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Berlins Linke-Spitzenkandidatin im Interview: So will Elif Eralp die Mietenkrise in der Hauptstadt lösen
Elif Eralp fordert bei der Abgeordnetenhauswahl 2026 den Regierenden Kai Wegner heraus. Im Interview erklärt sie, warum Berlin einen Kurswechsel braucht.
Stand:
Frau Eralp, Ihr Vorstellungsvideo beginnt mit dem Satz: „Menschen wie ich sollen in diesem Land eigentlich nicht Bürgermeisterin werden.“ Wie meinen Sie das genau?
Anders als viele andere gehöre ich nicht schon jahrzehntelang einer Partei an und gehöre auch nicht zum politischen Establishment. Ich bin Tochter von Geflüchteten, die kurz vor meiner Geburt aus der Türkei nach Deutschland kamen. In meinem Umfeld sind viele wahnsinnig stolz und sagen: Wow, dass eine von uns es jemals schafft, in so eine Situation zu kommen, ist eigentlich unvorstellbar. Ich bin eine der vielen Berlinerinnen und Berliner, und als solche strebe ich das Amt der Regierenden Bürgermeisterin an.
Ich wohne nicht in irgendeiner Villa im Grunewald, meine Kinder gehen auch auf keine Privatschulen, sondern auf ganz normale Schulen.
Elif Eralp, Spitzenkandidatin der Linken
Was verrät dieser Satz über Ihren anstehenden Wahlkampf?
Es geht nicht darum, dass ich eine Migrationsgeschichte habe, sondern es geht darum, dass ich eine bin wie alle hier. Ich kenne die Probleme der Stadt, die hohen Mieten, die kaputten Schulen, den öffentlichen Nahverkehr, der nicht funktioniert. Ich wohne nicht in irgendeiner Villa im Grunewald, meine Kinder gehen auch auf keine Privatschulen, sondern auf ganz normale Schulen. Diese Perspektiven und Probleme der meisten Menschen hier in Berlin will ich ins Rote Rathaus tragen.
In Berlin können viele Menschen mit Migrationsgeschichte gar nicht wählen. Inwiefern ist das ein Problem, auch für Ihren eigenen Wahlkampf?
Es ist ein großes Demokratiedefizit, dass Menschen, die hier jahre- oder jahrzehntelang leben, nicht mitentscheiden können. Sie sind genauso von den Handlungen der Regierung betroffen, haben aber kein Recht, mitzubestimmen. Das ist ein großes Problem. Ich sehe es als meine Aufgabe an, die Anliegen aller, auch derer, die kein Wahlrecht haben, zu vertreten. Und ich werde für Mehrheiten werben, um das Wahlrecht auf alle in Berlin lebenden Menschen auszuweiten.

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Sie sagen, der Senat kümmere sich nicht genug um die Probleme von Menschen mit Migrationsgeschichte. Welche sind das?
Maßgeblich ist die Mietenfrage. Wenn ich mich mit den Menschen unterhalte, sagen mir die meisten: Die Mieten sind zu hoch, ich kann mir den Wocheneinkauf nicht mehr leisten. Ich habe nicht das Gefühl, dass Herr Wegner sich für diese Menschen und ihre Sorgen interessiert. Weder verändert er seine Mietenpolitik noch die soziale Politik. Jedes vierte Kind in Berlin lebt in Armut – das betrifft gerade auch Menschen mit Migrationsgeschichte.
In Ihrem Wahlkampf-Spot laufen Sie auf das Rote Rathaus zu. Wollen Sie wirklich regieren?
Wir müssen Kai Wegner ablösen. Wenn wir wollen, dass sich in dieser Stadt endlich etwas verändert, dann müssen wir auch bereit sein, Verantwortung zu übernehmen und in das Rote Rathaus einzuziehen. Ich bin dazu bereit, wenn die Inhalte stimmen.
Teile der Grünen und SPD vermuten, dass gerade viele Ihrer neuen Parteimitglieder lieber Fundamentalopposition betreiben wollen.
