
© Gestaltung: Tagesspiegel/Marie Staggat
Dimitri Hegemanns Vision für 2030: „Die Mall of Berlin in ein Kultur- und Kreativzentrum umwandeln“
Berlin leidet unter einer Verdichtung der Monokultur: sterbende Shoppingmalls, leerstehende Bürokomplexe und Luxuswohnanlagen. Wir müssen uns die Nischen und Freiräume zurückerobern.
Nach dem Mauerfall gab es vor allem im Ostteil Berlins zahlreiche Freiräume. Hier entstand mit der Technobewegung eine neue, prägende Kulturszene. Die freien Flächen der Stadt boten Platz für kreative Zentren und trugen maßgeblich zum weltbekannten Image der Berliner Kunst- und Clubszene bei.
Doch mit den Jahren sind diese urbanen Nischen verschwunden. Freiflächen wurden kommerzialisiert, Clubs und Kulturorte verdrängt. Heute leidet Berlin unter einer Verdichtung durch Monokultur sowie einer Dominanz profitorientierter Immobilienprojekte – Malls, Shoppingzentren, Bürokomplexe und Luxuswohnanlagen.
Viele dieser hochgepriesenen Immobilienprojekte blieben hinter den Erwartungen zurück. Shoppingmalls verzeichnen sinkende Besucherzahlen und zunehmenden Leerstand. Das Konzept der klassischen Shoppingzentren ist angesichts des Onlinehandels gescheitert. Es werden neue Konzepte für ungenutzte Flächen benötigt. Es braucht zukunftsweisende Konzepte, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientieren – mit einem Fokus auf Kultur, kreative Geschäftsmodelle und Dienstleistungen und Wohnraum.
Inspiration bieten internationale Beispiele wie der frühere Kensington Market in London oder die LX Factory in Lissabon. Dort erlebten stillgelegte Gebäude ein „second life“ und wurden zu pulsierenden Kreativzentren mit Ateliers, Studios, Galerien, Restaurants, Bars, Coworking-Spaces und Veranstaltungsorten umgewandelt.
Kreative Freiräume statt Shopping-Malls
Berlin verfügt über zahlreiche leerstehende oder unrentable Objekte, die sich ideal für eine derartige Transformation eignen. Gerade jene Orte, die einst kreative Freiräume boten und später durch Malls oder Bürogebäude ersetzt wurden, könnten nun wiederbelebt werden. Auch die vielen leerstehenden Bürohäuser könnten die extrem starke Nachfrage nach Wohnraum angehen.
Anstelle der Mall of Berlin hätte damals mit dem geplanten Tresor Tower an diesem Standort ein visionäres Zentrum der Kreativwirtschaft entstehen können – mit branchennahen Unternehmen (Studios, Läden, Clubs, Agenturen, Hostel).
Wo freie Räume, geringer wirtschaftlicher Druck und behördliche Toleranz aufeinandertreffen, entstehen innovative Ideen, und die Zukunft wird gestaltet.
Nun ist es an der Zeit, diese Flächen zurückzugewinnen. Statt sterbender Shoppingmalls und großer Kaufhäuser braucht Berlin Orte für Kunst, Kultur, Innovation und junges Unternehmertum und Wohnen.
Das ist unsere Vision: Die Rückeroberung der Nischen und Freiräume.
Wobei Nischen nicht nur die konkreten Orte, Flächen und Gebäude, die sich einer gewöhnlichen urbanen Nutzung entziehen, meint, sondern auch allgemein, Lebens-, Existenz- und Arbeitsmöglichkeiten, die sich von etablierten Vorstellungen und Finanzierungsrahmen unterscheiden.
Kulturmeile im Quartier zwischen Leipziger Platz und Friedrichstraße
Die Mall of Berlin als Kultur- und Kreativzentrum ist zum Beispiel das Modellprojekt für diese Vision. Die Mall of Berlin könnte in ein lebendiges Kultur- und Kreativzentrum umgewandelt werden. Das Gebäude bietet bereits eine funktionierende Infrastruktur, ausreichend Raum und Versorgungseinrichtungen. Mobile Stellwände könnten flexible Nutzungsflächen schaffen, ohne aufwendige und teure Umbauten.
Denkbar wären:
- Ateliers, Musik- und Proberäume, Studios
- Ausstellungs- und Konzertflächen
- Theater- und Clubräume
- Coworking-Spaces für Start-ups
- Restaurants, Bars und Szeneläden, Konferenzräume und vieles andere
Wobei die jeweiligen Betreiber notwendige Umbaumaßnahmen mitfinanzieren, für eine langjährige Planungssicherheit.
Ein solches Zentrum könnte das Quartier zwischen Leipziger Straße und Friedrichstraße beleben und langfristig aufwerten. Es würde weitere junge Unternehmen und kreative Akteure anziehen und positive Effekte auf die umliegende Gastronomie und den Einzelhandel haben.
Sollte zusätzlich die Landesbibliothek in das ehemalige Kaufhaus Lafayette ziehen, könnte eine Kulturmeile, eine Art Zone, entstehen – ein urbanes Quartier, das Bildung, Kunst, Unternehmertum und Lebensqualität vereint.
Diese Mischung aus etablierten und alternativen Akteuren, aus Hoch- und Subkultur, aus Kommerz und Kreativität hätte das Potenzial, neue, einzigartige, beliebte und funktionierende Standorte in Berlin zu schaffen. Natürlich bedarf es klarer Regelungen zur Nutzung und Umsetzung und der Rahmenbedingungen. Genossenschaften oder Vereine könnten als Träger fungieren und über Mietkosten, Hausordnung und Wirtschaftlichkeit wachen. Eine faire und erschwingliche Mietstruktur wäre essenziell.
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Gebt der Jugend Raum
Zudem wäre eine gezielte Vorbereitung der Akteure sinnvoll. Die Academy of Subcultural Understanding in Berlin bietet bereits Schulungen für Macher/innen für die Kultur- und Kreativwirtschaft an und könnte in das Projekt eingebunden werden.
Ein funktionierendes Kreativzentrum lässt sich nicht per Gesetz verordnen – aber man kann die Rahmenbedingungen schaffen, damit sich etwas entwickeln kann.
Die Mall of Berlin ist nur ein Modellprojekt für unsere Vision: Die Rückeroberung der ehemaligen Nischen und Freiräume. Weitere Standorte wären denkbar, idealerweise in zentraler Lage wie zum Beispiel das ICC und die vielen Bürohochhäuser.
Die bisherigen Konzepte von Politik und Wirtschaft haben vielerorts versagt. Berlin 2030: das bedeutet Mut zu neuen Wegen. Neue Formen von Allianzen bilden!
Berlin braucht neue Visionen, neue Experimente – und den Mut, alte Fehler zu korrigieren. Unsere Forderung lautet: Gebt der Jugend Raum. Gebt die Nischen frei. Lasst uns die Freiräume zurückerobern, um daraus wieder lebendige Orte der Kultur, Kreativität und Innovation zu machen.
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