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Deutlicher Sieg für die Gasag im Streit mit dem Land Berlin: Das Gasnetz wird weiter vom Unternehmen betrieben.

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Bittere Niederlage für den Senat: Berlin verliert vor Gericht im Streit um das Gasnetz

Der Bundesgerichtshof entscheidet im Konflikt um die Netzkonzession gegen das Land. Es bleibt weiter in privater Hand.

Matthias Kollatz äußerte sich ähnlich schmallippig wie Jogi Löw nach dem 0:6 gegen Spanien. „Das Urteil ist für uns überraschend“, teilte die Senatsverwaltung für Finanzen mit. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte am Mittwoch das Ergebnis einer Verhandlung vom Dienstag mitgeteilt und den Versuch der Rekommunalisierung des Berliner Gasnetzes durch Kollatz und seinen Vorgänger Ulrich Nußbaum kassiert.

Unter Nußbaum hatte die so genannte Vergabestelle in der Senatsfinanzverwaltung 2014 dem landeseigenen Unternehmen Berlin Energie die Konzession zum Betrieb des Netzes erteilt. Die Gasag klagte dagegen vor dem Berliner Landgericht, dem Kammergericht und schließlich dem Bundesgerichtshof.

Mit Erfolg: Die Urteile der Berliner Gerichte wurde aufgehoben beziehungsweise abgeändert und dem Berliner Senat wurde aufgegeben, die Konzession der Gasag zu erteilen.

Genugtuung bei der Gasag

„Der Beklagte wird verurteilt, das Wegenutzungsrecht für den Betrieb des Gasversorgungsnetzes durch Annahme des Angebots der Klägerin für den Abschluss eines Gaskonzessionsvertrages mit dem Land Berlin zu vergeben“, teilte der BGH mit.

Mit einem Urteil in dieser Deutlichkeit hatte nicht einmal die Gasag gerechnet. Deren Vorstandschef Gerhard Holtmeier freute sich, „nach nun bald sieben Jahren der Ungewissheit auf einer stabilen Basis die Energieversorgung für die Berlinerinnen und Berliner sicherstellen zu können“.

Als „Partner Berlins“ werde man weiter in die klimaneutrale Zukunft investieren, teilte Holtmeier mit. Kollatz dagegen will sich „die schriftliche Urteilsbegründung genau ansehen und anschließend über die weiteren Schritte im Verfahren entscheiden“.

Verlierer: Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz hat das Urteil des BGH überrascht.
Verlierer: Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz hat das Urteil des BGH überrascht.

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Kollatz will weiter das Stromnetz kaufen

Welche Schritte er meint, ist offen, doch der Finanzsenator wies auf die Rekommunalisierungspläne des Senats hin: Die Verhandlungen über den Kauf des Stromnetzes seien von der BGH-Entscheidung nicht betroffen. Neben der Konzession für das Gasnetz hatte die Vergabestelle auch die Konzession für das Stromnetz der landeseigenen Berlin Energie zugeschlagen.

Dagegen klagt der Altkonzessionär und Netzeigentümer Vattenfall. Im vergangenen Oktober gab es dann einen überraschenden Strategiewechsel in der Vattenfall-Zentrale in Stockholm: Der Konzern bot dem Land Berlin das Stromnetz zum Kauf an; wenn es zu dem Geschäft kommt, wäre auch der Konzessionsstreit beigelegt. Kollatz habe sich inzwischen mit Vattenfall auf einen Kaufpreis von rund 2,3 Milliarden Euro verständigt, heißt es in Unternehmenskreisen.

Den Deal wolle der Finanzsenator im April vom Abgeordnetenhaus billigen lassen. Und anschließend, so war bislang der Plan, möchte sich Kollatz mit den drei Gasag-Eigentümern über den Verkauf von deren Anteilen verständigen: Nach der Privatisierung in den 1990er Jahren gehört die Gasag heute den Energiekonzernen Eon, Vattenfall und der französischen Engie.

Kollatz will auch die Gasag übernehmen

Ob es zu einem Verkauf kommt, hängt vom Preis ab. Mit dem Sieg der Gasag vor dem BGH wird es in jedem Fall teurer, denn das Netz ist mit Abstand der wertvollste Teil des Unternehmens. Es ist fraglich, ob Kollatz nach der BGH-Schlappe noch ein derartiges Geschäft bis zur Abgeordnetenhauswahl im September abzuwickeln vermag.

