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Julia Cimafiejeva ist Schriftstellerin und Übersetzerin. Die Exilliteratin lebt in Charlottenburg.

© Alhierd Bacharevič

Exilliteratin Julia Cimafiejeva: „Die Ereignisse haben viele aus der belarussischen Literaturszene sprachlos gemacht“ 

Julia Cimafiejeva musste ihre Heimat verlassen. Am Donnerstag tritt sie im Martin-Gropius-Bau auf. Im Gespräch erzählt sie, wie sie mit Poesie die brutalen Erinnerungen an Belarus verarbeitet.

Von Nadia Jusufbegović

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Auf dem hölzernen Wohnzimmertisch liegen ihre gesammelten Werke. Aufgetürmt. Akkurat sind zahlreiche Stellen mit Zetteln markiert. In der Ecke das gemachte Bett. Alles scheint blankgeputzt. Ordentlich.

Mit wachem Blick streicht die belarussische Literatin Julia Cimafiejeva sich die kurzen braunen Haare zurück. Bereit, ihre Geschichte zu erzählen. Auf Englisch setzt sie an. Die harten, präzisen Laute des osteuropäischen Akzents klingen durch.

Ortswechsel ziehen sich wie ein roter Faden durch ihre Lebensgeschichte: Als Kind lebte sie im Südosten von Belarus, musste aber als Bewohnerin des 15-Kilometer-Radius um Tschernobyl mit ihrer Familie wegziehen. Später ging sie nach Minsk.

Die vergangenen fünf Jahre verbrachte die 43-Jährige im Exil. Erst Österreich, dann Schweiz und jetzt Deutschland – erst Hamburg und nun Berlin. Als Stipendiatin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes lebt Julia Cimafiejeva zusammen mit ihrem Mann Alhierd Bacharevič, ebenfalls Autor, in ihrer Stipendienwohnung in Charlottenburg. Dort, an dem braunen Holzschreibtisch, fasst sie ihre Erfahrungen in Gedichte.

Arbeitsplatz der Exilliteratin Julia Cimafiejeva in ihrem Wohnzimmer.

© Nadia Jusufbegovic

Die Ästhetik im Düsteren finden

Ihre Werke drehen sich um die düstere politische Situation und ihre Erlebnisse in Belarus. Dennoch sei ihre Literatur nicht primär von aktivistischen Motivationen geprägt, sondern von künstlerischen, sagt Cimafiejeva: „Es geht mir immer um die Schönheit, die Ästhetik in meiner Poesie.“

Ähnlich wie bei den Fotografien von Diane Arbus? „Ja, vielleicht“, sagt sie. Die gesammelten Werke von Arbus, mehr als 450 Fotografien, werden derzeit im Martin-Gropius-Bau in Berlin ausgestellt. An diesem Donnerstag lädt Julia Cimafiejeva zusammen mit drei weiteren Exilliteraten zu einer Lesung in die Ausstellung. Cimafiejeva trägt dann einen Text zu einer von Arbus’ Bildern vor.

Die Fotografin Diane Arbus (1923–1971) widmete ihre Arbeit dem Rand der damaligen Gesellschaft in Amerika. „Sie hat die dunklen Winkel der Gesellschaft beleuchtet, in die damals niemand zu blicken wagte“, sagt Julia Cimafiejeva.

Sie sieht keinen Widerspruch zwischen den dunklen Themen und der Ästhetik in ihren eigenen Gedichten. „Ich möchte in meiner Arbeit nicht sentimental sein, sondern glasklar.“  Während des Gesprächs spricht sie ohne Ausnahme laut und deutlich, wählt ihre Worte präzise. Sentimentalität kann man ihr nicht unterstellen, als sie über ihren Wegzug aus Belarus spricht. Nüchternen Kampfgeist vielleicht schon.

