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Fabien Martini – von Polizist totgerast: Berliner Kammergericht bestätigt Geldstrafe für Peter G.
Am 29. Januar 2018 starb Fabien Martini. Jetzt hat das Kammergericht das Verfahren gegen den Beamten Peter G. abgeschlossen. Eine Bestandsaufnahme.
Stand:
Fast fünf Jahre nach dem von einem Berliner Polizisten bei einem Autounfall verursachten Tod von Fabien Martini ist die juristische Aufarbeitung abgeschlossen. Das Kammergericht hat jetzt die Revision der Eltern der damals 21-Jährigen zurückgewiesen. Damit ist die vom Landgericht im Dezember 2021 verhängte Geldstrafe in Höhe von 12.900 Euro rechtskräftig.
Ein von der Mutter beauftragter Berliner Anwalt, der als „Strafverteidiger der Clans“ deutschlandweit bekannt ist, wollte ein Urteil wie gegen die Ku’damm-Raser erreichen. Statt wegen fahrlässigen Totschlags sollte Peter G. nach dem Willen der Familie wegen eines Tötungsvorsatzes verurteilt werden.
Seit dem höchstrichterlich vom Bundesgerichtshof (BGH) bestätigten Urteil des Landgerichts Berlin im Ku’damm-Raser-Fall ist klar: Wer ein Rennen fährt – ob gegeneinander oder allein – und dabei jemanden tötet, kann wegen Mordes belangt werden. Hätte das Kammergericht diese Sichtweise zugelassen, hätte das fatale Folgen für Polizisten, die mit Blaulicht Verdächtige verfolgen oder zu Einsätzen eilen müssen.
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Im Fall Peter G. entscheid das Kammergericht nun: Angesichts der Umstände sei nicht davon auszugehen, dass G. die Tötung von Menschen billigend in Kauf genommen habe. Denn es sei ein Unterschied, ob jemand ein Rennen auf dem Ku’damm gewinnen will, „um das von einem Sieg ausgehende Gefühl der Überlegenheit und Selbstwertsteigerung zu verspüren“ – oder ob ein Polizist zu einem Einsatz eilt.
Den Eltern von Fabien Martini dürfte das kaum Trost spenden. Der Fall hat Berlin bewegt. Fabien Martini wurde 21 Jahre alt, sie starb am 29. Januar 2018. Peter G. war kurz nach Mittag im Streifenwagen mit einem Kollegen zu einem Einsatz wegen eines gemeldeten Raubes unterwegs – mit Blaulicht und Martinshorn. Ein Fehlalarm, wie sich später herausstellte.

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Mit Tempo 130 ging es laut Ermittlungen durch den Tunnel in der Grunerstraße in Mitte Richtung Potsdamer Platz. Dann sah G. den weißen Renault von Fabien Martini, bremste sehr schnell, schneller als es jemand tun würde, der Alkohol getrunken hat. Die 21-Jährige war mit ihrem Auto in derselben Fahrtrichtung langsam von der mittleren Spur nach links zum Parken auf die Mittelinsel abgebogen. Mit einer Geschwindigkeit von 91 Stundenkilometern raste das Polizeiauto seitlich in den Kleinwagen der Frau.
Die Eltern bezeichnen Peter G. als Mörder
Fabien Martini starb noch am Unfallort. Ihre Eltern bezeichnen Peter G. seither als Mörder. Wegen aufgebrachter Facebook-Posts des Vaters, die als Drohungen verstanden werden konnten, war G. teils unter Polizeischutz in den Gerichtssaal am Landgericht gebracht worden.
Für die Eltern ist klar: Der heute 55 Jahre alte Hauptkommissar Peter G. muss betrunken gewesen sein – und nach dem Unfall hätten seine Kollegen alles vertuscht. In einer nach dem Unfall an der Charité genommenen Blutprobe war Alkohol festgestellt worden, rund ein Promille. Bekannt wurde ein entsprechender Vermerk in den Akten der Charité erst ein Jahr nach dem Unfall. Eine Charité-Mitarbeiterin hatte die Eltern informiert.
