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Pfarrerin Deisting

© Kirchengemeinde Siemensstadt

Berliner Pfarrerin über 2022 und 2023: „Das Leben ist ein bisschen kurz, um lange wütend zu sein“

Kriege, Sorgen und echte Mutmacher: Hier schreibt die Pfarrerin von Siemensstadt über Hilfe in der Not, Pläne, Neubauviertel von Spandau und das Weihnachtsfest.

Es ist eine kleine, feine Tradition im Spandau-Newsletter vom Tagesspiegel: Weihnachten gehört die Rubrik „Nachbarschaft“ einer Pfarrerin oder einem Pfarrer. In diesem Jahr: Kathrin Deisting. Sie stammt aus Wernigerode im Harz, hat in Kanada und Frankreich gelebt und wohnt seit zehn Jahren in Spandau.

Nach ihrem zweijährigen Entsendungsdienst ist sie ab 2023 die neue, feste Pfarrerin in Siemensstadt. Im Tagesspiegel-Newsletter für Berlin-Spandau schreibt sie über die Lebensfreude nach Corona, über Hilfsbereitschaft und Gemeinsinn, über das Milliardenprojekt Siemens-Campus, die Neubaugebiete – und die Freundlichkeit gegen die Wut.


Die Weihnachtsansprache der Pfarrerin

„Wie in jedem Jahr feiern wir Weihnachten. Aber es ist nicht wie in jedem Jahr.

Alles ist anders. Wir haben zwei Jahre mit Corona hinter uns. Im Moment sind viele Menschen krank, die Betten in den Krankenhäusern reichen nicht. Und es ist Krieg, ganz nah, nur eine Tagesfahrt mit dem Auto entfernt.

Menschen aus der Ukraine brauchen Hilfe - und die Siemensstädter reagierten schnell. Hier der Blick in die Turnhalle und gesammelte Spenden.
Menschen aus der Ukraine brauchen Hilfe - und die Siemensstädter reagierten schnell. Hier der Blick in die Turnhalle und gesammelte Spenden.

© Kirchengemeinde Siemensstadt

Die Pfadfinder unserer Gemeinde waren Teil derer, die im März Decken, Kleidung und Medikamente in die Ukraine gebracht haben. Dann kamen viele Menschen bei uns an. Auch in Spandau haben aus der Ukraine Geflüchtete ein zweites zu Hause finden können. Viele Unterkünfte wurden zunächst privat zur Verfügung gestellt. Dann zogen Bezirk und Senat schnell nach.

Schnelle Flüchtlingshilfe am Rohrdamm

In Siemensstadt wurden die Tempohomes am Rohrdamm zu einer Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete aus der Ukraine. Das Spendenaufkommen war riesig. Von einem Tag auf den anderen war unser Gemeindehaus randgefüllt mit Kleiderspenden, Hygieneartikeln, Spielzeug. Der Bezirk stellte den Vorraum der Turnhalle am Lenther Steig zur Verfügung, ich kam mit Benjamin Schneider vom Bezirksamt ins Gespräch. Wir als Kirchengemeinde waren vor Ort und haben die Spendenausgabestelle aufgebaut. Besonders sind hier Wolfgang Langkau und Regine Maaß aus unserer Gemeinde für ihr unermüdliches und liebevolles Engagement von Herzen Dank zu sagen.

2022 wurde so vieles nachgeholt, das im letzten Jahr aufgrund von Corona nicht ging.

Pfarrerin Kathrin Deisting

Im nun bald vergangenen Jahr hat so viel Leben in Spandau, und eben auch in unserer Gemeinde stattgefunden. In diesem Jahr wurde so vieles nachgeholt, das im letzten Jahr aufgrund von Corona nicht ging.

Ich hatte viele Taufen und es gab wunderschöne Trauungen. Unsere Christophoruskirche hatte Geburtstag, 90 Jahre ist sie alt geworden. Gefeiert wurde aber erst im August mit Festgottesdienst, Kaffee und Kuchen und der Siemens Big Band im Gemeindesaal.

Die Kirchengemeinde in Siemensstadt: endlich wieder unter Menschen.
Die Kirchengemeinde in Siemensstadt: endlich wieder unter Menschen.

© Kirchengemeinde Siemensstadt

Und es wurde noch mehr gefeiert, die Fête de la Musique war zum ersten Mal in Siemensstadt. Am Sonntag gab es mit der „Very Merry Christmas Music“ endlich wieder Country Musik in der Kirche. Man hat gemerkt, die Fans hatten es sehr vermisst.

