverkehr im Berliner Stadtstraßennetz zu verhindern.
Bezirk will keinen Lkw-Verkehr durch Autobahnsperrung im Kiez
Die Laster könnten sonst das bereits jetzt sanierungsbedürftige Wasser- und Stromleitungsnetz unter den Straßen zusätzlich belasten und „kurzfristig Havarien“ der Umfahrungsstraßen auslösen, warnt der Bezirk. Auch müssten Senat und Autobahngesellschaft prüfen, wie zusätzliche Nahverkehrsangebote aus dem Brandenburger Umland mit Regionalbahnen und Busshuttles den Verkehr entlasten könnten.
Insgesamt zeigt sich der Bezirk entrüstet über das bislang fehlende Verkehrskonzept der Autobahngesellschaft. Mit „großem Unverständnis“ nehme man zur Kenntnis, dass die zuständige Autobahn GmbH „auch zehn Tage nach der Teilsperrung der A100 kein tragfähiges Umleitungskonzept vorlegen kann, obwohl sie seit Jahren über die kritische Situation der Autobahn Bescheid weiß“, heißt es in der Pressemitteilung.
Diese „Untätigkeit“ habe den Bezirk nun dazu veranlasst, selbst kurzfristig zu handeln. Es sei „eine pure Arbeitsverweigerung“, dass die Autobahngesellschaft zuvor den Bezirk verantwortlich für die Umleitungsplanung erklärt habe, sagte Verkehrsstadtrat Oliver Schruoffeneger (Grüne). „Wir fordern die Autobahngesellschaft auf, umgehend ein sinnvolles Gesamtkonzept zur Führung des Umleitungsverkehrs vorzulegen.“
Die heutige Behauptung der Autobahngesellschaft, der Bezirk sei für die Umleitungsplanung in den Stadtstraßen zuständig, ist eine pure Arbeitsverweigerung.
Charlottenburg-Wilmersdorfs Verkehrsstadtrat Oliver Schruoffeneger (Grüne)
Zudem müsse sich die Autobahngesellschaft an den Kosten beteiligen, die dem Bezirk durch die kurzfristig ergriffenen Verkehrsmaßnahmen entstehen, ergänzte Bezirksbürgermeisterin Kirstin Bauch (Grüne). Dies betreffe auch die „mit Sicherheit notwendige Komplettsanierung“ der Stadtstraßen, die nun als Umfahrung der gesperrten Autobahn genutzt würden.
Nach der kurzfristigen Brückensperrung auf der Berliner Stadtautobahn am Mittwochabend gibt es noch kein Verkehrskonzept – auch nicht zu einem Neubau der maroden Brücke. Das teilte die zuständige Autobahn GmbH des Bundes am Donnerstagmittag in einer Pressekonferenz mit.
Wie lange die Sperrung in Fahrtrichtung Norden in Höhe des Dreiecks Funkturm andauern wird, ist noch unklar. Es seien weitreichende „Vorwarner“ entlang der Autobahnen in Richtung Berlin geplant.
Die Sperrung der Brücke sei aufgrund der Schäden an der Brücke „unvermeidbar“ gewesen, sagte Autobahn-Sprecher Ralph Brodel. „Wir sind uns der erheblichen Auswirkungen auf den Verkehr sowie die Mobilität der Menschen in Berlin und Brandenburg sowie der Anwohner bewusst.“ Die Ergebnisse der Untersuchungen hätten allerdings keine andere Lösung zugelassen. Ziel sei nun, die Beeinträchtigungen so gering wie möglich zu halten.
Zunächst bleibt in Teilen jedoch unklar, wie genau es weitergeht. Erst am Mittwoch kommender Woche will die Autobahn GmbH bei einer erneuten Pressekonferenz weitere Details zum künftigen Verkehrskonzept sowie zu den Zeitplänen für Abriss und Neubau der Brücke vorstellen.
Unangenehm wird die Situation für Autofahrer wohl auch dann bleiben. Eine naheliegende Umfahrung der gesperrten Stelle ist „nur sehr eingeschränkt möglich“, sagte Brodel. Derzeit empfehle man allen Verkehrsteilnehmern auf alternative Routen auszuweichen und auch auf den öffentlichen Nahverkehr umzusteigen.
Verkehr wird auf die gegenüberliegende Fahrbahn geleitet
Spätestens Anfang kommender Woche soll ein Zweirichtungsverkehr eingerichtet werden – der Verkehr Richtung Norden wird dann auf die Gegenfahrbahn umgeleitet. Allerdings wird es infolgedessen in südliche Fahrtrichtung nur noch zwei statt drei Fahrspuren geben – die Autobahn GmbH geht ab dann auch auf dieser Strecke von zusätzlichem Stau aus.
