
© Madlen Haarbach
Antisemitische Angriffe auf Neuköllner Kneipe „Bajszel“ : „Das sind keine Palästina-Aktivisten, das sind Hamas-Unterstützer“
Brandanschlag, Steinwürfe, Bedrohungen: Seit zwei Jahren wird die Neuköllner Programmkneipe immer wieder attackiert. Die Betreiber kritisieren fehlende Konsequenzen für die Angreifer.
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Eines sei klarzustellen, sagt Alexander Carstiuc: „Wir sind hier mit Antisemitismus konfrontiert.“ Carstiuc ist einer von drei Betreiber:innen der Programmschänke „Bajszel“ in Neukölln. Seit Monaten wird die Kneipe immer wieder attackiert: Mal wurden Hamas-Dreiecke geschmiert, mal die Klos verstopft, mal Gäste und Mitarbeiter:innen als „Jüdische Kindermörder“ beleidigt und bedroht.
Im September 2024 verübten Unbekannte einen Brandanschlag auf das „Bajszel“ und versuchten, die Scheibe mit einem Sicherheitshammer einzuschlagen, während einer der Betreiber und Gäste noch in der Kneipe waren. „Das sind keine pro-palästinensischen Aktivisten“, sagt Carstiuc. „Das sind Hamas-Unterstützer.“
Das gravierende sei aber vor allem: Die meist unbekannten Täter:innen müssten keine Konsequenzen für die Angriffe tragen und würden dadurch noch bestärkt. „Wir müssen das ernst nehmen“, sagt Carstiuc.
Mitte April haben die Betreiber:innen und Stammgäste zu einem Treffen mit Politik und Polizei geladen. „Wir haben viele Gespräche geführt, es geht so einfach nicht weiter“, sagt Carstiuc bei dem Gespräch.

© Bajszel
Mitbetreiberin Andrea Reinhard zählt die Übergriffe seit September 2023 auf, spricht von einer zunehmenden Eskalation. Allein im April bedrohten Antisemit:innen mehrfach Gäste und Mitarbeiter:innen. Nach einer Veranstaltung am 7. April sollen zwei Frauen mit Palästina-Fahnen einen Mitarbeiter als „Kindermörder“ beschimpft haben.
Am 9. April mussten die Betreiber:innen einen bekannten antiisraelischen Streamer aus der Kneipe werfen, der wiederum zu einer Demo vor dem Lokal mobilisierte. Zwei Tage später habe eine erneute antisemitische Demo gegenüber des Lokals stattgefunden. Insbesondere auch Teile der Neuköllner Linkspartei würden bei Veranstaltungen auch immer wieder als Störer:innen auftreten. „Denen geht es nicht um einen politischen Streit“, sagte Reinhard.

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Seitdem Unbekannte im Oktober einen Pflasterstein bei laufendem Betrieb gegen die Scheibe schmissen, steht die Kneipe weitgehend unter Polizeischutz. Auch an diesem Morgen laufen Polizisten draußen vor den Fenstern auf und ab. Betreiber:innen, aber auch Unterstützerinnen wie die Neuköllner Integrationsbeauftragte Güner Balci haben allerdings wenig Verständnis dafür, dass die Polizei Straftaten nicht konsequent ahndet.
Balci war selbst Rednerin bei der Veranstaltung am 9. April. „Ich finde, das ist kein Zustand. Wir sind hier alle bereit, uns für eine Meinungspluralität einzusetzen – aber nicht, unsere eigene Gesundheit dafür zu opfern“, sagte sie in Richtung anwesender Polizisten.
Wir sind hier alle bereit, uns für eine Meinungspluralität einzusetzen – aber nicht, unsere eigene Gesundheit dafür zu opfern.
Güner Balci, Integrationsbeauftragte in Neukölln
Es habe für sie völlig außer Frage gestanden, dass Demos wie jene am 9. April, bei denen Teilnehmende islamistische und volksverhetzende Parolen gebrüllt hätten, polizeilich untersagt werden müssen. „Warum ist das nicht passiert?“, fragte Balci.
Bei Veranstaltungen zu Themen wie Antisemitismus und Islamismus setzen die Betreiber:innen des „Bajszel“ mittlerweile eigene Sicherheitsleute ein. Der jüdische Sicherheitsunternehmer Oliver Hoffmann kritisiert die Polizei scharf: Zwar sei die Polizei mit den vielen Bedrohungslagen überfordert und oft am Limit. Er sehe aber auch immer wieder, dass Polizisten im Dienstauto Döner essen, statt das Objekt zu bewachen.

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„Der politische Wille ist da, die Einsatzpläne der Polizei sind da – aber die kommen auf der Straße nicht an“, sagt er. Er fordert eine konsequentere Strafverfolgung auch kleinerer Delikte, die aus seiner Sicht bislang nicht stattfindet. „Wenn Personen hier herkommen und Straftaten begehen, müssen sie sich die Finger verbrennen“, sagt er mit Blick auf das „Bajszel“. „Wenn sie damit immer wieder durchkommen, werden sie nicht aufhören.“
Der CDU-Innenpolitiker Burkard Dregger hingegen nahm die Polizei in Schutz: Deren Hauptaufgabe sei es, das „Bajszel“ und andere bedrohte Objekte zu schützen. Das sei bislang weitgehend geglückt. „Die Polizei steht seit dem 7. Oktober 2023 bei jeder entsprechenden Veranstaltung vor der Frage: Wie repressiv können wir vorgehen, ohne dass das Verwaltungsgericht das unterbindet?“, sagte er und betonte: „Wir haben keine Lust gegen Islamisten vor Gericht zu unterliegen.“ Zudem gebe es schlicht kaum Reserven, die Polizei sei selbst am Limit.

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Der Neuköllner Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) hingegen betonte: „Festnahmen wie jene eines mutmaßlichen Islamisten am Dienstag zeigen, dass es hier in Neukölln Leute gibt, die so weit gehen, sich von der Hisbollah ausbilden lassen.“ Die Bedrohungslage sei real. „Das besorgt mich, das müssen wir ernst nehmen“, sagt auch Hikel.
Zudem sehe er bei vielen Menschen im Bezirk die Tendenz, sich der Mehrheitsmeinung anzuschließen. „Das Schwimmen mit dem Strom geht gerade aber in die falsche Richtung“, sagte Hikel mit Blick auf die verbreitete anti-israelische Stimmung.
Die Situation am „Bajszel“ sei kein Problem der Kneipe, sagte Kneipenbetreiber Alexander Carstiuc. „Das, was wir hier erleben, erleben iranische, arabische, jüdische und israelische Menschen seit vielen Jahren.“ Der zunehmende Antisemitismus und Islamismus bedrohe nicht einzelne Gruppen, sondern die gesamte Gesellschaft.
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