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Elegant und auf den Punkt. Frankreichs neue Botschafterin Anne-Marie-Descotes kennt nicht nur die Politik, sondern auch Literatur und schöne Künste.

© Thilo Rückeis

Neue französische Botschafterin: Aus Paris an den Pariser Platz

Als Deutschstudentin lebte Anne-Marie Descôtes schon in den 80er Jahren in Berlin: Nun will sie die Hauptstadt neu kennenlernen.

Für ihren besonderen Stil ist Frankreichs neue Botschafterin Anne-Marie Descôtes bekannt. Aber das ist dann doch verblüffend: Gleich zu Beginn des Gesprächs in ihrem Dienstzimmer mit Aussicht auf den Pariser Platz rezitiert sie auswendig eine lange Passage aus Rainer Maria Rilkes Briefen an einen jungen Dichter.

Schatzhaus der Erinnerungen

Diese Passage muss sie geprägt haben, seit sie den Text als Schülerin zum ersten Mal las. Darin findet sie wohl auch etwas Wesentliches von sich selbst wieder:

„Wenn der Alltag Ihnen arm scheint, klagen Sie ihn nicht an, sagen Sie sich, dass Sie nicht Dichter genug sind, seine Reichtümer zu rufen; denn für den Schaffenden gibt es keine Armut und keinen armen, gleichgültigen Ort. Und wenn Sie selbst in einem Gefängnis wären, dessen Wände keines von den Geräuschen der Welt zu Ihren Sinnen kommen ließen – hätten Sie dann nicht immer noch Ihre Kindheit, diesen köstlichen, königlichen Reichtum, dieses Schutzhaus der Erinnerungen?“

Germanistikstudium in Lyon

Anne-Marie Descôtes’ Auftreten ist dabei aber keineswegs feierlich, sondern natürlich, ungezwungen. Manchmal lässt ein aufblitzendes Lachen das Temperament erahnen. Vielleicht war es auch diese Passage, die sie zum Germanistikstudium inspiriert hat. Sie hatte gute Lehrer damals in Lyon, die sie auch aufmerksam machten, wenn im Kino Fassbinder-Filme gezeigt wurden. Gleich zwei hintereinander hat sie sich angeschaut damals: „Effi Briest“ und „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“.

Berlin war eine ganz andere Stadt, als Anne-Marie Descôtes zum ersten Mal hier lebte. Das war von 1983 bis 1985. Täglich saß die Germanistikstudentin damals in der Staatsbibliothek und arbeitete an ihrer Abschlussarbeit „Über die Rezeption der französischen Kunst in der Weimarer Republik in den 20er Jahren“. Dass sie einmal als Botschafterin in einem großen Büro am Pariser Platz sitzen würde, hätte sie sich gewiss nicht vorstellen können. Sowieso stand damals ja die Mauer noch. Eher dachte sie an eine akademische Laufbahn in der Lehre.

Studentenleben im geteilten Berlin

Sie genoss das Kulturleben, auch mit Freunden, die als Diplomaten in der Kulturabteilung der Botschaft arbeiteten. Mal ging sie nach Ost-Berlin in die Oper oder ins Museum, mal stand sie stunden- oder gar tagelang an für Karten für die Philharmonie in West-Berlin, um Herbert von Karajan oder Riccardo Muti zu erleben. Über die Organisation der Schlangen damals ist sie noch heute voll des Lobes. Sogar an Essenspausen hatte das Schlangenmanagement gedacht. Seitdem hat sich die Stadt so verändert, dass die Botschafterin sie ganz neu kennenlernen will.

Deutschland kannte sie damals bereits von jährlichen Austausch-Aufenthalten. Zwischen 1973 und 1977 fuhr sie regelmäßig aus Lyon in ein kleines Dorf nach Hessen. Ihre Gastschwester und deren Mutter hat sie nicht lange nach der Ankunft wiedergetroffen. Die Freundschaft hat sich über all die Jahre erhalten. Einmal hat sie auch ein Feriencamp in der DDR mitgemacht, in Torgau an der Elbe. Als Jugendliche habe sie sozialistische Ideale gehabt, erzählt sie. Und fügt freimütig hinzu: „Aber das Camp war sehr ernüchternd.“

Lernt Französisch!

Als Botschafterin will die 57-Jährige dafür werben, dass mehr Deutsche Französisch lernen. Gerade durch die Sprache verstehe man besser, was der andere denkt, welche Kultur er hat. Sprache helfe, Beziehungen zu vertiefen. Präsident Macron fördere deshalb gerade auch sehr bewusst deutsch-französische Lehrpläne. In Deutschland wird es, das weiß sie, schwieriger, Französisch als Pflichtfach bis zum Abitur zu propagieren, weil Schulen Ländersache sind. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten wird es auch gehören, die, wie sie sagt, „exzellenten deutsch-französischen Beziehungen“ mit noch mehr Leben zu füllen und dabei auch neue Wege zu gehen.

Dass Frankreich dieses Jahr Partner der Buchmesse ist, bewegt die Literatur-Liebhaberin sehr. Daraus will sie unbedingt Funken schlagen. Für sie sei die französische Sprache auch ein Symbol der Vielfalt, sagt die Diplomatin auf Deutsch. Kenntnisse der Kultur des jeweils anderen Landes betrachtet sie als Fundament echter Freundschaften.

Mitreisende, hoffnungsfrohe Schaffenskraft

Da vom Rest der Welt Herauforderungen ausgingen, die nur gemeinsam zu bewältigen seien, gehe es ihrer Regierung vor allem darum, Europa noch stärker zu machen. Es sei ein starker Wille, mehr Menschen zusammenzubringen, um die Zusammenarbeit weiter zu verstärken und Europa konkurrenzfähig zu halten in der Welt. Ihre Vorgänger hätten schon hervorragende Netzwerke geschaffen, damit Menschen aus beiden Ländern zusammen arbeiten und forschen. Nun müssten neue Wege gefunden werden, um die Ansätze breitflächig umzusetzen.

Die Ausstrahlung der Botschafterin wird bestimmt von einer mitreißenden, hoffnungsfrohen Schaffenskraft. Sie verkörpert sie geradezu mit ihrem Temperament, das ein elegant-bescheidenes Auftreten im schlichten dunkelblauen Hosenanzug verbindet mit den weiten Vorstellungswelten einer viel belesenen Frau, noch dazu der ersten als französische Botschafterin in Deutschland.

Wem gehört der Weltraum?

In der Kulturabteilung der Französischen Botschaft in Bonn arbeitete Anne- Marie Descôtes bereits von 1987 bis 1990 im Bildungsbereich. Danach besuchte sie die renommierte École Nationale d’Administration (ENA). Es folgten Stationen im Außenministerium, in Brüssel und Washington. Zuletzt war sie Leiterin der Generalabteilung Globalisierung, Kultur, Bildung und internationale Entwicklung des Außenministeriums. Daher bewegen sie Fragen wie die, wem der Weltraum gehört. Auch für Biotechnologie interessiert sie sich.

Zwischen 2008 und 2013 war sie im Außenministerium Direktorin der Agentur für das französische Auslandsschulwesen, zuständig für 500 französische Schulen im Ausland. Die älteste darunter ist das von Hugenotten gegründete Deutsch-Französische Gymnasium in Berlin. Sie freut sich , dass ihre 15-jährige Tochter Clara in so einer historischen Institution nun zur Schule gehen kann.

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