Erinnerungen an die gewaltvolle Repression in Belarus

Bereits im Jahr 2001, als sie 19 Jahre alt war, habe sie gegen die nun 31 Jahre andauernde Repression durch den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko demonstriert. Nach den Scheinwahlen im Jahr 2020 sei sie erneut auf die Straße gegangen. „Meine Freunde und ich wurden so oft enttäuscht, dass es uns schwerfiel, die Hoffnung zu behalten“, erzählt sie rückblickend.

„So viele von uns wollten ein Zeichen gegen Lukaschenko setzen und zeigen, dass sie bereit für Veränderung sind.“ Julia Cimafiejeva sei dabei gewesen, als die Behörden gewaltvoll gegen die Proteste vorgingen. Sie spielt mit ihren Händen, blickt über den grünen Sessel hinweg zum Fenster hinaus. „Manche Menschen wurden so zusammengeschlagen, dass sie langfristige Behinderungen davongetragen haben, fast gestorben wären.“

Irgendwann habe ihr Mann Alhierd Bacharevič ein Bauchgefühl gehabt, dass sie als Literaten der Opposition das Land verlassen sollten, bevor es zu spät sein könnte. Sie erhielten von der österreichischen Stadt Graz ein Exilstipendium.

Bereits nach wenigen Monaten hätten sie realisiert, dass sie nicht mehr zurückkonnten. Ihr Bruder habe in Belarus anderthalb Jahre als politischer Gefangener im Gefängnis gesessen. Er spielte auf den Protesten laut Musik, erzählt sie. Heute lebt er in Polen. Doch ihre Eltern sind noch dort und viele Bekannte.

„Ich bin in jeder Sprache eine andere Person“

„Ich habe lange mit Schuldgefühlen und Scham gekämpft, dass ich nicht bei ihnen sein kann“, sagt Julia Cimafiejeva. Sie erzählt, wie sie sich in Graz zwar sicherer fühlte, aber auch einer Depression näherte. „Die Ereignisse haben viele aus der belarussischen Literaturszene sprachlos gemacht.“

So schrieb sie politischen Gefangenen Briefe. Schrieb aus ihrer Erinnerung Gedichte. Nutzte Sprache als Mittel, um das, was passiert war, aufzuarbeiten. Sie selbst beherrscht neben Belarussisch auch Russisch, Englisch, ein wenig Deutsch und Norwegisch. Ihre Gedichte schrieb sie nicht alle auf Belarussisch, sondern häufig auf Englisch. Die Distanz hilft ihr, sagt sie. „Ich habe das Gefühl, mit jeder Sprache eine andere Person zu sein, anders auf mich selbst zu blicken.“

Für Julia Cimafiejeva habe jeder Mensch seine eigene Sprache in sich, die er durch Worte für die Außenwelt übersetzen muss. „Alles ist Übersetzung.“ So sei Poesie ihr Weg, um die Sprache in sich für die Außenwelt zu übersetzen. „Für Diane Arbus war vielleicht Fotografie die richtige Sprache, um auszudrücken, was in ihr vorging.“

Sie bezieht sich auf die düstere Note in den Fotografien der Amerikanerin. Um das Gedicht für die Performance im Gropius-Bau zu schreiben, hat sie sich das einzige Foto von Diane Arbus ausgesucht, in dem ein Schatten von der Fotografin selbst zu erkennen ist. Arbus habe unkonventionelle wie alltägliche Motive vor die Linse genommen und das Düstere, das sie im Gegenüber von sich selbst reflektiert sah, in ihren Fotos hervorgebracht, sagt Julia Cimafiejeva.

„Wir haben gemein, dass wir selbst Thema unserer Kunst sind, doch Diane schafft ihre Selbstporträts durch die Darstellung von anderen Menschen.“ Die Aufarbeitung der eigenen Identität ist das, was die Künstlerinnen miteinander verbindet. Auch wenn sie in ihrer Arbeit zwei verschiedene Sprachen nutzen – Fotografie und Poesie.

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