zum Hauptinhalt
Seelische Krisen können jeden und jede treffen. Zum Glück gibt es in Berlin viele Stellen, die helfen.

© Getty Images/iStockphoto

Psychosoziale Versorgung: Neues Bündnis will Hilfestrukturen in Berlin verbessern

Um die psychosoziale Versorgung in der Hauptstadt zu reformieren, hat sich am Mittwoch das Aktionsbündnis psychische Gesundheit Berlin gegründet. Es geht nicht nur ums Geld.

Manche seiner Mitarbeitenden kann Friedrich Kiesinger nur 23 Stunden pro Woche beschäftigen, mehr gebe das Budget nicht her, das ihm der Senat zur Verfügung stellt, erzählt er. Kiesinger ist Geschäftsführer von Albatros, einem der sechs Träger des Berliner Krisendienstes. Rund 20 Millionen Euro an Zuwendungen lässt der Senat den Bezirken pro Jahr zukommen, damit finanzieren diese niedrigschwellige Angebote der sozialpsychiatrischen Versorgung – unter anderem Albatros und den Berliner Krisendienst.

„Jedem Berliner steht damit weniger als eine Schachtel Zigaretten zu“, sagt er. Kiesingers Fall steht exemplarisch für ein Versorgungsproblem: Er findet nur schwierig Personal, es fehlt Geld, zugleich erkranken jedes Jahr rund 17,8 Millionen Deutsche an psychischen Krankheiten.

Um die Hilfsangebote in der Hauptstadt enger zu vernetzen und mehr Geld einzufordern, haben der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin und der Verein Gesundheitsstadt Berlin am Mittwoch das „Aktionsbündnis psychische Gesundheit Berlin“ gegründet.

In der gemeinsamen Erklärung fordert das Bündnis unter anderem, die Beantragung von Geldern zu vereinfachen und das außerklinische System – wie betreute Wohnformen und den Berliner Krisendienst – besser zu finanzieren. „Bei den außerklinischen Hilfsangeboten in den Bezirken herrscht akuter Finanz- und Fachkräftemangel“, heißt es in der Erklärung. „Obdach- und wohnungslose Menschen mit psychischen Erkrankungen werden nicht erreicht und auch Menschen mit Fluchterfahrung finden nur schwer den Weg ins Versorgungssystem.“

Berlin hat gute Voraussetzungen

Uwe Brohl-Zubert, Referent für soziale Psychiatrie beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin, sagt, dass Berlin eigentlich ein „vorbildliches Versorgungssystem“ habe. Das gemeindepsychiatrische System sei so aufgebaut, dass die Bezirke die Träger von Einrichtungen und Diensten der psychiatrischen Versorgung koordinieren. Der Senat hatte das Modell in den 1990er Jahren eingeführt, um stationäre Fälle zu reduzieren und die Ambulantisierung der Versorgung voranzutreiben.

Uwe Brohl-Zubert ist Referent für soziale Psychiatrie beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin.
Uwe Brohl-Zubert ist Referent für soziale Psychiatrie beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin.

© Paritätischer Wohlfahrtsverband LV Berlin e.V.

Das Modell sei ein Erfolg, allerdings laufe die Kommunikation zwischen den verschiedenen Sektoren schlecht. Das liege an den unterschiedlichen Logiken, die Bereiche basieren zum Teil auf anderen Sozialgesetzbüchern, sagt Brohl-Zubert.

Hinzu komme akuter Geldmangel und zu viel Arbeit bei den freien Trägern, die fast allein das außerklinische System stemmen. Dieses besteht einerseits aus der Eingliederungshilfe, darunter fällt unter anderem betreutes Wohnen, und andererseits aus niedrigschwelligen Angeboten wie Beratungsstellen für Menschen in persönlichen Krisen. Letztgenannte kann jeder aufsuchen – ohne sich ausweisen zu müssen.

Friedrich Kiesinger ist Geschäftsführer von Albatros.
Friedrich Kiesinger ist Geschäftsführer von Albatros.

© imago/Müller-Stauffenberg

Das Bündnis wünscht sich daher eine „Finanzreform“. Brohl-Zubert schlägt vor, der Senat solle eine Art „Vollkostenfinanzierung“ sicherstellen und die Bezirke ermächtigen, Zuwendungsverträge mit den Trägern vor Ort aushandeln zu dürfen. Kiesinger hätte gern ein Modell, dass die Verantwortung in der Gesundheitssenatsverwaltung konzentriert und Mittel von dort aus koordiniert. Weil die Höhe der Sachmittel in den Zuwendungen seit 2019 eingefroren sei, fordert er zudem mehr Geld: statt 20 zukünftig 40 Millionen Euro pro Jahr.

Berlin ist in den vergangenen Jahren irre gewachsen, leider ist das System nicht mitgewachsen.

Friedrich Kiesinger, Geschäftsführer von Albatros

„Berlin ist in den vergangenen Jahren irre gewachsen, leider ist das System nicht mitgewachsen“, sagt er. Brohl-Zubert ist der gleichen Meinung: „Wenn man endlich Geld in die Hand nimmt, könnte man viel mehr Menschen erreichen, die später auf Eingliederungshilfen angewiesen sind oder ins Krankenhaus kommen.“

Breites Bündnis aus Politik und Wirtschaft

Erstunterzeichnende sind unter anderem die gesundheitspolitischen Sprecher:innen Catherina Pieroth (Grüne), Tobias Schulze (Linke) und Christian Zander (CDU). Darüber hinaus konnte das Bündnis die ehemaligen Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) und Walter Momper (SPD) sowie die Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin für sich gewinnen. Ziel sei, die Resilienzfähigkeit des Systems zu stärken, erklärt Kiesinger vom Berliner Krisendienst.

Prominente Unterstützung dürfte nötig sein, Brohl-Zubert vom Paritätischen Wohlfahrtsverband bezweifelt nämlich, dass die schwarz-rote Koalition die Höhe der Zuwendungen erhöhen wird. Das Problem verschärfe sich seit Jahren, die Vorgängerregierungen hätten die Reform ebenfalls verschlafen. Brohl-Zubert bedauert das: „Über Berlin wird viel geschimpft, dabei haben wir ein gutes System, das man mit wenig Geld und politischem Willen einfach weiterentwickeln könnte.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false