
© dpa/Carsten Koall
Täuschte die Redaktion ihre Hausjuristen?: RBB kündigt wegen „schwerwiegender Fehler“ im Fall Gelbhaar externe Untersuchung an
Im Fall Gelbhaar spielte ein RBB-Bericht eine maßgebliche Rolle. Jetzt gesteht der Sender schwere Verstöße gegen die journalistische Sorgfaltspflicht ein. Der Chefredakteur bittet den Grünen-Politiker um Entschuldigung.
Stand:
Der RBB hat zugegeben, bei seiner Berichterstattung über angebliche Belästigungsvorwürfe gegen den Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar „schwerwiegende Fehler“ gemacht zu haben. Durch die nicht ausreichend geprüften Veröffentlichungen habe der RBB dem Bundestagsabgeordneten aus Pankow Unrecht getan, teilte der öffentlich-rechtliche Sender am Freitag mit. Chefredakteur David Biesinger bat Gelbhaar um Entschuldigung: „Wir bedauern diesen Fehler zutiefst.“ Wie aus einer Antwort des Senders auf eine Tagesspiegel-Anfrage hervorgeht, wurde offenbar auch das Justiziariat getäuscht.
Der Sender präsentierte zugleich eine „erste Fehleranalyse“ und kündigte an, als Nächstes den Fall von einer externen Kommission untersuchen zu lassen. Gegen Stefan Gelbhaar stehen seit mehr als einem Monat Belästigungsvorwürfe im Raum. Er hatte diese als Lüge und parteiinterne Intrige zurückgewiesen.
Der RBB hatte über Vorwürfe auf Basis eidesstattlicher Versicherungen berichtet, diese Berichte aber wieder zurückziehen müssen. Zum einen sei die Quelle nicht ausreichend überprüft worden, schreibt der Sender: „Ein schwerwiegender journalistischer Fehler“. Zum anderen bestehe der Verdacht, dass eine grüne Bezirkspolitikerin aus Mitte unter Vorspiegelung einer falschen Identität Vorwürfe erhoben habe. Sowohl der RBB als auch die Grünen haben Strafanzeigen gestellt.
Erster Fehler: Identität von Zeugin nicht ausreichend geprüft
Wie der Sender nun eingestand, hatten RBB-Journalisten die Identität einer Zeugin nicht ausreichend überprüft, „die für die Berichterstattung zentral war“. Dabei geht es um Shirin Kreße, die am vergangenen Wochenende ihr Mandat als Bezirksverordnete in Mitte zurückgab und ihren Parteiaustritt erklärte.
Diese Person hatte „die bedeutendsten Vorwürfe“ gegen Gelbhaar erhoben. Konkret hatte sie unter einem falschen Namen als „Anne K.“ in einer eidesstattlichen Versicherung für den Sender erklärt, Gelbhaar habe ihr einen Kuss aufgezwungen. Doch an der in der eidesstattlichen Versicherung angegebenen Wohnanschrift lebt keine „Anne K.“, auch im Berliner Melderegister gibt es die Frau nicht. Die eidesstattliche Versicherung enthielt auch kein Geburtsdatum.
Nun erklärte der RBB, der Kontakt zu der Frau habe ausschließlich telefonisch und schriftlich stattgefunden, jedoch nicht persönlich. „Die großen Aufwände, die in die Recherche flossen, griffen an einer Stelle gravierend zu kurz“, teilte der Sender mit.
„Die Bitte um ein Treffen wurde dem Rechercheteam vorerst unter verschiedenen Vorwänden versagt, die Zusendung einer Personalausweiskopie zwar zugesichert, diese Zusicherung jedoch nicht erfüllt“, schrieb der Sender. Neben den ausführlichen Telefonaten habe es „Fürsprache durch Dritte“ gegeben, die das Autorenteam schon lange kenne. Allerdings: Später habe sich herausgestellt, dass auch sie die Person nicht „von Angesicht zu Angesicht“ kannten.
Fazit des Senders: Ein persönliches Treffen wäre zwingend notwendig gewesen, um die Identität der Quelle zu überprüfen. „Der zentrale und schwerwiegende Fehler in der Recherche ist das Fehlen dieser persönlichen Überprüfung und damit verbunden der Überprüfung der Glaubwürdigkeit dieser Zeugin“, sagte Chefredakteur Biesinger. „Eine Veröffentlichung hätte unter diesen Umständen und auf diese Weise nicht geschehen dürfen.“
Täuschte die Redaktion die Hausjuristen?
