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So könnte es bald wieder an den Haltestellen in Berlin aussehen: BVG-Fahrgästen drohen Warnstreiks der Gewerkschaft Verdi. (Archivbild)

© Joerg Carstensen/dpa

Update

Es geht um 250 Millionen Euro pro Jahr: Verdi droht mit unbefristeten Streiks bei der BVG in Berlin

750 Euro mehr pro Monat fordert die Gewerkschaft. Notfalls will Verdi das mit einem unbefristeten „Erzwingungsstreik“ durchsetzen. Frühestens am 17. Januar könnte gestreikt werden.

Stand:

So sicher stand selten ein Streik bei der BVG bevor. Eine Woche vor der ersten Verhandlungsrunde am 15. Januar präsentierte Verdi am Freitag die Forderungen an die Berliner Verkehrsbetriebe: monatlich 750 Euro Lohnplus für alle, ein 13. Monatsgehalt, eine Fahrdienst- beziehungsweise Wechselschichtzulage von 300 Euro sowie eine Schichtzulage von 200 Euro. Das Paket würde die BVG die ungeheure Summe von 250 Millionen Euro kosten – pro Jahr.

Im Jahr 2023 gab die BVG 642 Millionen Euro für ihr Personal aus, Zahlen für 2024 liegen noch nicht vor, die Summe liegt aber nicht wesentlich höher. Würde Verdi sich durchsetzen, stiegen die Personalkosten um etwa 35 Prozent auf knapp 900 Millionen Euro. Woher das Geld kommen soll, ist offen. Ohne Hilfe des Landes geht es nicht. Und deshalb ist ein außerordentlich harter Streik sehr wahrscheinlich. Zuletzt hatte es 2008 längere Streiks gegeben. 2025 werde „ähnlich intensiv“ werden, hatte Verdi schon bei der Vorstellung der Forderungen im Oktober prophezeit.

Das wird keine leichte Zeit für die Fahrgäste.

Verdi-Verhandlungsführer Jeremy Arndt

„Wenn sich Arbeitgeberseite und Senat sich nicht bewegen, wird es Arbeitskampfmaßnahmen bis hin zum Erzwingungsstreik geben“, sagte Verdi-Verhandlungsführer Jeremy Arndt. „Wir sind auf alles eingestellt.“ Er sicherte zu, dass es vor der ersten Verhandlungsrunde am kommenden Mittwoch keine Aktionen geben werde. Verdi sicherte zudem zu, dass jeder Streik mindestens 24 Stunden vorher angekündigt werde, damit sich die Fahrgäste darauf einstellen können. Arndt kündigte aber auch an: „Das wird keine leichte Zeit für die Fahrgäste.“

Ob schon nach dem ersten Verhandlungstag gestreikt wird, hänge von Auftreten und Verhandlungswillen der Arbeitgeber ab, sagte Arndt vor Journalisten. Die BVG teilte mit, dass am Mittwoch noch kein Angebot vorgelegt werde. „Am ersten Verhandlungstag werden, wie bei Tarifverhandlungen üblich, Positionen ausgetauscht, offene Fragen geklärt und die Rahmenbedingungen für die weiteren Verhandlungstermine besprochen“, hieß es.

Jeremy Arndt, seit vielen Jahren Verhandlungsführer von Verdi, argumentiert mit einem „faktischen Reallohnverlust“ seit der letzten Lohnrunde Ende 2021, an die Verdi fünf lange Jahre gebunden war. Die Inflation sei seitdem jedes Jahr höher gewesen als das vereinbarte Lohnplus.

Berlin bei Bezahlung deutschlandweit Schlusslicht

„Dementsprechend ist der Nachholbedarf sehr hoch“, sagte Arndt. Berlin sei deutschlandweit Schlusslicht in Sachen Bezahlung. Dies habe eine bundesweite Umfrage zum Lohnniveau deutscher Verkehrsbetriebe ergeben. Neue Busfahrer starten bei der BVG mit 2807 Euro brutto, ohne Zuschläge für Arbeit in der Nacht oder an Wochenenden. Beim deutschen Spitzenreiter, den Stuttgarter Straßenbahnen, liegt das Einstiegsgehalt bei 3427 Euro – also mehr als 600 Euro höher. Selbst im benachbarten Brandenburg bekommen Fahrer mehr als 200 Euro mehr.

2019 lag die BVG in diesem bundesweiten Vergleich noch auf dem zweiten Platz. „Die Forderung ist in dieser Höhe notwendig, um den Anschluss an die Tarifverträge im restlichen Bundesgebiet zu halten, und sie entspricht der Stimmung in der Belegschaft.“

Die ist aus Sicht der Gewerkschaft so: Sehr viele Fahrer wollen noch diese Tarifrunde abwarten. Wenn die ohne kräftiges Plus bleibe, wollen sie wechseln. „Der Wechselwille ist so hoch wie noch nie“, sagte Janine Köhler, Vorsitzende des BVG-Gesamtpersonalrats.

Streikende stehen 2020 vor dem Busbetriebshof in der Cicerostraße in Wilmersdorf.

© Jörn Hasselmann

Sollten Fahrer in nennenswerter Zahl das Unternehmen verlassen, hätte das für Fahrgäste katastrophale Auswirkungen. Schon jetzt leiden sie unter vielen Ausfällen. Bei der U-Bahn fielen 2024 knapp vier Prozent aller Fahrten wegen Personalmangels aus, bei der Straßenbahn 1,5 Prozent. Beim Bus sieht es besser aus, aber nur, weil im Sommer 2023 das Angebot wegen Fahrermangels um sechs Prozent reduziert worden ist.

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Prozent aller U-Bahnen fielen 2024 wegen Personalmangels aus.

Manuel von Stubenrauch ist seit 2015 Straßenbahnfahrer bei der BVG und Mitglied der Verdi-Tarifkommission. Von den 24 Leuten in seinem Ausbildungsblock seien nur noch fünf bei der BVG, sagte er, ein weiterer gehe in diesem Jahr. Die Fluktuation bei der BVG liege bei zehn Prozent, in funktionierenden Unternehmen seien es drei bis vier Prozent. Schuld seien auch die Arbeitsbedingungen.

Verdi forderte den Senat auf, eine dritte Finanzierungssäule für den öffentlichen Nahverkehr zu schaffen, neben Fahrgeldeinnahmen und Landeszuschüssen. Diese tragen bislang jeweils die Hälfte der Kosten im Verkehrsverbund. Als dritte Säule wird ein Beitrag von Nutznießern des ÖPNV verstanden, zum Beispiel Hauseigentümern oder Autofahrern. Bei den einen steigt der Wert ihrer Immobilie durch eine gute Anbindung, die anderen profitieren von leereren Straßen.

Die damals von den Grünen geführte Verkehrsverwaltung hatte 2020 eine Studie dazu in Auftrag gegeben, wie eine dritte Säule aussehen könnte, zum Beispiel mit einer City-Maut. Unter Schwarz-Rot ist das kein Thema mehr. „Die Tarifverhandlungen sind nicht nur eine Bewährungsprobe für die BVG, sondern auch für den Berliner Senat“, sagte Verhandlungsprofi Arndt.

Bis zum 10. April sind nach Verdi-Angaben sechs Verhandlungstermine angesetzt. Nach dem Auftakt am Mittwoch soll es am 31. Januar weitergehen.

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