Tango-Gottesdienst mit dem Sportverein

Und der Tango-Gottesdienst in Kooperation mit der Tangoabteilung des SC Siemensstadt wird 2023 auch wieder stattfinden.

Nachhaltigkeit und die Bewahrung der Schöpfung gehört zum Auftrag, den wir als Kirche haben. In diesem Jahr haben wir damit einen Anfang gemacht. In der Gemeinde hat ein Projekt zur Permakultur begonnen, das mit einer Gruppe, die Lust am Gärtnern hat, umgesetzt wird.

Alle packen gemeinsam an und säubern den Park.
Alle packen gemeinsam an und säubern den Park.

© Kirchengemeinde Siemensstadt

Die Initiative „Sauberer Kiez Spandau“ ist mit einer großen Auftaktveranstaltung für die Siemensstadt im Pfarrgarten unserer Gemeinde im März gestartet. 250 Menschen kamen, mit dabei auch Bezirksstadtrat Thorsten Schatz und der Superintendent des Kirchenkreises Florian Kunz. Sie nahmen einen Greifer in die Hand und befreiten den Wilhelm-von-Siemens-Park von Müll. Seitdem wird einmal in der Woche für eine Stunde im Kiez aufgeräumt.

In Haselhorst sind schon Neubauquartiere entstanden. Es gibt viel Wohnraum, aber noch verhältnismäßig wenig Ansprache für die Menschen im Quartier.

Pfarrerin Kathrin Deisting

Die Neubaugebiete in Siemensstadt und Haselhorst beschäftigen die Bürgerinnen und Bürger. Wir als Gemeinden in Spandau sind mittendrin und wollen da sein für die Menschen – diejenigen, die schon da sind und die, die noch kommen. In Haselhorst sind schon Neubauquartiere entstanden. Es gibt viel Wohnraum, aber noch verhältnismäßig wenig Ansprache in Form von Räumen für Begegnung für die Menschen im Quartier. Wir sind dabei, ein Konzept zu erarbeiten und gemeinsam mit Diakonie und Akteuren vor Ort etwas zu schaffen, was für eine lange Zeit Jung und Alt dienen möge.

Siemensstadt Square kommt mit großen Schritten auf uns zu, auch wenn es sicher noch einige Jahre dauern wird, bis das Areal mit Industrie, Wissenschaft und Wohnen vollendet sein wird. Als Pfarrerin bin ich Teil der Vernetzungsgruppe, zu der die Siemens AG, der Bezirk und der Senat in regelmäßigen Abständen einlädt. Meine Hoffnung ist, dass es eine gute Verbindung zwischen alter und neuer Siemensstadt geben wird. Ein guter Start ist der Info-Pavillon, der auf dem Eingangsplatz zum Campus entstehen soll.

Das Jahr 2023 wird das Jahr der Taufe

Das Jahr 2023 wird das Jahr der Taufe. Wir werden in Spandau regionale Tauffeste anbieten. Es wird ein großes Tauffest am 8. Juli geben, aber natürlich auch viele Taufen im Laufe des Jahres.

Ich glaube, ich bin noch nie so häufig wie in diesem Jahr gefragt worden: Wenn es einen Gott gibt, wie kann es sein, dass so viel Leid geschieht? Wieso lässt Gott das zu? Ich glaube nicht, dass Gott dieses Leid macht. Sondern, wie am Krieg in der Ukraine sichtbar, machen Menschen es. In anderen Fällen ist es so, dass Leid geschieht und wir nicht wissen, warum.

Wenn ein geliebter Mensch plötzlich verstirbt oder es eine Diagnose gibt, mit der nicht zu rechnen war. In meinen Augen will Gott nicht, dass Leid geschieht. Aber wenn es geschieht, ist er/sie da. (Gott ist auch in allem Guten da, aber darum geht es ja gerade nicht.) Gott ist dabei und trägt uns da durch – egal wie schwer es ist. In welcher Lebenssituation auch immer ich gerade bin, ich kann es Gott (oder welchen Namen auch immer Sie Gott geben würden, bspw. göttliche Energie) ans Herz legen, alles vor ihn legen. Ich kann all‘ meine Wut, Trauer, Verzweiflung und allen Vorwurf ihm vor die Füße werfen. Und ich kann all‘ meine Dankbarkeit, Liebe und Freude am Leben an Gott richten.