Die Überleitung auf die Südfahrbahn ist nach dem Tunnel am Rathenauplatz im Süden und zwischen Rudolf-Wissel-Brücke im Norden geplant.
Als „Vollkatastrophe“ für die Stadt und die Wirtschaft in der Region bezeichnete Sven Weickert, Geschäftsführer der Vereinigung der Unternehmensverbände (UVB) die Sperrung. „Auf Jahre müssen Unternehmen und Handwerksbetriebe nun mit Staus, längeren Fahrzeiten und Behinderungen rechnen. Das wird unabsehbare Kosten nach sich ziehen.“
Auf Jahre müssen Unternehmen und Handwerksbetriebe nun mit Staus, längeren Fahrzeiten und Behinderungen rechnen. Das wird unabsehbare Kosten nach sich ziehen.
Sven Weickert, Geschäftsführer der Vereinigung der Unternehmensverbände (UVB) zur Sperrung der A100-Brücke
Der schlechte Zustand von Teilen der Stadtautobahn sei seit langem bekannt. Es sei „unverständlich“, warum die Planungs- und Genehmigungsverfahren sich schon über Jahre hinzögen und nicht beschleunigt werden konnten, sagte er.
Um ein Verkehrschaos zu vermeiden, forderte Weickert nun so schnell wie möglich leistungsfähige Ausweichstrecken. „Hier sind pragmatische Lösungen gefragt. Die Straßen im Umfeld der A100 müssen von Baustellen und anderen Hindernissen befreit werden.“ Bund, Senat und Bezirk müssten sich dazu eng abstimmen.
Sanierung der Ringbahnbrücke hätte nicht gegen Riss geholfen
Anfang März wurde festgestellt, dass sich ein bereits bekannter Riss in einem tragenden Bauteil der Brücke deutlich ausgeweitet hat. Weitergehende Untersuchungen ergaben nun, dass weder eine Teilsperrung noch provisorische Stützmaßnahmen die nötige Standsicherheit gewährleisten können. Zusätzlich wurde die nahegelegene Westendbrücke vorsorglich gesperrt, da erste Ergebnisse einer Sonderprüfung Bedenken hinsichtlich ihrer Stabilität aufwarfen. Die Sperrung betrifft den Streckenzug bis zur Auffahrt Knobelsdorffstraße.

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Die Rissbildung an der 1963 erbauten Ringbahnbrücke sei mit normaler Instandhaltung nicht aufzuhalten gewesen, auch mit einer größeren Instandsetzungsmaßnahme wäre man nicht weitergekommen, sagte Mathias Seidel, Geschäftsbereichsleiter für Bau und Planung bei der Autobahn GmbH. Die Risserweiterung sei jedoch „durch die Herunternahme des Verkehrs zum Erliegen gekommen“.
Noch am Mittwoch sagte Autobahn-GmbH-Sprecher Brodel dem RBB, die Sperrung werde wohl „mindestens zwei Jahre“ dauern. Am Donnerstag bezeichnete er seine Angaben als voreilig – die Sperrung könne auch kürzer oder länger dauern.
Langfristige Auswirkungen auf S-Bahnbetrieb unklar
Wegen ihres schlechten Zustands beobachte die Autobahn GmbH zudem weitere Brücken, so zum Beispiel die ebenfalls gesperrte Verbindung der A115 zur A100 in nördlicher Richtung. „Das ist ebenfalls so ein Kandidat“, sagte Seidel. Grundsätzlich stünden jedoch alle Brücken im Bereich des Dreiecks Funkturm wegen ihres Zustands unter Beobachtung.
Noch unklar sind auch die langfristigen Auswirkungen auf die unter der Brücke verlaufende S-Bahn. Eine Einsturzgefahr der Ringbahnbrücke bestehe nicht, sagte Brodel, der S-Bahnverkehr könne deshalb „vorerst“ weiterlaufen. Inwiefern und wie lange der Betrieb auf der Ringbahn künftig jedoch durch den Abriss und Neubau der Autobahnbrücke eingeschränkt werden muss, konnte er nicht sagen.
Stau auf der Autobahn und umliegenden Straßen
Auf dem Weg zur Arbeit oder durch die Stadt mussten Verkehrsteilnehmer am Donnerstag viel Geduld mitbringen: Im Berufsverkehr bildeten sich lange Staus, zudem liegt der Nahverkehr wegen des BVG-Streiks fast vollständig lahm.