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Das Konzessionsverfahren für das Gasnetz reicht zurück ins Jahr 2011. Ein Jahr später gründete der Senat die landeseigene Berlin Energie, um sich mit der Gesellschaft am Verfahren beteiligen zu können. 2014 bekam Berlin Energie von der Vergabestelle in der Finanzverwaltung überraschend den Zuschlag für den Betrieb des Gasnetzes.

Das war vorrangig eine politische Entscheidung, die der damalige Finanzsenator Ulrich Nußbaum zu verantworten hatte. Dem Vernehmen nach informierte Nußbaum noch während des Verfahrens den damaligen Gasag-Vorstandsvorsitzenden Stefan Grützmacher darüber, dass die Gasag keine Chance auf die Konzession habe - wie auch immer das Angebot aussehen möge. Der Senat wollte und will um jeden Preis die wieder verstaatlichen.

2011 begann das Verfahren

Die Gasag legte Rechtsmittel gegen die Vergabeentscheidung der Finanzverwaltung ein und erzielte einen Teilerfolg. Ende 2014 gab das Landgericht Berlin dem Antrag der Gasag statt und untersagte dem Land Berlin, „das Nutzungsrecht für den Betrieb des Gasversorgungsnetzes zu vergeben oder mit einem durch Umwandlung des Landesbetriebes Berlin Energie hervorgegangenen Unternehmen einen Gaskonzessionsvertrag abzuschließen“.

Diese Ohrfeige für die Finanzverwaltung hatte Gründe: Das Gericht zweifelte an der Bieterfähigkeit der Berlin Energie, da es sich bei der landeseigenen Gesellschaft „nicht um einen Eigenbetrieb im Sinne der gesetzlichen Vorschriften, sondern um einen unselbständigen Teil der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt handele“.

Ferner kritisierte die Kammer das Verfahren selbst, konkret die „nicht hinreichend nachvollziebare Gewichtung von Unterkriterien“, sowie schließlich die Vergabeentscheidung. Beim Gewinner, also der Berlin Energie, vermisste das Landgericht ein Finanzierungskonzept und ein „verbindliches vergabefähiges Angebot“.

Kurzum: Die Berlin Energie hatte den Zuschlag bekommen von der Senatsverwaltung, weil der Senat ohne Rücksicht auf die Rechtslage das Gasnetz verstaatlichen wollte, und nicht, weil Berlin Energie ein besseres Angebot als die Gasag vorgelegt hätte.

Der Senat verlor vor dem Landgericht, aber die Gasag gewann nicht: Dem Antrag des Unternehmens, die Konzession der Gasag beziehungsweise der Gasag-eigenen Netzgesellschaft zuzuschlagen, folgte das Gericht in seiner Entscheidung Ende 2014 nicht.

Gewinner: Gasag-Vorstandschef Gerhard Holtmeier auf dem Dach der neuen Gasag-Zentrale in Schöneberg.
Gewinner: Gasag-Vorstandschef Gerhard Holtmeier auf dem Dach der neuen Gasag-Zentrale in Schöneberg.

© Kitty Kleist-Heinrich

Zur Freude der Anwälte setzte sich der Rechtsstreit fort; bis zur endgültigen Klärung betreibt die Gasag das Netz weiter. Beide Parteien legten Berufung ein gegen das Urteil des Landgerichts, und so traf man sich im Frühjahr 2019 vor dem Kammergericht - das die Entscheidung des Landgerichts bestätigte.

Die Hängepartie setzte sich fort, zumal das Kammergericht eine Revision beim Bundesgerichtshof nicht zulassen wollte. Dagegen wehrte sich wiederum die Gasag mit Erfolg, sodass es am Dienstag zur Verhandlung in Karlsruhe kam. Mit dem Urteil des BGH ist das Konzessionsverfahren damit nach zehn Jahren beendet.

Die 174 Jahre alte Gasag ist ein kleiner Konzern, der Energie erzeugt und verkauft und Netze in Berlin und Brandenburg betreibt. Das „Asset“ sind die Netze. Die Netzgesellschaft Berlin-Brandenburg, eine Gasag-Tochter, betreut Rohrleitungen in Berlin über 14.000 Kilometer, die zu 346.000 Häusern führen, in denen wiederum 775.000 Gaszähler installiert sind.

Der Wert des Berliner Gasnetzes wird auf rund 1,2 Milliarden Euro geschätzt. Hinzu kommt die Infrastruktur der EMB im Westen (gut 200 Millionen Euro wert) und die Spreegas im Osten Brandenburgs, die etwa bei 100 Millionen Euro liegt. Wenn der Berliner Senat die Gasag komplett übernehmen will, und eine andere Option steht derzeit nicht im Raum, werden also mindestens 1,5 Milliarden Euro fällig.

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