Ich freue mich total über die vielen neuen Mitglieder, wir sind jetzt 16.700. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das Leute sind, die wirklich etwas verändern wollen. Sie kommen wegen der sozialen Fragen zur Linken, aber auch wegen des Rechtsrucks. Natürlich haben sie hohe Ansprüche. Sie wollen nicht, dass wir in eine Regierung gehen, wenn nicht klar ist, dass wir wirklich etwas verbessern können. Und das finde ich auch richtig so, denn das ist unser Anspruch. Wenn wir unsere wesentlichen zentralen Punkte durchsetzen, dann wird das sicher von der Breite der Partei mitgetragen werden.
Welche sind das?
Für uns als Linke ist zentral, dass der Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ umgesetzt wird und wir damit rund 220.000 Wohnungen vergesellschaften, um sie dauerhaft bezahlbar zu halten. Zur Wahrheit gehört auch dazu, dass das nicht sofort spürbar sein wird.
Eine meine ersten Amtshandlungen wäre es, wieder einen Mietendeckel für die landeseigenen Wohnungsunternehmen einzuführen.
Elif Eralp
Wie lange würde es dauern, bis die erste Wohnung in Berlin vergesellschaftet wird?
Eine konkrete Jahreszahl zu nennen, wäre vermessen. Es muss eine Anstalt öffentlichen Rechts aufgebaut werden, dann müssen die Wohnungen überführt werden und Personal für die Bewirtschaftung der Wohnungen gefunden werden. Deswegen ist mir sehr wichtig, dass wir weitere mietenpolitische Maßnahmen festlegen.
Welche?
Eine meine ersten Amtshandlungen wäre es, wieder einen Mietendeckel für die landeseigenen Wohnungsunternehmen einzuführen. Außerdem wollen wir eine Taskforce gegen Mietwucher einsetzen. Wir wollen ein neues Landesamt für Wohnungswesen aufziehen, das die Verstöße ahndet, die jetzt schon nicht legal sind. Und wir müssen an das befristete, möblierte Wohnen ran, wo die Mieten teilweise 50 Prozent über den anderen Angebotsmieten liegen. Zudem wollen wir private Konzerne dazu verpflichten, mindestens jede dritte Wohnung bezahlbar zu vermieten.
Glauben Sie, die SPD macht da mit?
Ich glaube, dass die SPD sich an ihre eigenen Parteitagsbeschlüsse halten sollte. Ich fand es sehr interessant, dass ihr Spitzenkandidat kürzlich gesagt hat, man habe die Brisanz des Wohnungsmarktes unterschätzt. Da frag’ ich mich, wann sich die SPD das letzte Mal mit den Menschen in unserer Stadt unterhalten hat, denn diese Brisanz gibt es schon sehr lange. Und ich glaube, auch die SPD weiß, dass sie da liefern muss. Deswegen hat sie ja auch mit der CDU ein Vergesellschaftungsrahmengesetz verhandelt.

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Was halten Sie davon?
Ich halte das für absolut unsinnig, auch juristisch. Das bringt uns keinen Schritt weiter und ist ein reines Ablenkungsmanöver.
Sie sagen, Kai Wegner sei „mietenpolitisch bankrott“. Tatsächlich hat auch die Linke einen erheblichen Anteil an der Berliner Mietenkrise, stand jahrelang in der Verantwortung. Welche Fehler dürfen sich nicht wiederholen?
Der Verkauf von Wohnungen unter Rot-Rot war ein großer Fehler, den wir intensiv aufgearbeitet haben und aus dem wir gelernt haben.
Wir haben aber auch versucht, neue mietenpolitische Maßnahmen wie den Mietendeckel durchzusetzen. Als Juristin bin ich überzeugt, dass wir versuchen müssen, alle juristischen Spielräume auszunutzen, um dem Mietenwahnsinn etwas entgegenzusetzen. Das war ein mutiger Schritt, auch wenn er nicht zu einer dauerhaften Entlastung geführt hat – was wohlgemerkt auch daran liegt, dass die CDU den Mietendeckel weggeklagt hat.
Wie wollen Sie den Wohnungsmangel bekämpfen?
