
© Foto: Dussmann Promo
Kantinen-Essen, das neugierig macht: Königsberger Klopse in Berlin – normal oder wie früher?
Für die Ernährungswende in Kantinen braucht es Geschichtenerzähler, sagt Dussmanns Food-Innovator Christian Hamerle. Und: Niemand müsse um den Schweinsbraten bangen.
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Der größte Hebel im Klimawandel liegt auf dem Teller, ist sich Christian Hamerle sicher. Immerhin essen in Deutschland täglich 17 Millionen Menschen in Mensen und Kantinen – in der Kita, der Schule, im Betrieb, an der Uni und im Altersheim. Hamerle ist Chefplaner beim Dussmann Food Innovation Lab und tüftelt dort an der Speisekarte von morgen – und an den richtigen Worten, um den Kantinenbesuchern ein nachhaltiges Essen schmackhaft zu machen.
„Wir brauchen Geschichtenerzähler an unserer Seite“, sagt Hamerle. Gerade bei pflanzlichen Proteinen dürfen nicht immer nur von „Fleischersatzprodukten“ oder „3D-Drucker-Alternativen“ die Rede sein. Stattdessen brauche es eine Sprache, die neugierig macht.
Für die Kantine erprobt werden Rezepte und deren Wortgewand im Restaurant Ursprung, das sich im Untergeschoss des Kulturkaufhauses Dussmann befindet. Auf dem Menü steht dort ein „Döner nur schöner“ aus geröstetem Wurzelgemüse neben Wirsingwickel „normal oder wie früher“.
„Um Essen und Trinken gibt es immer eine emotionale Diskussion“
In seinen Mensen hält Dussmann an Zweigleisigkeit fest. „Wir kommen nicht mit dem erhobenen Zeigefinger und sagen, jetzt gibt’s nur noch pflanzlich“, erklärt Hamerle die Strategie, traditionelle Gerichte wie Königsberger Klopse in zwei Varianten anzubieten. Die Entscheidung bleibe immer dem Kunden überlassen. „Normal und wie früher“ wecke eine Neugierde beim Gast – und verhindere, dass die Leute sich bevormundet fühlen oder denken: Oh Gott, und nächste Woche ist mein Schweinsbraten weg.
In Berlin serviert Dussmann Catering täglich rund 8800 Mahlzeiten, zwei Drittel davon in Betriebskantinen. Bis Ende vergangenen Jahres wurde sogar der Bundestag von Dussmann verpflegt. Dort machte jüngst Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) die „Förderung einer gesünderen, ressourcenschonenden und pflanzenbetonten Ernährung“ zu einem Ziel der Bundesregierung. In Berlin können sich Kantinen und Mensen seit drei Jahren im Pilotprojekt „Kantine Zukunft“ zu Nachhaltigkeit beraten lassen.
Das kosmopolitische Berlin zeige ein großes Verständnis für die Ernährung der Zukunft, meint Hamerle. Doch auch hier wird die Currywurst wohl noch auf Jahre nicht von der Kantinen-Speisekarte verschwinden, ebenso wenig wie Schnitzel und Bolognese. „Ums Essen und Trinken gibt es immer eine emotionale Diskussion. Besonders deutlich wird das am Beispiel der Currywurst.“
Speziell die ältere Generation verbinde Essen mit Tradition und Erinnerung – weshalb gerade in den Altersheimen eine Abkehr von fleischhaltiger Hausmannskost schwer zu vermitteln sei. „Für viele Senioren ist Essen das Highlight des Tages, da konzentriert sich alles drauf“, sagt Bernd Freier, Leiter von Dussmann Food Service Deutschland. „Das ist ein emotionales Thema und hat viel mit Wärme und Wohlfühlen zu tun.“
Campusmensen tonangebend in der Ernährungswende
Die 2023 erschienene Nestlé-Studie zeigt: Schnitzel und Steak bestimmen nicht mehr allein die Tellermitte. Doch der Trend zur Nachhaltigkeit geht maßgeblich von den Campusmensen aus. Unter den 350 befragten Caterern gaben drei Viertel der Campusmensen an, täglich ein veganes Gericht mit kleinem CO₂-Fußabdruck zu servieren.
Die Betriebskantinen hinken hinterher, dort gibt es die veganen Gerichte täglich nur bei einem Drittel. Und auf die Wurst geschaut: Während 76 Prozent der Unimensen auch vegetarische Currywurst-Varianten anbieten, sind es unter den Betriebskantinen erst 41 Prozent.
Technologisch betrachtet sei die Gemeinschaftsgastronomie dabei längst weit genug, um klimafreundlicheres Essen anzubieten, sagt Christian Hamerle. Doch menschlichen Gewohnheiten veränderten sich langsam. „Was ich weiß: Die Komfortzone des Essens und Trinkens will keine großartige Veränderung haben.“
Die Komfortzone des Essens und Trinkens will keine großartige Veränderung haben.
Christian Hamerle, Chefplaner beim Dussmann Food Innovation Lab.
Preislich seien pflanzliche Proteinalternativen – zum Beispiel aus Erbsen oder Weizen – derzeit in etwa so teuer wie Biofleisch. Doch bei diesen „smarten Proteinen“ stehe man gerade erst am Anfang. Kürzlich erst habe Haberle eine Neuheit aus dem Labor kosten dürfen: Aus den „Biertreber“ genannten Malzrückständen seien kleine Stückchen zubereitet worden, die wie Rindfleisch schmeckten. Sobald Pflanzenproteine für unter zehn Euro das Kilo zu haben sind, werden sie für Kunden wie Caterer auch ökonomisch spannend.
„Aber zuallererst muss es schmecken“, sagt Haberle. Ernährung der Zukunft macht er zu einer Gleichung: Geschmack mal Preis mal ökologische Moral. Und wie beim Einmaleins gelte auch hier: Wenn eine der drei Komponenten nicht vorhanden ist, dann ist die Gleichung gleich null.
Haberle, das merkt man, will die Speisekarten der Mensen und Kantinen verändern. Aber nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern humorvoll und digital. Er stellt sich QR-Codes auf dem Tellerboden vor, die Auskunft über die Zutaten und Nährwerte eines Gerichts geben und zur Bewertung einladen. Und schon heute habe er gelegentlich den blauen Avatar vor Augen, der ihm auf die Schulter klopft und sagt: „Christian, auf das vierte Fleischgericht diese Woche hast Du verzichtet – gut gemacht.“
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