In diesem Jahr hat eine Frau in unserer Gemeinde gesagt, dass sie lange nicht wusste, an wen sie ihren Dank für die kleinen großen Glücksmomente im Leben richten soll. Doch wenn es so etwas wie Gott gibt, dann kann sie es nun dorthin richten.

Mit jedem Licht am Adventskranz ist es heller geworden. In aller Dunkelheit leuchtet das Licht hell und vertreibt das Dunkel. Die vier Kerzen am Adventskranz sind entzündet und es wird Weihnachten. Aber wie wird eigentlich Weihnachten?

Ich glaube, dass es nicht nur die großen Taten sind, die zählen. Sondern es sind auch die kleinen Gesten im Alltag, die einen Unterschied machen. Wie ich meinem Nachbarn, meinem Mitmenschen begegne, prägt unser Miteinander. Wenn wir einander freundlich und mit Wohlwollen behandeln, dann ist wieder ein kleiner großer Schritt in Richtung Frieden gemacht.

Das Leben hier auf Erden ist ein bisschen kurz, um zu lange wütend zu sein.

Pfarrerin Deisting

An Weihnachten ist Gott Mensch geworden. Er ist auf die Erde gekommen, um vom Frieden zu erzählen, und um Frieden in die Herzen der Menschen zu bringen. Ich glaube, es wird Weihnachten, wenn mit Mitmenschlichkeit aufeinander zugehen, vielleicht der Nachbarin, von der wir wissen, dass sie wenig Besuch bekommt ein kleines Geschenk bringen und kurz plauschen. Und schneller einander verzeihen als lange etwas nachzutragen.

Das Leben hier auf Erden ist ein bisschen kurz, um zu lange wütend zu sein.

Das Friedenslicht aus Bethlehem. Es wird von den Pfadfindern zu uns gebracht und leuchtet in den Gemeinden. Auch nach Siemensstadt ist es gekommen, und wer mag, kann sich das Licht mit nach Hause nehmen – mit einer selbst mitgebrachten Laterne oder einer Kerze aus der Kirche. Es ist ein Symbol dafür, was damals vor 2000 Jahren geschah. Gott wurde Mensch.

Auf dass Frieden werde, in dem Herz eines jeden Menschen, auf der gesamten Erde. Ich wünsche Ihnen/uns allen wunderschöne und gesegnete Weihnachten. Und kommen Sie behütet ins neue Jahr, Ihre Pfarrerin Kathrin Deisting.“


Und hier noch mehr Themen, die Sie im aktuellen Spandau-Newsletter vom Tagesspiegel finden

Darin bündeln wir Bezirksnachrichten, greifen Kiez-Debatten auf, nennen Termine und Tipps. Einmal pro Woche unter tagesspiegel.de/bezirke. Hier einige der Themen im aktuellen Spandau-Newsletter.

  • Taucher reinigen Badestrände von Kladow bis Hakenfelde
  • Weihnachtsansprache: die Pfarrerin von Siemensstadt über Krieg, Corona und Neubauviertel
  • Schafe, Pfannkuchen und Nachtchöre: 11 Kirchentipps zum Fest
  • BSR sammelt Weihnachtsbäume ein – die Termine
  • Melanchthonplatz: Erneuerung bis 2030? Fotos und ganz unterschiedliche Aussagen des Stadtrats
  • Wilhelmplatz: Umbau und neuer Name? Ideen von Lesern – und ganz unterschiedliche Aussagen des Stadtrats
  • Metzer Platz: Baustellennews aus der Pichelsdorfer Straße und der Zeitplan des Stadtrats (und Infos zum WC-Standort)
  • Gefrorene Havel: der 1. Eisbrecher und Tipps der DLRG
  • BVG, Bienen und Blindenleitsysteme in Hakenfelde: Letzte Sitzung 2022 im Rathaus
  • Tauben, Fahrradreparatursäulen und eine Holperpiste: Erste Sitzung 2023 im Rathaus
  • Nach S-Bahn-Pleite: Scharfe Kritik vom Fahrgastverband an der Verkehrssenatorin
  • 40 Jahre Wanderverein: die allerletzte Wanderung am Silvestertag
  • 825 Jahre Spandau – mit einem kuriosen Foto und drei Tipps für die Ferien
  • Weihnachtssingen und Neujahrsläufe: die besten Sport-Termine
  • Kino-Tipps für die Feiertage aus Spandaus bestem Altstadt-Kino
  • Die neuen Einwohnerzahlen für jeden Ortsteil
  • Mein Dank an Sie
  • …und noch mehr im Spandau-Newsletter: tagesspiegel.de/bezirke

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