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© Thilo Rückeis

Technologie: Berliner Medizintechnik ist weltweit gefragt

Herzschrittmacher und Kunstherzen, Prothesen, medizinische Laser, Mikropumpen und Geräte für die schonende „Schlüssellochchirurgie“ – aus Berlin wird Medizintechnik in alle Welt geliefert. Und die Branche zeigt sich krisenfest.

2009 habe das Geschäft „gebrummt“, sagt Helmut Kunze von der Initiative TSB Medici, die zur Technologiestiftung Berlin gehört. „Operiert wird ja immer“, Arztpraxen und Kliniken benötigten regelmäßig neue Apparate und Materialien. Von einem „kontinuierlichen Umsatzwachstum“ auf derzeit 30 Millionen Euro jährlich spricht der Geschäftsführer des Kunstherzspezialisten Berlin Heart GmbH, Stefan Thamasett. Nur in Ländern wie Russland, wo die Kunstherz-Therapie „noch nicht so etabliert“ sei, gebe es spürbare Rückgänge durch die Wirtschaftskrise.

„Wir wachsen weiter“, heißt es auch von der Firma Biotronik, die zu den weltweiten Marktführern bei Herzschrittmachern zählt und 1963 das erste deutsche implantierbare Modell entwickelt hatte. Heute sieht Sprecherin Amela Malja das Unternehmen als „Pionier bei der Telemedizin“. Denn die jüngste Innovation ist ein Herzschrittmacher, der automatische Diagnosen per Mobilfunk weiterleiten und notfalls per SMS oder E-Mail einen Arzt alarmieren kann. Mehr als 200.000 Patienten wurde das Gerät bereits implantiert, 2009 war Biotronik für den Deutschen Zukunftspreis nominiert. Am Stammsitz in Neukölln sind 2100 Mitarbeiter tätig, der Nachwuchs wird unter anderem durch Kooperationen mit Schulen im Bezirk gefördert. 2008 kürte die Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK) die Firma zum besten Ausbildungsbetrieb. Produziert wird auch in den USA und in der Schweiz, insgesamt gibt es weltweit etwa 5100 Beschäftigte.

Stadtweit existieren etwa 190 Medizintechnikunternehmen mit 8500 Mitarbeitern – das entspricht neun Prozent aller Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe und einem Zuwachs von 2500 Jobs seit dem Jahr 2004. Bekannte Adressen sind der Campus Berlin-Buch mit Unternehmen wie der Eckert & Ziegler Strahlen- und Medizintechnik AG sowie der Technologiepark Adlershof. Doch auch im Südwesten geschieht einiges: Berlin Heart etwa gab im Vorjahr seinen Weddinger Standort auf und konzentrierte seine Produktion in Lankwitz. Dort nutzen 230 Beschäftigte nun einen größeren Reinraum für die sterile Produktion.

Die Steglitz-Zehlendorfer Wirtschaftsstadträtin Barbara Loth (SPD) und der Verein „Berlin Südwest“ knüpfen gerade ein Gesundheitsnetzwerk zwischen mittelständischen „Life Science“-Betrieben, Kliniken, der FU und anderen wissenschaftlichen Institutionen. Mit EU-Mitteln startete das Projekt „Wirtschaft trifft Wissenschaft“. Am Dienstag trafen sich Experten in Barbara Loths Büro, um über ein künftiges Technologiezentrum zu sprechen. Die Stadträtin möchte „Wissenschaftlern, die sich selbstständig machen wollen, kostengünstig Flächen in der Nähe von Wissenschaftseinrichtungen zur Verfügung stellen“. Auch Biotechnologie-Firmen hätten ihr Interesse an Laborflächen signalisiert. Als mögliches Grundstück für das Technologiezentrum gilt das einstige American Hospital an der Fabeckstraße in Lichterfelde.

Dass Berlin ein führender Standort der Medizintechnik ist, zeigt sich auch im Herzen der Stadt zwischen Potsdamer Platz und Brandenburger Tor – im „Otto Bock Science Center“, dem weißen Haus mit ungewöhnlicher Fassade in der Ebertstraße. Es ist eingefasst von einer sich windenden Streifenarchitektur, die menschlichen Muskelfasern nachempfunden ist. Innen finden sich Tagungsstätten, Beratungsräume für die internationale Kundschaft – und eine sinnliche Erlebniswelt zum menschlichen Körper. Ein Showroom zeigt, wie medizinische Spitzentechnologie heutzutage Menschen mit Handicap helfen kann.

Das Unternehmen Otto Bock wurde 1919 an der Köpenicker Straße in Kreuzberg gegründet – und lieferte Prothesen vor allem für Kriegsversehrte. Seit 1990 führt Hans Georg Näder die Firmengeschäfte; er hat die Mitarbeiterzahl fast verdreifacht und den Umsatz vervierfacht. 2008 machte die Gruppe einen Umsatz von 576 Millionen Euro, das ist ein Plus von 7,4 Prozent im Vergleich zu 2007. Allein 476 Millionen entfielen auf die Sparte Otto Bock Health Care, den Weltmarktführer bei Prothetik, Rollstühlen und Orthetik mit Sitz in Duderstadt. Heute gibt es Tochterfirmen in 40 Staaten, die mehr als 140 Länder beliefern. Den Umsatz mit Health Care schätzt Näder auf 500 Millionen Euro im vorigen Jahr, bei positiver Ergebnisentwicklung. In der Sparte waren Ende 2009 knapp 4200 Menschen weltweit beschäftigt, ein Drittel davon in Deutschland.

Heute haben sich „die Böcke“, wie das Unternehmen von Branchenkennern genannt wird, als Paralympics-Sponsor etabliert, der nicht nur Hochleistungssportler mit computergesteuerten Prothesen ausstattet. Selbst ein Pilot der französischen Regierungs-Flugzeugstaffel kann dank eines künstlichen Beins seinen Beruf weiter ausüben. Jetzt gelang es sogar, einem jungen Mann, der beide Arme bei einem Starkstromunfall verlor, zwei Prothesenarme anzupassen, die er mithilfe seiner Gedanken lenkt. Eine Weltneuheit, made by Bock aus Berlin. Der Mann hat gerade seinen Führerschein gemacht, fährt Auto und geht wieder arbeiten.

Das Berliner Science Center wird während der Paralympischen Spiele in Vancouver im März nachempfunden, auch bei der World Expo Schanghai ist Näder präsent. Er hat schon etliche Unternehmerpreise bekommen, am Donnerstag kommt bei einem Festakt im Hotel Adlon ein weiterer dazu: Die Gesundheitswirtschaft kürt ihn zum „Manager des Jahres“.

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