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Scharfe Kritik von Enteignungs-Initiative: Berliner Linke sucht weiter eigenen Umgang mit Volksentscheid
Die Partei hat ihr Schicksal eng mit der Umsetzung des Volksentscheids zur Enteignung verbunden. Für die Koalition könnte dies zur Zerreißprobe werden.
Stand:
Mehr als drei Monate nach Bildung der Koalition mit SPD und Grünen sucht die Linkspartei weiter ihren Umgang mit dem Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co enteignen“. Zwar verabschiedeten die knapp 170 Delegierten des Landesparteitages am Sonnabend einen Dringlichkeitsantrag, in dem erklärt wird, dass die Beteiligung der Linken „unter anderem“ von der Umsetzung des Volksentscheids abhängt.
Darüber, mit welcher Konsequenz das Vorhaben, die Wohnungsbestände großer Unternehmen zu vergesellschaften, in die Tat umgesetzt wird und ob die Partei – im Fall eines Scheiterns der Bemühungen – die Koalition verlassen wird, gibt es unterschiedliche Ansichten. „Ob die Koalition dann für uns noch haltbar ist, werden wir dann bewerten müssen“, sagte Parteichefin Katina Schubert in ihrer Auftaktrede, die coronabedingt per Videoschalte in den Parteitagssaal übertragen wurde.
Die am vergangenen Dienstag vom Senat eingesetzte Expertenkommission, die Möglichkeiten der Umsetzung des Volksentscheids prüfen soll, bezeichnete Schubert als „wichtigen Schritt“ und sprach von einer „historischen Chance, den Artikel umzusetzen“. Forderungen wie die transparente Arbeitsweise und die Viertelparität der Kommission seien erfüllt worden, erklärte die Linke-Landesvorsitzende und rief die SPD dazu auf, sich nach Abschluss der Kommissionsarbeit nicht von dem Vorhaben zu verabschieden.
Vertreter des in diesem Punkt radikaleren Lagers der Partei wie die beiden Abgeordnetenhausmitglieder Niklas Schenker und Ferat Kocak machten deutlich, dass eine Regierungsbeteiligung ohne Enteignungsgesetz keine Option sein dürfe.
Eine Wenn-Dann-Bedingung, die Schubert auf Tagesspiegel-Nachfrage explizit ausschloss. Auch wenn sie in ihrer Rede einen Austritt aus der Koalition zumindest als Option erwähnt hatte, erklärte sie, die Ergebnisse der Kommission müssten bewertet werden, wenn sie vorliegen. Auch die Möglichkeit eines zweiten Volksbegehrens – dann mit Gesetzentwurf – erwähnte sie in ihrer Rede.
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Heftige Kritik am Verhalten der Linkspartei übte mit Bana Mahmood eine Vertreterin der zu Beginn des Parteitages vor dem Hotel Estrel demonstrierenden Enteignungs-Initiative. Die Linke habe sich im Wahlkampf eng an die erfolgreiche Kampagne der Initiative angelehnt, unterlasse es im Bündnis mit SPD und Grünen aber, entschlossen für die Umsetzung des Volksentscheids zu kämpfen. Von einem „Supergau“ sprach Mahmood mit Bezug auf die aktuelle Situation und warf der Parteiführung vor, Absprachen nicht eingehalten zu haben.
Enteignungs-Initiative sieht sich "getäuscht"
„Wir fühlen uns von der Linken getäuscht“, sagte Mahmood und appellierte an die Partei, die „historische Chance der Enteignung“ nicht dem Koalitionsfrieden zu opfern. Geschehe das nicht, entstehe der Eindruck, „dass die Unterstützung für den Volksentscheid nur heiße Wahlkampfluft war“, erklärte Mahmood in ihrer insbesondere von den Bezirksverbänden Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg beklatschten Rede. In den Reihen der Parteiführung herrschte dagegen eisiges Schweigen.
Darüber hinaus nutzten Schubert sowie die Senatsmitglieder Katja Kipping, Lena Kreck und Klaus Lederer ihre Parteitagsreden für Appelle an die Geschlossenheit der Partei – und deutliche Kritik an Russland. „Wir werden den Abwärtstrend nur stoppen können, wenn wir zusammenstehen, klären, was uns trennt, und hervorheben, was uns eint“, mahnte Schubert. „Da draußen warten genug Aufgaben, als dass wir uns untereinander spalten lassen sollten“, sagte Lederer.
Er fügte unter dem Applaus der Delegierten hinzu: „Ich habe nicht 30 Jahre die Partei mit aufgebaut, um jetzt zuzusehen, wie sie sich selbst kaputtmacht.“ Kipping dankte den unzähligen freiwilligen Helfern, die in den ersten Tagen nach Ausbruch des Ukraine-Krieges die Ankunft von Geflüchteten organisiert hatten und mahnte, die große Aufgabe ihrer Integration stehe erst noch bevor. An der Kriegsschuld Russlands gebe es „nichts, aber auch gar nichts mehr zu relativieren“, sagte Kipping.
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Zuvor hatte Schubert erklärt: „Wir mussten erkennen, Russland ist eine imperialistische Macht, die Krieg als Mittel bewusst einsetzt. Russland ist eine Diktatur, es ist ein kapitalistisches System, in dem Oligarchen und Monopole Politik und Preise diktieren.“ Andere Stimmen blieben am Sonnabend eindeutig in der Minderheit.
In ihrem mit deutlicher Mehrheit verabschiedeten Leitantrag fordert die Linke unter anderem die Übernahme von Energieschulden bei Haushalten mit geringem Einkommen. Wer Transferleistungen bezieht, soll Ausgleichszahlungen für stark steigende Energiekosten erhalten. Darüber hinaus will die Linke Unternehmen wie die Gasag oder die S-Bahn Berlin kommunalisieren.
Neue Stadtteilzentren sollen geschaffen, öffentliche Bibliotheken gestärkt werden. Ersatzfreiheitsstrafen sollen abgeschafft, Armutsdelikte aus dem Strafgesetzbuch gestrichen, die Resozialisierung gestärkt werden. Dazu sagte Justizsenatorin Kreck: „Schöne Knäste sind für mich leere Knäste.“
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