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Demonstration des Bündnisses «#Unkürzbar!» gegen Sparpläne des Berliner Senats

© dpa/Fabian Sommer

Wohlfahrtsverbände zum Berliner Sparhaushalt: „Mehr Sonntagsreden von Kai Wegner brauchen wir nicht“

Awo-Geschäftsführer Oliver Bürgel spricht seit Montag für die Berliner Wohlfahrtsverbände. Der Berliner Politik wirft er einen Vertrauensbruch vor.

Stand:

Oliver Bürgel, Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt Berlin, hat am Montag die Federführung für die Liga der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege Berlin von der Diakonie übernommen. Nun wird er zwei Jahre lang für die über 100.000 hauptamtlichen und 50.000 ehrenamtlichen Mitarbeitenden mit ihren aktuell 1200 Projekten sprechen. Im Interview spricht er von den Folgen der Sparpolitik – und wie sich die Träger auf weitere Härten vorbereiten.

Herr Bürgel, SPD-Fraktionschef Raed Saleh sagt, die Koalition hat trotz der Einsparungen den sozialen Kahlschlag verhindert. Sie sehen das anders. Warum?
Es gibt leider ein Missverständnis: Die Politik bezieht sich auf den Haushalt der Sozialverwaltung. Aber wir Wohlfahrtsverbände verstehen Soziales als Querschnittsthema. Soziales ist Gesundheit, Jugend, Bildung, Familie, Justiz und Gesundheit. Die Politik ist nicht ehrlich, wenn sie sagt, es gebe keinen sozialen Kahlschlag. Es hat in allen anderen Arbeitsfeldern, vor allem in der Jugendarbeit, massive Kürzung gegeben.

Die Kürzungen im Haushalt sind das Ergebnis von Betriebswirten, die sich zusammengesetzt haben und Excel-Tabellen durchgegangen sind. Doch sie haben die Komplexität der sozialen Arbeit nicht durchdrungen.

Die Tarifvorsorge war erst weggefallen, das hat die Koalition inzwischen korrigiert. Wie viel Vertrauen ist durch das Hin und Her verloren gegangen?
Für uns war das ein Vertrauensbruch. Als die Entscheidung zunächst kam, war ich fassungslos, weil wir im Vorfeld immer wieder darauf hingewiesen haben. Wir als Arbeiterwohlfahrt haben Anfang des Jahres einen Tarifvertrag bis Mitte 2026 abgeschlossen, im Vertrauen darauf, dass die Politik ihr Wort in Hinblick auf die Refinanzierung hält. Ja, es wurde nun geheilt. Aber ich glaube, es braucht mehr, um das Vertrauen wiederherzustellen.

Was denn?
Die Koalition sollte sich öffentlich in einer Erklärung zur Tarifvorsorge bekennen. Wir fordern zudem eine zweijährige Dauer von Zuwendungen. Das gäbe uns Sicherheit. Und natürlich: Die Hauptstadtzulage. Die Ungleichbehandlung unserer Mitarbeiter und der Landesmitarbeiter ist ungerecht. Nur mehr Sonntagsreden von Kai Wegner und anderen, wie wichtig wir sind und wie gut es ist, dass es uns gibt, brauchen wir nicht.

Einige Einsparungen wurden zurückgenommen. Doch in vielen Bereichen ist weiter unsicher, wie viel Geld wegfällt. Was bedeutet das für die Träger?
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehen in ein völlig unsicheres Jahr 2025. Ich habe vergangene Woche Gehälter für 160 Mitarbeiter freigezeichnet, die in den Januar hereingehen. Ich weiß gar nicht, ob ich das Geld bekomme. Wir haben auch kleinere Mitgliedsorganisationen, die mussten Mitarbeiter entlassen oder durften auslaufende Verträge nicht verlängern. Und die Zuwendungen sind ja nur das eine.

Wie meinen Sie das?
Der Finanzsenator hat bereits das nächste Themenfeld aufgemacht: die entgeltfinanzierten Leistungen, das sind zum Beispiel Hilfen zur Erziehung, Kindertagesstätten, aber auch die Hilfen für Menschen mit Behinderungen. Wir fürchten, dass es hier zu Reduzierung von Standards kommen wird. Das heißt, ein Jugendlicher, der eigentlich vier Stunden Unterstützung benötigt, bekommt dann weniger.

 AWO-Geschäftsführer Oliver Bürgel (M.), Diakoniedirektorin Dr. Ursula Schoen (l.) und Diakonie-Vorständin Andrea Asch bei der Übergabe der Federführung der Liga-Spitzenverbände der Berliner Wohlfahrtsverbände.

© DWBO/M.Kindler

Wie bereiten sich die Wohlfahrtsverbände auf weitere Einschnitte vor?
Ich merke, dass manche Projektverantwortliche sich zurückziehen, nicht mehr mutig neue Projekte angehen. Vielen geht es nur noch darum, die jetzigen Projekte möglichst zu halten.

Dabei liegen die Bedarfe auf der Straße. Die Politik muss verstehen, dass wir Wohlfahrtsverbände kein Kostenfaktor sind, sondern das Gegenteil. Wir versuchen, Kosten zu verhindern. Wenn wir etwa heute Jugendliche, die Orientierungsprobleme haben, nicht unterstützen, werden hohe Folgekosten entstehen. Dann werden wir wieder über irgendwelche Silvesterkrawalle diskutieren. Insofern werden wir als Verbände weiter kämpfen und mobilisieren. Und uns für eine gesamtstädtische Steuerung der sozialen Angebote einsetzen. Hier sehen wir auch den Regierenden Bürgermeister in der Verantwortung.

Inwiefern?
Der Regierende Bürgermeister sollte sich der Aufgabe annehmen und alle relevanten Ressorts und Verbände für eine strategische Planung zusammenbringen. Dann braucht es vielleicht auch nicht immer neue Projekte, sondern vor allem eine kluge Gestaltung der bestehenden Angebote.

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