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Margot Friedländer, Holocaust-Überlebende, und Franziska Giffey, Regierende Bürgermeisterin von Berlin, stehen nach der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse neben einer Büste, die Friedländer zeigt.

© dpa/Kay Nietfeld

Ehrung für Margot Friedländer im Roten Rathaus: „Hier in Berlin bin ich geboren, hier werde ich sterben“

Die Shoah-Überlebende Margot Friedländer erhält das Bundesverdienstkreuz erster Klasse. Auch eine Büste wird für sie im Roten Rathaus enthüllt. Über das Leben einer großen Berlinerin.

Ganz vorsichtig zieht Margot Friedländer das Tuch von der Büste. Die kleine Frau im schwarzen Kostüm steht einige Sekunden da und sagt gar nichts. „Bin ich das?“, fragt sie dann und lächelt. Ihre leise, warme Stimme hallt durch die Vorhalle des Roten Rathauses. Kurz zuvor hatte Friedländer, 101 Jahre alt, Überlebende der Shoah, von Berlins Regierender Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) an diesem Montag das Bundesverdienstkreuz erster Klasse erhalten. Nun steht sie vor dieser bronzenen Büste ihres Kopfes. „Das ist so wunderbar. Wie danke ich? Ich habe keine Worte, es ist zu viel.“

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Margot Friedländer und Berlin, das ist eine Geschichte der Wiederannährung. 2018 wurde Friedländer Ehrenbürgerin der Stadt, in der sie erst seit 2010 wieder lebt. Hier wurde sie am 5. November 1921 als Margot Bendheim geboren, aufgewachsen ist sie in Kreuzberg. Es folgte die Machtergreifung der Nationalsozialisten, die Shoah.

Ihre jüdische Familie wurde wie so viele andere Juden Opfer: 1942 wurde ihr Vater in einem Vernichtungslager ermordet, ein Jahr später ihr Bruder und ihre Mutter in Auschwitz. Die Nachbarn übermittelten der jungen Margot die letzte Botschaft ihrer Mutter: „Versuche, dein Leben zu machen.“

Friedländer und ihr späterer Mann überlebten das völlig überfüllte Konzentrationslager Theresienstadt, nach Kriegsende emigrierten sie in die Vereinigten Staaten. Friedländer lebte dort, so ist zu lesen, lange ein unauffälliges Leben, es wurde nicht viel gesprochen über den Schrecken, dem sie so knapp entkamen.

„Versuche, dein Leben zu machen“

Erst nach dem Tod ihres Mannes 1997 fing sie an, ihre Erinnerungen aufzuschreiben. Das jüdische Kulturzentrum, für das er arbeitete, lud sie dazu ein. 2003 besuchte sie dann das erste Mal wieder Berlin, auf Einladung des Berliner Senats.

Die Frau, die jahrzehntelang kaum über ihr Leben sprach, wurde zur Zeitzeugin. Sie besucht seither Schulen, bis zu drei Mal in der Woche. Selbst in der Pandemie setze Friedländer ihr Engagement fort, sicherheitshalber vom Rechner aus. Irgendwann fiel die Entscheidung: Es geht zurück in die Geburtsstadt. Sie hält weiter Vorträge, liest aus ihren Erinnerungen: „Versuche, dein Leben zu machen“, nennt sie das Buch. Ein Preis wurde nach ihr benannt. Seit 2014 werden Jugendliche so aufgerufen, sich mit dem Holocaust, seinen Hintergründen und Folgen auseinanderzusetzen.

Margot Friedländer, Holocaust-Überlebende, bekam an diesem Montag das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen. Der Termin fand im Roten Rathaus statt.
Margot Friedländer, Holocaust-Überlebende, bekam an diesem Montag das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen. Der Termin fand im Roten Rathaus statt.

© dpa / Michael Sohn

Wer Friedländer einmal erlebt hat, ihre warme, ruhige Stimme im Ohr hatte, der vergisst das nicht. Immer erinnert sie daran, dass die Täter die Deutschen waren. Nicht einige wenige, sondern dass der Schrecken der Shoah erst von der Masse der Menschen ermöglicht wurde. Einige wenige waren es, auch das vergisst sie selten zu sagen, die ihr halfen, sich zu verstecken.

Franziska Giffey sagte bei der Enthüllung von Friedländers Büste: „Margot Friedländer verkörpert die mahnende Stimme an den Holocaust. Diese Skulptur soll ein Zeichen sein, wie wichtig es ist, die Erinnerung daran zu bewahren.“ Friedländers Kopf – 12,4 Kilogramm schwer, etwa 30 Zentimeter hoch – steht deshalb direkt im Eingangsbereich des Rathauses. Rechts oben, am Ende der breiten Rathaustreppe. Jeder Besucher läuft künftig an ihm vorbei.

Auch der Zentralrat der Juden gratuliert Friedländer

Die Künstlerin Stephanie von Dallwitz hatte Friedländer schon als Ehrenbürgerin der Stadt porträtiert, das Bild hängt im Berliner Abgeordnetenhaus. Die beiden sind vertraut, zum 100. Geburtstag hat von Dallwitz Friedländer eine ganze Ausstellung gewidmet. An diesem Montag sagte die Künstlerin zu ihr: „Deine großen, wissbegierigen, dunklen Augen, die das Leben aufsaugen, auf so einem unnachgiebigen Material festzuhalten, war eine besondere Herausforderung.“

Der Zentralrat der Juden in Deutschland teilte am Montag nach der Ehrung mit dem Bundesverdienstkreuz erster Klasse mit: „Margot Friedländer ist mit ihrer lebensbejahenden Art eine Inspiration für das jüdische Leben in Deutschland. Ihr Engagement, gerade ihr Austausch mit jungen Menschen, wird zurecht geehrt – Masel Tov!“

Auch sie selbst findet am Ende doch noch Worte. Die zierliche Frau steht in der weiten Halle des Roten Rathauses, neben ihr die neue Büste. Ihre warme Stimme hallt leise durch den Raum: „Die zehn, zwölf Jahre hier bedeuten mir so viel. Hier bin ich geboren, hier werde ich sterben. Hier werde ich beerdigt sein. Es ist erstaunlich“, sagt sie. „Was für ein Leben.“

Ihre Büste wird für dieses Leben genauso Mahnmal und Erinnerung sein wie für den Schrecken der Shoah. Was für ein Leben.

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