Doch schon die erste Instanz, das Amtsgericht Tiergarten, ließ das nicht als Beweis zu. Denn für Blutproben zum Nachweis von Alkoholkonsum bei Autofahren gelten besondere Regeln. Dennoch verurteilte das Amtsgericht Peter G. im Dezember 2020 in einem widersprüchlichen Urteil zu einem Jahr und zwei Monaten Haft, ausgesetzt zur Bewährung.
Kein Alkoholverdacht, keine Verschleierung
Das Landgericht kassierte die Entscheidung auf Antrag von Peter G. im Berufungsprozess. Es sah eine Mitschuld der jungen Autofahrerin, weil sie sich verkehrswidrig verhalten habe. Sie hätte „mit Schulterblick den Funkwagen sehen müssen und reagieren können“, hieß es.
Das Kammergericht bestätigte nun die verhängte Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu 86 Euro. Schon das Landgericht kritisierte zwar, dass es am Unfallort teils zu einer „chaotischen Bearbeitung“ gekommen sei und sich Polizisten nicht an die eigene Geschäftsordnung gehalten hätten. So wäre es nötig gewesen, eine eventuelle Alkoholisierung unmittelbar zu prüfen. „Gleichwohl gibt es keine Anhaltspunkte für eine Verschleierung“, urteilte die Kammer.

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Daneben habe es aber keine Hinweise auf eine Alkoholisierung gegeben, die eine Blutprobe gerechtfertigt hätten. Mehrere Zeugen hätten keinen Alkoholgeruch wahrgenommen. G. habe laut Unfallgutachter „schnell und gut“ – ohne alkoholbedingte Verzögerung – reagiert, heißt es im nun bestätigten Urteil. Die Patientenakte könne nicht als Beweis dienen, die Beschlagnahme auf Betreiben der Staatsanwaltschaft sei rechtswidrig und ein grober Verstoß gegen die Strafprozessordnung gewesen.
Die abschließende Entscheidung des Kammergerichts dürfte auch für die Polizeiführung von Interesse sein. Die Behörde hatte sich früh festgelegt und Peter G. vorverurteilt. Polizeipräsidentin Barbara Slowik schaltete sich persönlich ein, auch Vizepräsident Marco Langner mischte mit, was zu einer Hausdurchsuchung bei G. führte. Noch bevor ein rechtskräftiges Urteil vorlag, leitete die Polizei alles ein, um G. aus dem Polizeidienst zu entfernen. Von Unschuldsvermutung keine Spur. Aber weil das nicht geht, zog Slowik später die Reißleine und pfiff alle zurück.
Der damalige Innensenator Andreas Geisel (SPD) stand wegen des Falls unter Druck durch die Medien und die Familie Martini – und mit ihm die Polizeiführung um Barbara Slowik. Der Boulevard bezeichnete G. als „Suff-Cop“. In der Öffentlichkeit gab es nur eine vorherrschende Meinung zu dem Fall: G. muss am Steuer besoffen gewesen sein. Die Polizei wollte ihn loswerden, weil er wegen der negativen Berichterstattung den Ruf der Polizei beschädigt hätte.

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Selbst die Staatsanwaltschaft mischte mit. Ein Staatsanwalt, der bekannt dafür war, Verdächtige mit anderen Verfahren zu zermürben, ließ das Landeskriminalamt bei G. anrücken, weil er einen Schlagring als Requisit für seine frühere Foto- und Eventfirma besaß. Die Polizeiführung musste schließlich das Verfahren, um G. aus dem Dienst zu entfernen, stoppen. Aber erst als feststand, dass der Alkoholverdacht rechtsstaatlich nicht verwertbar ist.
Tuscheln auf dem Gerichtsflur – Verkehrsermittlerin und Fabiens Vater
Oder die Beamtinnen vom Verkehrsermittlungsdienst. Eine von ihnen tuschelte mit dem Vater von Fabien Martini auf dem Gerichtsflur – eigentlich im laufenden Prozess ein No-Go. Ihre Aussage vor Gericht zum zulässigen Maximaltempo bei Blaulichtfahrten oder ihren angeblichen Anweisungen zu Alkoholtests am Unfallort erwiesen sich vor Gericht als Luftnummer.