Wir verfolgen einen Dreiklang: Wir wollen mehr kommunales Wohnen, auch durch die Vergesellschaftung. Wir wollen den Bestand stärker regulieren. Und wir wollen mehr Neubau, denn ohne Neubau wird es nicht gehen. Deswegen haben wir ein kommunales Wohnungsbauprogramm vorgeschlagen, mit dem wir jährlich mindestens 7500 dauerhaft bezahlbare Wohnungen schaffen wollen. Wir wollen, dass der Wohnungsbau bei den Landeseigenen nicht mehr über die aktuellen Mieteinnahmen finanziert wird, sondern durch Investitionen.
Für mich ist klar: Mit Wohnungen sollte kein Profit gemacht werden, sie gehören nicht an die Börse. Wohnen gehört wie Schule, Bildung, Gesundheitsversorgung zur Daseinsvorsorge.
Viele sagen: Wenn vergesellschaftet wird, kehren auch noch die letzten privaten Investoren, die in Berlin bauen, der Stadt den Rücken. Haben sie recht?
Es ist jetzt schon so, dass die Privaten relativ wenig bauen und der Großteil von den Kommunalen gestemmt wird. Berlin ist und bleibt eine attraktive Stadt für alle Betriebe und Unternehmen. Auch in anderen Städten wie Frankfurt am Main oder Wien, die wohnungspolitisch stark regulieren, haben Wohnungsunternehmen die Städte nicht verlassen.
Wenn Sie bei der Wahl 2026 stärkste Kraft werden wollen, dann müssen Sie auch Menschen überzeugen, die gegen Vergesellschaftung sind. Wie soll das gelingen?
Menschen, die eine teure Eigentumswohnung haben oder deren Kinder eine Privatschule besuchen, profitieren ebenfalls von einer Politik, die die soziale Infrastruktur stärkt. Auch diese Menschen leben nicht gerne im Dreck oder fahren vielleicht auch mal mit der U-Bahn, nutzen öffentliche Einrichtungen und freuen sich, wenn Kulturinstitutionen nicht geschlossen werden.
Aber natürlich müssen wir vor allem für die allermeisten Menschen Politik machen, und das sind die 85 Prozent Mieterinnen und Mieter in unserer Stadt. Vergesellschaftung ist eins von mehreren Instrumenten, damit wir bezahlbare Mieten erreichen. Das trifft auch nicht die kleine Eigentümerin oder den Häuslebauer. Um die geht es uns nicht, es geht uns um die großen Konzerne und die großen Vermieter.
Ein anderes Streitthema ist die Verkehrspolitik. Was würden Sie anders machen?
Wir wollen, dass der öffentliche Raum gerecht verteilt wird und sich alle Menschen sicher in der Stadt bewegen können. Wir setzen darauf, Anreize zu schaffen, dass Menschen vom privaten Auto auf den öffentlichen Nahverkehr umsteigen können. Dazu müssen die Takte verdichtet, das Angebot ausgebaut und die Preise bezahlbar gehalten werden.
Wie soll das bezahlt werden?
Schwarz-Rot hat völlig falsche Prioritäten und regiert an den sozialen Realitäten vorbei, Stichwort Olympiabewerbung. Wir wollen auch die Einnahmenseite in den Blick nehmen, dafür wollen wir eine Steuer gegen Bodenspekulationen einführen und prüfen derzeit eine Luxusvillensteuer. Wer vier Millionen für eine Villa ausgeben kann, kann sich auch stärker am Gemeinwesen beteiligen.
Das allein wird längst nicht reichen. Wie viel sollte ein Anwohnerparkausweis künftig kosten?
Natürlich muss auch beim Anwohnerparken eine Erhöhung stattfinden, weil es im Moment nicht mal die Verwaltungskosten deckt. Wichtig ist uns, dass künftige Mehreinnahmen dann konkret in spürbare Verbesserungen der Mobilität investiert werden.
Die Linkspartei hat erst deutlich später als CDU, SPD und Grüne Ihre Spitzenkandidatur bekannt gegeben. Warum hat sich Ihre Partei so lange Zeit gelassen?
Wir haben immer gesagt, dass wir das vor den Herbstferien verkünden wollen, und das haben wir getan, wir haben uns dabei nicht von anderen treiben lassen.
