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Der weibliche Blick. Wer fährt den Bus bei der Islandreise? Wenn es nach Eva Veith geht, eine Fahrerin.

© Annika Buessemeier

Sie gründete Berlins erstes Frauen-Reisebüro: „Die haben uns angeschaut, als kämen wir vom Mond“

Seit den 80er Jahren organisiert Eva Veith Reisen nur für Frauen. Ihre Agentur war die erste ihrer Art in Berlin.

Es war Liebe. Als Eva Veith 1980 nach West-Berlin zog, war sie schon längst dieser aufregenden Stadt verfallen. Ein Praktikum war der Grund. In Kassel hatte sie Sozialpädagogik studiert: Weil sie politisch interessiert war und überhaupt, weil das damals en vogue war.

„Für mein Praktikum am Ende des Studiums wäre ich eigentlich am liebsten ins Ausland gegangen, das war aber damals noch nicht so einfach wie heute“, erzählt Eva Veith, 64 Jahre, und Mit-Gründerin von „Frauen unterwegs“, der ersten Agentur, die Reisen ausschließlich für Frauen anbietet. Welcher Ort zu jener Zeit der Exotischste in Deutschland war?

Klar, West-Berlin. Die sechs Monate Praktikum im Stadtteilzentrum Schöneberg haben sie nicht mehr losgelassen. Eva Veith kam damals ohne Job und ohne Plan. West-Berlin 1980, da war der Ku’damm noch das Zentrum, eine Sperrstunde gab es in dieser Stadt nicht, die Männer mussten nicht zur Bundeswehr.

Wenige Zeit zuvor hatte David Bowie in Schöneberg gelebt und seinen berühmten Song „Heroes“ aufgenommen, da tanzte man im Dschungel, und Annette Humpe schloss sich mit ihren Mitstreitern zu der Band Ideal („Blaue Augen“) zusammen, Vorreiter der Neuen Deutschen Welle. Die Hausbesetzerszene wehrte sich gegen den Abriss von Altbauten, in Kreuzberg gab es Räumungen und rund ums Kottbusser Tor Straßenschlachten mit der Polizei.

Eva Veith zog natürlich dahin, wo das Leben war – nach Kreuzberg: Kleine Altbauwohnung, Außentoilette, Ofenheizung. Mit Nebenjobs hielt sie sich über Wasser: Im Winter im Neuköllner Eislaufstadion Schlittschuhe verleihen, im Sommer Pommes im Schwimmbad am Olympiastadion verkaufen. Dass sie einmal Frauenreisen veranstalten und später sogar das erste Frauenhotel in der Stadt gründen wird, ist einem bierseligen Abend mit einer Freundin zu verdanken.

Berlin Wirtschaftsfrauen

© Illustration: Pedro Santos/TheNounProject; Tsp

Dort erzählte Eva Veith von einer Griechenland-Reise: „Überall nur Zeus, Apollo, männliche Gottheiten. Frauen kamen da gar nicht vor“, sagte sie. Die Freundin konterte: „Warum machen wir nicht ein Frauen-Reisebüro auf?“ Auf den Spuren von Malerinnen, Schriftstellerinnen im Ausland, nur für Frauen sollte es sein. „Zunächst betrieben wir auf der Tourismusbörse ITB 1984 Marktforschung“, erzählt Eva Veith. Ob es auch reine Frauen-Reisen im Angebot gibt, fragten die beiden an den Messeständen.

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„Die haben uns angeschaut, als kämen wir vom Mond. Einmal hieß es sogar: Wieso? Dafür gibt es doch das Müttergenesungswerk.“ Eva Veith und ihre Freundin legten dennoch einfach los. Sie gründeten den Verein „Frauen unterwegs“.

An Veiths Esstisch stellten sie zwei Toskana-Reisen für Frauen zusammen. Auf den Spuren der Malerinnen Artemisia Gentileschi und Angelika Kaufmann ging es nach Florenz und Umgebung.

Reisen nur für Frauen? - "Dafür gibt es doch das Müttergenesungswerk", hieß es damals.

Die Frauengruppen wohnten in einem großen Haus, das sie gemietet hatten, eine befreundete Kunsthistorikerin machte die Führung. Doch die Werke der beiden Künstlerinnen waren im Museum in verstaubten Gängen achtlos abgestellt. Anschauen konnten die Frauen die Bilder am Ende trotzdem, sagt Eva Veith, aber es habe gezeigt, wie wenig Beachtung Künstlerinnen im Gegensatz zu männlichen Malern fanden.

Das Reisekonzept sprach sich herum. Immer mehr meldeten sich an, wollten Skireisen, Wanderreisen, Kunst- und Kulturreisen mitmachen. „Frauen unterwegs“ expandierte, zog in Büroräume in der Potsdamer Straße in Schöneberg.

Als Eva Veith hörte, dass eine Pension in Wilmersdorf leer steht, reifte mit ihren Mitstreiterinnen die Idee, das erste Frauen-Hotel in Berlin zu eröffnen: Acht Zimmer und eine kleine Dachterrasse. Sie nahmen einen Kredit auf und eröffneten 1988 das Hotel nur für Frauen.

Die Medien berichteten ausgiebig. Oft tauchte die Frage auf, was denn sei, wenn nun doch ein Mann nach einem Zimmer fragte. „Dann sind wir gern bereit, sie an eines der vielen anderen Hotels in der Nähe zu vermitteln, war unsere Antwort“, erinnert sich Veith.

"Einen so großen Reisebus? Den kann eine Frau doch gar nicht fahren"

Die Zimmer waren nach Frauen benannt und gestaltet: Im Lise-Meitner-Zimmer standen Reagenzgläser als Deko, bei Fanny Mendelssohn hingen Notenblätter an der Wand. Die Reisen, das Hotel, und dann hat Eva Veith auch noch in der Projektleitung der vom Senat gegründeten „Frauen-Infothek“ gearbeitet: Hier berieten arbeitslose Frauen Touristinnen, was es Sehenswertes gab.

Drei Jobs, das sei ihr zu viel gewesen. Eva Veith stieg aus dem Frauenhotel aus, gab bald auch den Infothek-Job ab und konzentrierte sich ganz auf ihre Agentur. Ihren Traum nach Island zu reisen, erfüllte sie sich zusammen mit ihrer Mutter.

Weitere Folgen aus unserer Serie "Frauen in der Berliner Wirtschaft:

Ob denn auch eine Frau den Bus für die Rundreise fahren könne, fragte sie ihre Kooperationspartner. „Das ist wildes Hochland, so einen großen Bus können Frauen doch nicht fahren“, hieß es zunächst. Eva Veith ließ nicht locker. Wenn sie schon Reisen für Frauen anbot, dann sollten auch Frauen den Reisebus steuern.

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Am Ende klappte es: Eine isländische Fahrerin, die sonst normale Nahverkehrsbusse lenkte, sprang ein und kutschierte die Reisegruppe durch das Land.

200 Reisen pro Jahr bot ihr Unternehmen – vor der Corona-Pandemie – an. Das Konzept ist seit 30 Jahren dasselbe: Weder „last minute“ noch Massentourismus, sondern „Reisen, die etwas ganz Besonders und ihren Preis wert sind“, so formuliert es Eva Veith. Denn jede Reise sei „eine neue Kreation“. Das treibe sie an. Auch, als die Pandemie-Zwangspause kam. Deshalb tüftele sie nun weiter an Reisen – für die nächsten Monate.

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