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Mehmet Kalin vor seinem Baumhaus an der Mauer.

© Robert Klages

„Baumhaus an der Mauer“ in Kreuzberg soll zum Museum werden: Mehmet Kalin und das Erbe seines Vaters

Osman Kalin hat das „Baumhaus an der Mauer“ auf einem Grenzstreifen zwischen DDR und West-Berlin errichtet. Wir besuchen seinen Sohn Mehmet, der das Haus zum Museum gestalten will.

Stand:

„Gecekondu von Kreuzberg“ wird das Baumhaus an der Mauer auch genannt. Die türkische Bezeichnung für „über Nacht hingestellt“ trifft die Geschichte von Osman Kalin aber nicht ganz. Es geht um mehr als nur eine Nacht. Wir treffen Mehmet Kalin, den Sohn von Osman, der das Baumhaus betreut und ein Museum daraus machen möchte.

„Mein Vater wollte eigentlich nur Gemüse anbauen“, sagt Mehmet Kalin und öffnet die Tür, winkt uns hinein. Sein geerbtes Baumhaus heißt so, weil es um einen Baum errichtet wurde. Wenn man drin steht, merkt man das kaum.

Mehmet Kalin breitet die Arme aus und dreht sich etwas im Kreis, als präsentiere er das Herrschaftszimmer eines Palastes. Eine kleine Küche, eine Sitzecke, Fotos seines Vaters, und in der oberen Etage eine Schlafnische. Aber er übernachtet nicht hier, sondern in seiner Wohnung, bei Frau und Kindern.

Das Baumhaus an der Mauer in Kreuzberg.

© Robert Klages

Seit Jahren fehlt es an einem Wasseranschluss. Einen Brunnen gibt es, aber Mehmet Kalin wartet auf die Genehmigung vom Bezirk. Dann könnte er eine Toilette und eine Dusche bauen. Ein Museum über seinen Vater und dessen Geschichte soll das Baumhaus werden.

Mehmet Kalin in seinem Baumhaus.

© Robert Klages

Inoffiziell ist es das bereits, denn wöchentlich kommen zahlreiche Tourist:innen vorbei oder werden von Reiseführer:innen hierhergeführt. Am Haus steht Kalins Nummer, man kann ihm schreiben und einen Termin vereinbaren. Eintritt: 5 Euro. Ermäßigt 3 Euro.

„Osman-Kalin-Platz 0,1“

Ob er das darf? Darum geht es schon lange nicht mehr. Das Baumhaus ist geduldet und es macht nicht mehr den Anschein, als ob jemand vorhabe, dagegen vorzugehen. Inoffiziell befinden wir uns hier bereits auf dem „Osman-Kalin-Platz 0,1“; Sohn Mehmet hat ein echt aussehendes Straßenschild auf den Bürger:innensteig vor dem Haus platziert. „Gecekondu“, sagt er dazu und nickt zufrieden.

„Osman-Kalin-Platz 0,1“ steht auf dem Straßenschild.

© Robert Klages

Er kommt gerade von der Arbeit als Polier. Fast jeden Tag werkelt er im Garten oder am Baumhaus, es gibt viel zu tun, er macht alles selber – in der Tradition seines Vaters, der 1964 als Gastarbeiter nach Europa und 1969 nach West-Berlin gekommen war.

Als er 1982 in Rente ging, hatte er die Idee, an dieser Stelle einen Garten zu errichten. Die Familie wohnte in der Nähe, direkt an der Berliner Mauer, hier ein Foto vom ersten Spatenstich. Osman Kalin beseitigte den Müll und grub die harte Erde um, beobachtet von DDR-Grenzposten.

Im Inneren des Baumhauses.

© Robert Klages

Seine Motivation? Mehmet Kalin setzt sich mit einem Bier in einen Plastikstuhl und zuckt mit den Schultern. „Er war in Rente und wollte einen Garten, er hat dieses freie Stück Erde gesehen und einfach angefangen.“ Ist er ein Held? „Das nicht, warum? Er ist eine Person der Zeitgeschichte geworden, ja, so kann man es sagen.“ Mehmet Kalin trinkt einen Schluck und lehnt sich zurück.

Die DDR-Soldaten wollten sichergehen, dass niemand einen Fluchttunnel vorbereitet. Sein Vater habe sich erst mit ihnen gestritten, aber später sei er ihnen egal gewesen. Sie sollen ihn durch eine Luke in der Mauer beobachtet haben. Polizisten aus West-Berlin wollten Osman Kalin verjagen.

Ein Teil des Gartens.

© Robert Klages

Allerdings grub der Mann auf Niemandsland: Das dreiecksförmige Gebiet, 80 Quadratmeter, gehörte zwar zu Ost-Berlin, befand sich jedoch auf der West-Berliner Seite der Mauer, weshalb es für die östliche Verwaltung außerhalb der Zugänglichkeit lag – ebenso für die westliche Seite. Mehmet Kalin lacht, wenn er davon erzählt. Als habe sein Vater dies gewusst und aus einem Stück Nichts einen historischen Ort geschaffen. Aber, genau so war es ja auch.

Osman Kalin durfte dann eine Hütte bauen aus Sperrmüll – aber nicht höher als die Berliner Mauer! „Er wollte dort Gerätschaften unterstellen und sowas. Falls es regnet“, sagt Mehmet Kalin. Es sei nie sein Ziel gewesen, hier zu wohnen. Die Genehmigung erfolgte aus der DDR und soll sogar im SED-Zentralkomitee Thema gewesen sein.

Nach dem Fall der Mauer begann Osman Kalin sofort mit dem Bau eines Betonfundaments und einer zweiten Etage. Er gab seinem Ort den imaginären Namen „Bethaniendamm Nr. 0“. Mehmet Kalin führt das Erbe seines Vaters fort – vielleicht ja bald mit Wasseranschluss.

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