Manch einer, auch in Ihrer eigenen Partei, hatte mit einer Doppelspitze gerechnet. Warum hat man sich dagegen entschieden?
Ich stehe zwar vorne, aber hinter mir stehen über 16.700 Mitglieder, darunter meine beiden Landesvorsitzenden und die beiden Fraktionsvorsitzenden. Insofern bestreite ich diese Kandidatur nicht alleine, sondern im Team. Aber Regierende Bürgermeisterin kann nun einmal nur eine Person werden.
Kai Wegner, Steffen Krach, Werner Graf – und Elif Eralp. Was unterscheidet Sie abseits des Geschlechts von der Konkurrenz?
Ohne zu wissen, wie der Alltag der anderen drei aussieht, kann ich nur sagen: Mein Alltag ähnelt dem vieler Menschen aus Berlin. Ja, es nervt mich auch, wenn die Bahn wieder nicht fährt oder stinkt. Oder wenn die Schultoiletten nicht gereinigt werden, weil kein Personal da ist. Und in meiner Person und Kandidatur bildet sich auch die Vielfalt unserer Stadt ab. Das ist in meinen Augen etwas Gutes.
Glauben Sie auch, dass es einen Zweikampf zwischen Linke und CDU geben wird?
Völlig klar: Wir wollen Kai Wegner ablösen. Dieser Senat steht für Kürzungen, Spaltung, Ausgrenzung und wir stehen für eine soziale und gerechtere Stadt, die alle Menschen mitnimmt. Wir sind das Gegenmodell zu Wegner.
Nützt Ihnen die Polarisierung mit der Wegner-CDU?
Ich glaube, dass wir uns vor allem mit unseren Inhalten profilieren, nicht wegen der persönlichen Auseinandersetzung. Dennoch denke ich, dass ich die Themen der Linken sehr gut verkörpern kann – einfach, weil ich sie aus eigenem Erleben kenne.
Glauben Sie, dass die zuletzt zerstrittene Linke den Wahlkampf geschlossen bestreiten kann?
Wir haben große Mehrheiten für alle unsere Parteitagsbeschlüsse, die für die Sichtbarkeit jüdischen Lebens und das Eintreten gegen Antisemitismus gerichtet sind. Ich habe mich sehr über die Freilassung der Geiseln gefreut und hoffe, dass das Sterben in Gaza für immer endet. Hinter diesen Positionen hat sich die große Mehrheit der Partei versammelt und ich gehe davon aus, dass wir geeint in diesen Wahlkampf gehen werden.
Halten Sie den Konflikt in der Partei für gelöst oder ist er lediglich stumm gestellt?
Für mich ist wichtig, dass wir für alle Menschen, die von Antisemitismus, Rassismus und Hass betroffen sind, Solidarität und Empathie empfinden und diese auch zeigen. Unsere Aufgabe ist es als Linke, zu verbinden. Das sehe ich bei der Politik Wegners bezogen auf diese Frage nicht. Seine Politik sorgt für eine Polarisierung, die mir Sorge macht.
Können Sie es nachvollziehen, wenn Menschen an der klaren Haltung der Linke zweifeln?
Ich habe viele Gespräche geführt und mir ist der enge Austausch sehr wichtig, genau wie das klare Bekenntnis zu den universellen Menschenrechten, die für alle Menschen gelten – Juden wie Palästinenser. Ich bin sehr froh, dass es wieder jüdisches Leben in Berlin gibt. Und ich bin auch sehr froh, dass es muslimisches und palästinensisches Leben in unserer Stadt gibt, und wir werden den Dialog mit allen Communitys weiterführen.
Die Linke hat im Zuge der Auseinandersetzung namhafte Mitglieder wie Klaus Lederer oder Elke Breitenbach und deren Erfahrungsschatz verloren. Wollen Sie die wieder zurückholen?
Ich freue mich über jeden, der an unserem linken Projekt für eine rote Metropole, für ein sozialeres Berlin mitarbeitet.
Bleibt es bei den aktuellen Umfragewerten, dürfte das BSW ins Abgeordnetenhaus einziehen. Würden Sie mit der Partei koalieren?
Dafür fehlt mir ehrlich gesagt die Fantasie.
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