Bereits am Morgen war der Verkehr stark beeinträchtigt. Nach Angaben der Verkehrsinformationszentrale (VIZ) mussten die Menschen am Dreieck Funkturm Richtung Norden mehr als eine halbe Stunde mehr einplanen. Auch die Umfahrungsstrecken vom Messedamm über die Königin-Elisabeth-Straße sowie über den Spandauer Damm stadtein- sowie -auswärts waren ähnlich stark belastet.

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Am Morgen staute sich der Verkehr in vielen Wohnstraßen, in die Autofahrer auszuweichen versuchten. Ein Tagesspiegel-Reporter berichtete etwa davon, dass rund um den Branitzer Platz in Westend nichts mehr ging. Autofahrer versuchten, in Richtung Spandauer Damm zu gelangen.

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Ein Sprecher der Verkehrsinformationszentrale sagte am Mittwochabend, er rechne mit einem ziemlichen Chaos für den Berufsverkehr. Als die Ringbahnbrücke am Charlottenburger Dreieck Funkturm zuvor noch einspurig befahrbar gewesen sei, hätten Autofahrer zum Teil schon 50 Minuten länger gebraucht. Mit der vollständigen Sperrung könnte es jetzt noch deutlich länger werden.
Die Polizei mahnte auf der Plattform X, auch auf den „bekannten Schleichwegen rund um die Vollsperrung“ werde es zu Stau kommen.
Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) empfahl am Mittwoch eine „sehr weitreichende Umfahrung“ und wenn möglich den Umstieg auf S- und Regionalbahn. Die Lage der betroffenen Strecke mache aber nur wenige direkte Umfahrungen möglich, betonte Bonde.

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Der Messedamm kann zwar einen Teil des Verkehrs aufnehmen, aber spätestens beim Einfädeln am Kaiserdamm wird es schwierig, zumal dort aktuell die BVG am U-Bahn-Tunnel baut. Ansonsten kommen nur großräumig andere Routen durch Charlottenburg in Betracht, etwa via Konstanzer und Kaiser-Friedrich-Straße. Aber selbst wenn die – etwa durch Halteverbote und veränderte Ampelschaltungen – als Umleitungsstrecke hergerichtet würden, könnten sie nur einen Teil der Automassen aufnehmen.
Berliner Verkehrsverwaltung weist Kritik zurück
Die Berliner Verkehrsverwaltung wies unterdessen Kritik zurück, sich nicht rechtzeitig auf eine mögliche Vollsperrung der Ringbahnbrücke an der A100 im Westen Berlins vorbereitet zu haben.
„Man wusste schon lange, dass dort etwas gemacht werden muss, aber es war eine Ersatzbrücke geplant. Insofern musste sich keiner Gedanken über eine Verkehrsumleitung machen“, sagte eine Sprecherin der Verkehrsverwaltung auf dpa-Anfrage.
Es gab ein anderes Szenario. Das andere Szenario hätte nicht zu den Verkehrseinschränkungen geführt, die wir jetzt haben.
Sprecherin der Verkehrsverwaltung
Es habe bereits eine Bauplanung für eine Ersatzbrücke, den Abriss der alten und den Bau einer neuen gegeben. „Der Vorwurf, ihr habt euch nicht vorbereitet, stimmt nicht. Es gab eine andere Variante. Das ist einfach die Situation“, so die Sprecherin. „An dem Punkt sind wir jetzt nicht mehr.“
„Dass die Brücke reif war, das wussten alle, die Frage war, wie lange kann ich sie noch nutzen“, sagte die Sprecherin. Die Vollsperrung sei aber nicht langfristig absehbar gewesen. „Es gab ein anderes Szenario. Das andere Szenario hätte nicht zu den Verkehrseinschränkungen geführt, die wir jetzt haben.“
Der für Straßenverkehr zuständige Bezirksstadtrat in Charlottenburg-Wilmersdorf, Oliver Schruoffeneger (Grüne), bezeichnete die Situation im RBB-Fernsehen als „Katastrophe mit Ansage“. Er kritisierte, dass noch keine Umleitungskonzepte vorlägen.
Die Brückenerneuerung ist Teil des umfassenden Umbaus des Autobahndreiecks Funkturm. Geplant sind der Neubau von 1,9 Kilometern Autobahn, 25 Brücken sowie der Anschlussstelle Messedamm. Das Planfeststellungsverfahren läuft derzeit beim Fernstraßenbundesamt. (mit dpa)
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