Fast schien es so, also wollten Polizisten im Dienste der Behördenleitung nicht Recht walten lassen, sondern Volkes Zorn. Am Ende hielt das Landgericht Peter G. zugute, dass es per Gesetz keine Höchstgeschwindigkeit für Einsatzfahrten mit sogenannten von Sonder- und Wegerechten gebe. Deswegen musste ihm „nicht zwingend einleuchten, dass er viel zu schnell war“. Wie soll das auch gehen, wenn Beamte im Notfall Verbrecher verfolgen müssen?
Eine Regel gibt es aber. Niemand darf durch die Fahrt mit Blaulicht gefährdet werden. Peter G. hätte maximal Tempo 80 durch den Grunertunnel fahren dürfen, dann wäre der Unfall vermeidbar gewesen, entschied das Gericht. Peter G. durfte aber darauf vertrauen, dass Fabien Martini geradeaus fährt und nicht einfach nach links über die gesamte Fahrbahn zieht. Die Grundsatzfrage aber, wie schnell ein Einsatzfahrzeug fahren darf, ist immer - darauf pochte das Gericht - vom Einzelfall abhängig.
„Für den Rechtsstaat war der Fall eine besondere Herausforderung“, sagt Jörn Badendick vom Polizeiberufsverband „Unabhängige“. Er hat Peter G. in allen Verfahren begleitet. „Es ist bemerkenswert, dass der Kollege nach der medialen Vorverurteilung überhaupt noch eine Chance auf ein rechtsstaatliches Verfahren bekam.“ Der ganze Fall sei medial aus dem Ruder gelaufen. „Der Kollege wird den Nimbus, beim Unfall betrunken gewesen zu sein, nicht mehr los, auch wenn sich der Verdacht nicht bestätigt hat.“

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Die Eltern von Fabien Martini haben bislang keine Ruhe gefunden. Die Anwälte hatten sie in ihrem Zorn, nicht in der Trauerarbeit bestärkt. Sie ließen die Eltern ungeschützt in die Kameras schimpfen: Mörder, Justizskandal, Vertuschung! Als würde ein Mordurteil ihre Trauer lindern. Immer wieder schreibt der Vater bei Facebook über Peter G., er sei der Mörder seiner Tochter und gehöre ins Gefängnis.
Verbandsprecher Badendick zeigt Verständnis: „Dieser Fall hinterlässt auf allen Seiten nur sehr tragische Verlierer.“ Allen Beteiligten, besonders der Familie Martini, sei zu wünschen, dass sie mit dem Verfahren abschließen und wieder in ein normales Leben zurückfinden könnten. „Denn egal welches Strafmaß, es würde keine Genugtuung verschaffen. Das Rad der Zeit lässt sich nicht zurückdrehen, auch wenn alle Seiten – die Eltern und der Kollege – den Unfall gern ungeschehen machen würden.“
Die Eltern von Fabien Martini haben sich auch gewünscht, dass Peter G. nie wieder als Polizist arbeiten wird. Zumindest das wird wahr: Nachdem die Polizeiführung damit gescheitert war, ihn aus dem Dienst zu entfernen, will G., der seit Jahren wegen der Last des Verfahrens krankgeschrieben und ein Wrack ist, nun selbst gehen. Er hat vorzeitigen Ruhestand beantragt.
„Er ist zu einem Einsatz gefahren und hinterher war alles kaputt – für Familie Martini, für ihn“, sagte Unabhängigen-Sprecher Badendick. „Die Eltern haben ihre geliebte Tochter verloren, der Kollege wird nach 30 Jahren nicht mehr als Polizist arbeiten können.“ Einen Preis hat G. in jedem Fall zu zahlen. Neben den knapp 13.000 Euro Geldstrafen muss G. die Verfahrenskosten zahlen, die Gutachten des Unfallexperten, die Anwälte der Eltern. Es sind mehrere zehntausend Euro.
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