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„Eine sehr schlimme Entwicklung“: Dolmetscher bei Anti-Israel-Demos in Berlin verstärkt bedroht und weniger einsatzbereit
Sie sollen der Polizei helfen, strafbare Slogans zu erkennen. Doch wegen Bedrohungen sind immer weniger Dolmetscher bereit, bei antiisraelischen Demonstrationen für die Behörden zu übersetzen.
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Bei den antiisraelischen Demonstrationen in Berlin werden zunehmend Dolmetscher bedroht, die für die Polizei im Einsatz sind. Das sagte Polizeipräsidentin Barbara Slowik Meisel am Montag im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses.
„Die Dolmetscher sind teilweise in der Tat Bedrohungen ausgesetzt. Wir erleben auch einen Rückgang der Dolmetscher, die bereit sind, bei solchen Versammlungen teilzunehmen“, sagte Slowik Meisel.
Innensenatorin Iris Spranger (SPD) zeigte sich entsetzt. „Ich finde das eine sehr schlimme Entwicklung“, sagte sie. „Man versucht da durchaus auch, Einfluss auf diese Dolmetscher zu nehmen.“
Spranger spricht von Gefahrenpotenzialen
„Sie haben Gefahrenpotenziale, die durchaus den einen oder anderen daran hindern, uns dann weiter zur Verfügung zu stehen.“ Die Polizei versuche aber alles, den Dolmetschern den nötigen Schutz und Sicherheit zu bieten, „weil wir sie brauchen“. Details zu den Schutzmaßnahmen wollte Spranger nicht nennen, sagte aber, dass die Polizei dabei „ganz erfolgreich“ sei.
Aufgabe der Dolmetscher sei es, Ausrufe in arabischer Sprache zu erfassen und die Erkenntnisse beweissicher Polizei und Staatsanwaltschaft weiterzugeben, sofern es sich um strafbare Äußerungen handelt. Zugleich gibt es sogenannte Sprachmittler. Die meisten sind selbst Mitarbeiter der Polizei und sprechen auch andere Sprachen als Deutsch. Was sie verstehen, sei aber nicht als Beweis verwertbar, sagte Slowik Meisel.
Spranger erinnerte daran, dass rund 40 Prozent der Belegschaft bei der Polizei selbst einen Migrationshintergrund haben. Nicht wenige verstehen auch Arabisch. Für Ermittlungsverfahren seien aber Dolmetscher nötig.
Ein weiteres Problem bei den Demonstrationen: Teilnehmer versuchten zunehmend, etwa durch laute Trommeln, zu verhindern, dass Dolmetscher verbotene Rufe verstehen können, sagte die Polizeipräsidentin. Die Polizei verhänge deshalb seit einiger Zeit auch Beschränkungen, etwa um Trommeln zu untersagen.
Antisemitische Ressentiments werden in codierter Form und neuerdings vermehrt in Bildern und in Symbolen geäußert.
Iris Spranger (SPD), Innensenatorin von Berlin.
Anlass für das Thema im Innenausschuss war eine Anfrage zu einem aktualisierten Leitfaden von Staatsanwaltschaft und Polizei zur Verfolgung antisemitischer Straftaten in Berlin. Damit soll es Beamten erleichtert werden, verschlüsselte Begriffe und Codes zu erkennen, die antisemitisch und strafbar sind.
„Antisemitische Ressentiments werden in codierter Form und neuerdings vermehrt in Bildern und in Symbolen geäußert“, sagte Spranger. „Diese kodierten Formen sind nicht weniger antisemitisch, es handelt sich dabei um dasselbe alte Ressentiment, sie sind aber sehr viel schwieriger zu erkennen.“
Mit dem neuen Leitfaden reagierten die Behörden darauf. Darin seien zahlreiche Bilder, Symbole und Chiffren abgebildet und auch erklärt. „Er vertieft die Sensibilisierung unserer Strafverfolgungsbehörden und trägt dazu bei, dass sie noch besser werden in der Verfolgung von antisemitischen Straftaten.“
Erst am Sonnabend kam es laut Polizei bei einer Demonstration zum Weltfrauentag zu antisemitischen Straftaten. Bei einer Demonstration zum „Internationalen feministischen Kampftag“ in Kreuzberg sollen aus einem propalästinensischen Block heraus israelfeindliche sowie strafbare und eindeutig polizeifeindliche Sprechchöre skandiert worden sein.
Polizisten haben mehrere Teilnehmende festgenommen. Danach kam es laut Polizei zu gewalttätigen Widerstandshandlungen, Landfriedensbrüchen, versuchten Gefangenenbefreiungen und tätlichen Angriffen gegen Beamte. Sie seien mit gezielten Faustschlägen, Tritten, Flaschenwürfen sowie unter Einsatz von Fahnenstangen angegriffen worden.
„Auschwitzlüge“, „Kindermörder Israel“ und „Intifada“
Der neue Leitfaden soll Polizisten und Staatsanwälte auch eine praxisnahe Handlungsempfehlung geben. Dabei geht es um das Erkennen von Merkmalen antisemitischer Straftaten und Tatmotiven, die nicht immer sofort ersichtlich sind. Orientiert wird sich an der Arbeitsdefinition von Antisemitismus der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken.
Der Leitfaden nennt zahlreiche Beispiele wie Aufrufe zum Kampf gegen Juden, stereotype Anschuldigungen, Mythen über eine angebliche jüdische Weltverschwörung, die Holocaustleugnung, die Leugnung des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung oder die kollektive Zuschreibung der Verantwortung von Juden für die Politik Israels. „Straftaten sind antisemitisch, wenn die Angriffsziele (...) deshalb ausgewählt werden, weil sie jüdisch sind“ oder so wahrgenommen werden.
Wichtig könne auch der Zusammenhang mit einem jüdischen Feier- oder Gedenktag sein, so der Leitfaden, der zahlreiche entsprechende Daten nennt. Aufgelistet werden auch Jahrestage der rechtsextremen Szene und solche mit Bezug zum Nahostkonflikt.
Die Bedeutungen von Wörtern wie „Auschwitzlüge“ und „Umvolkung“ werden erläutert, ebenso der antisemitische und israelfeindliche Kontext der Parolen „From the River to the Sea, Palestine will be free“, „Kindermörder Israel“ und „Intifada“ sowie das rote Dreieck der Hamas.
In Online-Kommentaren finde sich manchmal eine dreifache Klammer „(((.)))“, um Namen jüdischer Menschen, heißt es. Sie solle symbolisieren, dass angebliche Taten von Juden dazu geführt hätten, dass ihre Namen „durch die Geschichte hallen“. Auch viele bekannte und weniger bekannte Ziffernkombinationen für Buchstaben an ihrer Stelle im Alphabet kommen vor: 18 (für die Anfangsbuchstaben von Adolf Hitler), 88 (Heil Hitler) oder 19/8 (Sieg Heil).
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