
© André Görke
120 Tote in der Berliner Kirche St. Nikolai: Arm und einsam gestorben - aber nicht vergessen!
Grabkreuz, Nummer, Deckel drauf? Eben nicht! Spandau erinnert mit einer Gedenkfeier an die Menschen, die keine Angehörigen hatten und vom Amt bestattet wurden. Hier spricht der Pfarrer.
Stand:
„Wer keine Verwandten hat oder mittellos ist, wird normalerweise ohne Trauerfeier durch das Sozialamt oder das Ordnungsamt bestattet.“ Grabkreuz, Nummer, Deckel drauf? So geht’s eben nicht in Berlin-Spandau - oder besser: nicht mehr.
Für diese Verstorbenen richtet der evangelische Kirchenkreis um Florian Kunz gemeinsam mit dem Rathaus um Bürgermeister Frank Bewig, CDU, seit sechs Jahren eine Gedenkfeier aus – immer zu Jahresbeginn in der Kirche St. Nikolai, die in Berlins größter Fußgängerzone steht und eines der bekanntesten Wahrzeichen ist im 260.000-Leute-Bezirk.
Der Termin steht für 2025 jetzt fest: Sonntag, 26. Januar, 17 Uhr in der Kirche St. Nikolai mitten in der Altstadt. Und wie viele Namen werden diesmal verlesen, Pfarrer?
„Wir verabschieden 117 Menschen, die in Spandau ohne Angehörige verstorben sind, im Alter von 94 bis 43 Jahren“, sagte Pfarrer Björn Borrmann, der auch in diesem Jahr Gastgeber in Spandau ist. Alle Bürger sind herzlich zur Gedenkfeier in die Altstadt eingeladen („bei Orgelmusik und kleinen Texten“). Wer mag, kann auch eine Blume am Altar ablegen.
Guter Tipp des Altstadt-Pfarrers: „Warm anzuziehen! Wir beheizen die große Kirche nur auf eine Basistemperatur“, so Borrmann. Ein paar Decken zum Ausleihen gibt’s aber auch in St. Nikolai.

© privat
Es ist die sechste Trauerfeier für arme und einsame Menschen in Spandau. Vorbild war ein Projekt in Köln, über das wir 2018 erstmals im Tagesspiegel berichtet hatten. 2019 fragte der Spandau-Newsletter den damaligen Bezirksbürgermeister Helmut Kleebank, SPD, nach seiner Meinung zu diesem Format. Der griff die Idee aus Köln prompt auf („menschlich sehr anständig und nachahmenswert“) und setzte sie mit Unterstützung aller Parteien im Rathaus um.
„Ein würdevoller, menschlicher Abschied aus dieser Welt ist keine Frage des Geldbeutels“, hieß es nach dem gemeinsamen Beschluss. Im Januar 2020 wurde in Spandau somit erstmals die Trauerfeier in St. Nikolai durchgeführt.
Jedes Jahr werden hunderte Menschen von den Berliner Behörden bestattet. Können nach einem Todesfall keine Angehörigen ermitteln werden, sorgt die Verwaltung für die Beerdigung. Das nennt sich dann „ordnungsbehördliche Bestattung“. Den Auftakt hatte die Kirche in Reinickendorf vor sechs Jahren gemacht und mit dem Bezirk den ersten Gottesdienst dieser Art in Berlin veranstaltet. Hier lesen Sie mehr zur Lage und zur Historie der Gedenkfeiern in ganz Berlin.
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