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Ein Sanitäter vom Deutschen Roten Kreuz vor einem Krankenwagen.

© IMAGO/Michael Bihlmayer

Hausärztemangel in Ost-Berlin: Jetzt sollen Rettungssanitäter die Lücke füllen

Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg haben zu wenig Hausärzte. Das DRK will helfen – mit Sanitätern, die per Videoanruf mit einem Arzt verbunden sind.

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Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) will mit einem neuen Telemedizin-Projekt ärztlich unterversorgte Regionen am Ostberliner Stadtrand entlasten. Speziell geschulte Rettungssanitäter:innen des DRK sollen demnach Hausbesuche bei Patient:innen durchführen, die akut medizinische Hilfe benötigen, aber nicht zwingend einen Arzt.

Den entsprechenden Plan stellte der Wohlfahrtsverband am Mittwoch zusammen mit der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin vor, der künftigen Partnerin des Projekts. Diese betreibt den Patientenservice „116117“. Ruft man unter der Nummer an, hört sich jemand am anderen Ende der Leitung die Symptome an und entscheidet, ob sofort eine Ärztin benötigt wird, oder ob es reicht, am nächsten Tag zum Hausarzt zu gehen. In dringenden Fällen schickt die Leitstelle einen Arzt vorbei.

Das Vorhaben von DRK und KV Berlin soll hier andocken. Demnächst könnten Rettungssanitäter:innen den Hausbesuch erledigen, die per Tablet vom Arzt angewiesen werden. Denn erstens fehlt das Personal: Beim fahrenden Bereitschaftsdienst (ÄBD) der KV waren in den vergangenen Monaten rund zehn Prozent der Dienste unbesetzt, die Wartezeiten entsprechend lang. Zweitens gibt es im Berliner Osten enorme Versorgungslücken bei Haus-, Kinder- und Fachärzt:innen.

Wer will schon 80 Stunden pro Woche arbeiten

Am düstersten sieht es im Bezirk Marzahn-Hellersdorf aus, insbesondere in den Plattenvierteln, in Lichtenberg gibt es ebenfalls zu wenige Hausärzt:innen. Deutlich besser ist es um Treptow-Köpenick bestellt. Die beiden Bezirke hat die KV zu einem Planungsbereich zusammengefasst, dort blieben zuletzt 79,5 Arztsitze unbesetzt. In Treptow-Köpenick waren es 38,5.

38,5
Arztsitze sind in Treptow-Köpenick nicht besetzt.

Der Chef der KV, Burkhard Ruppert, rechnete am Mittwoch grob vor, dass wegen der Unterversorgung rund 130.000 Menschen im Berliner Osten „herumrennen und sich jedes Quartal einen Arzt suchen müssen“, weil sie keine Stammpraxis hätten.

Als Planerin kann die KV nur Anreize setzen, sie darf niemanden zur Niederlassung abkommandieren. Obwohl sie schon einiges anstellt, etwa Praxisneugründungen mit üppigen Summen fördert, scheint es die junge Generation von Ärzt:innen nicht so attraktiv zu finden, 80 Stunden pro Woche zu arbeiten und ein kleines, eigenes Unternehmen zu leiten. Obendrauf kommt, dass sich an Orten mit vielen armen Menschen, wie es in Marzahn der Fall ist, weniger verdienen lässt mit Selbstzahlerleistungen und Privatversicherten.

Der Arzt steuert die Fachkraft fern

Jene unterversorgten Viertel soll das Telemedizin-Projekt der DRK künftig erreichen. Laut dem Berliner DRK-Präsidenten Mario Czaja, der nach fast zwanzig Jahren in der Landespolitik inzwischen für die CDU im Bundestag sitzt, ist es die Region, in das die KV am häufigsten Ärzt:innen zum Hausbesuch entsendet. Logisch, findet er: Dort gebe es nämlich am wenigsten Arztpraxen.

Als Basis für das Projekt soll ein frisch angemietetes Objekt im Marzahner Norden fungieren. Wer in den anliegenden Gebieten wohnt und künftig einen Hausbesuch vom ÄBD abgestattet bekommt, bei dem klingelt unter Umständen eine der DRK-Sanitäter:innen. Die Fachkraft wird dann mit einem Arzt in der Schwarzwurzelstraße per Telefon oder Tablet verbunden sein.

Der Arzt steuert sie dann gewissermaßen fern, gibt etwa Anweisungen. Falls es doch nötig ist, fährt er selber raus. Die Vision ist, auf diese Weise mehr Patient:innen pro Stunde behandeln zu können und weniger teure Ärzt:innen bezahlen zu müssen.

Nach jetzigem Stand soll das Projekt noch im ersten Halbjahr 2025 starten. Mit einem Arzt sei man bereits im Gespräch, der könne sich den Job gut vorstellen. Im niedersächsischen Delmenhorst läuft ein vergleichbares Projekt seit mehreren Jahren erfolgreich.

So steigt die Attraktivität des Ostens

Allerdings sind noch viele Fragen offen: unter anderem, ob die Krankenkassen das Vorhaben finanzieren. Deren Kassen sind bekanntlich klamm, das deutsche Gesundheitssystem gilt als ineffizient und teuer. DRK und KV tragen also ein ökonomisches Argument vor: Sie hoffen, dass das Vorhaben die Akut- und Notfallversorgung entlastet ‒ wenn zum Beispiel seltener der Rettungswagen vorfährt oder man weniger Ärzt:innen bei den Hausbesuchen benötigt, dann sparen die Kassen bares Geld.

KV-Chef Ruppert meint, mit dem Projekt würde auch die Attraktivität des Berliner Ostens wieder steigen. Denn es entlaste die verbliebenen Praxen. Nur: Alleine, also ohne die Kassen, werde die KV das Projekt auf keinen Fall finanzieren, sagte er.

Die 150 Hausärzt:innen, die es in Marzahn gibt, hätten in den vergangenen Jahren mehr geleistet, als sie sollen. Das weiß die KV, weil allein im vierten Quartal 2023 insgesamt 1,2 Millionen Euro Honorare zu wenig an diese Leute ausgezahlt wurden. Denn es gilt die Budgetierung: Wer mehr Leistungen abrechnet, als er darf, der erhält für diese Behandlungen nur einen gedeckelten Betrag.

Doch die Hausärzt:innen atmen auf, bald ändert sich das: Ein entsprechender Antrag über die „Entbudgetierung“ hat im Bundestag kürzlich die erste parlamentarische Hürde genommen. Das könnte ihr Problem lösen, aber nicht die Geldsorgen der Kassen.

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