Dem Justiziariat des Senders lag eine Vorfassung des Berichts bereits seit 30. Dezember vor, wie ein RBB-Sprecher dem Tagesspiegel auf Anfrage mitteilte. Doch die eidesstattliche Versicherung, die sich später als gefälscht herausstellte, lag den Hausjuristen nicht vor, die bereits seit 23. Dezember gemahnt hätten, dass für alle Vorwürfe diese Erklärungen vorliegen müssten.
Nach Angaben eines Sprechers war der „erforderliche Text“ der eidesstattlichen Versicherung dann besprochen worden. „Die Redaktion hat am 31. Dezember telefonisch das Vorliegen der eidesstattlichen Versicherung und deren Inhalt bestätigt“, teilte der Sprecher mit.
Doch erst am 3. Januar schickte die Redaktion dem Justiziariat das Papier. Dass die Redakteure die vermeintliche „Anne K.“ gar nicht persönlich getroffen haben, wussten die Juristen zu diesem Zeitpunkt nicht. Sie hätten „vielmehr den Eindruck gehabt, es habe solche Treffen gegeben“, teilte der Sprecher mit.
Erst zwei Wochen später erfuhren die Juristen, dass alles ganz anders war. Am 16. Januar berichtete der Tagesspiegel über Zweifel an den RBB-Recherchen und an der Existenz von „Anne K.“ und fragte: „Wie belastbar sind die Vorwürfe gegen Stefan Gelbhaar?“ Nun erklärte der Sender auf die Frage, wann er erstmals vom Verdacht erfuhr, dass „Anne K.“ nicht existiert, kurz und knapp: „16. Januar 2025.“
Zweiter Fehler: „Nachgestellte Szene“ in der „Abendschau“ irreführend
Ein zweiter Fehler sei der Bericht in der „Abendschau“ vom 31. Dezember. Dabei wurde eine „nachgestellte Szene“ gezeigt, die den Austausch des Rechercheteams mit der angeblich betroffenen „Anne K.“ zeigen soll. In der Szene war ein Gespräch zwischen zwei Personen zu erkennen, die sich im selben Raum in der Sendezentrale befinden, mit den roten RBB-Fahnen im Hintergrund.
Diese Bilder in Verbindung mit der Angabe „nachgestellte Szene“ ließen den Eindruck entstehen, dass ein persönliches Gespräch stattfand, gestand der Sender ein. „Diese Darstellungsform ist nicht legitim, denn, wie ausgeführt, hat ein solches Treffen nicht stattgefunden.“ Grundsätzliche Sorgfaltspflichten seien dadurch verletzt worden.
Dritter Fehler: Kontrolle hat versagt
Dass die Berichterstattung bei der Abnahme die internen Kontrollen durchlief, ohne dass die Fehler erkannt wurden, verstoße ebenfalls gegen die Sorgfaltspflichten, erklärte der Sender am Freitag selbstkritisch: „Denn auch wenn der RBB aufwendig getäuscht wurde, liegt das Problem darin, dass er sich hat täuschen lassen.“ Die vereinbarten Abläufe und Standards hätten nicht ausreichend gegriffen, da nicht offen thematisiert worden sei, dass niemand die Zeugin persönlich getroffen habe.
Externe Kommission soll den Fall untersuchen
Jetzt soll sich eine externe, „von den fehlerhaften Recherchen unabhängige“ Kommission mit dem Fall befassen – auf Wunsch der Intendantin Ulrike Demmer. Im Zuge einer externen Untersuchung sollen Experten analysieren, ob es noch weitere Fehler gab und welche Konsequenzen der Sender ziehen muss.
„Um den Anschein von Interessenkonflikten zu vermeiden, übergebe ich die weitere Aufklärung in unabhängige Hände“, sagte Chefredakteur Biesinger. „Damit ist ein neutraler Blick gewährleistet, losgelöst von internen Strukturen und Zuständigkeiten.“
Der RBB kündigt zugleich eine Rekonstruktion der Vorgänge an, die zu der fehlerhaften Berichterstattung geführt haben. Die Aufarbeitung soll anschließend veröffentlicht werden. Die Erklärung liefert der Sender mit: „In diesem politisch relevanten Fall ist der RBB nicht allein Berichterstatter, er ist in die Geschehnisse in besonderer Weise involviert.“
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: