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Die Straßenbahnfahrerin Sandra Probst von der BVG trainiert in Berlin gemeinsam mit ihrem Kollegen Thomas Langkopf von den Leipziger Verkehrsbetrieben für die Tram-WM in Wien.

© Stefan Jacobs

Fahren wie die Weltmeister: Eine Berlinerin trainiert für die Tram-WM

Sandra Probst steuert seit 25 Jahren Straßenbahnen für die BVG. Im September misst sie sich in Wien mit Kollegen aus aller Welt. Gefragt sind Schätzvermögen und Feingefühl.

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Es ist still in den Weiten des BVG-Betriebshofs Lichtenberg, in dessen hinterem Teil reparaturbedürftige Straßenbahnen in der Mittagssonne vor sich hin dösen. Aber dann kommt auf einem freien Gleis Sandra Probst angerauscht mit ihrer 40-Tonnen-Bahn. Vor ihr auf den Schienen liegt ein mannshoher Ball, den sie ordentlich wegkicken will, damit er die Kegel umhaut, in die sie selbst aber nicht reinbrettern darf. Also legt sie eine Vollbremsung hin, die zusammen mit dem automatisch ausgelösten Klingeln ein ziemliches Getöse ergibt.

In acht Wochen muss sie diese und andere Nummern vor großem Publikum hinlegen: Bei der Tram-WM in Wien, bei der Sandra Probst gemeinsam mit ihrem Kollegen Thomas Langkopf von den Leipziger Verkehrsbetrieben (LVB) für Deutschland den Titel holen will – gegen Konkurrenten aus 25 Ländern und Städten von Melbourne über Rio, Hongkong, Casablanca bis Oslo, Warschau und Kyjiw. Das „Tram-Bowling“ ist eine von acht Disziplinen. Sieben können sie in Berlin vorab trainieren, sagt Sebastian Templiner, der im Hauptberuf den Betriebshof Köpenick leitet und hier als Teamcoach gerade den Ball auf die Schienen gerollt hat.

Bowling mit der Tram will geübt sein für die Weltmeisterschaft.

© Stefan Jacobs

Wo der Ball landet, ist Glücksache, aber die nächste Disziplin haben Probst und Langkopf selbst in der Hand. Die Berlinerin signalisiert ihrem Leipziger Kollegen vom Führerstand aus, wie nahe er einen Stab ans Gleis stellen soll, damit sie gerade noch vorbeikommt. Es ist gewissermaßen der Parktrottel-Test, wie ihn das Fahrpersonal im Berliner Alltag täglich absolvieren muss, etwa um Rosenthaler Platz und Hackeschen Markt. Erster Versuch: zehn Zentimeter zwischen Bahn und Stab. Na ja. Nächster Versuch: drei Zentimeter. Stark. Weniger als einer brächte bei der WM 500 Punkte, Berührung null.

Wer denkt sich so was eigentlich aus? Die Dresdner, sagt der Coach. 2012, zum 100. ihrer Straßenbahn, hätten sie eine Europameisterschaft veranstaltet. Leute kamen, um kurz zu gucken, und blieben Stunden. Und bei den Teilnehmern entstand eine Art Wettkampffieber, das nicht wieder abklang. 2016 war die EM in Berlin, 2023 in Rumänien, vergangenes Jahr in Frankfurt am Main.

Sandra Probst fährt seit 25 Jahren Straßenbahnen für die BVG.

© Stefan Jacobs

Und jetzt die ganze Welt – in Wien. Wo sie andere Straßenbahnmodelle haben, was die Sache nicht einfacher macht. Aber auch nicht unbedingt schwerer, sagt der Coach: In Frankfurt sei das Heimteam Vorletzter geworden, was auch am selbstgemachten Druck gelegen habe. Nach dem Motto: Mit euren eigenen Fahrzeugen müsst ihr ja wohl gewinnen.

Weiter geht’s: Rückwärtsfahren mit Pfeifsignal – sehr speziell, aber aus der Praxis, wie der Coach versichert. Probst fährt blind rückwärts, Langkopf soll per Trillerpfeife das Stoppsignal geben, damit sie genau an einem Stock zwischen den Schienen hält. Er pfeift so spät, dass der Stock unter der Tram verschwindet. Das müssen sie noch üben.

Aber jetzt ist erst mal „fahrgastfreundliches Stop-and-Go“ angesagt. Dafür wird eine gut zur Hälfte gefüllte Wasserschüssel auf die Kupplung gestellt, aus der beim Anhalten nichts rausschwappen sollte. Probst hat genug Fingerspitzengefühl, dass es auf Anhieb klappt. Im Alltag sind es statt der Wasserschüssel die Fahrgäste, die davon profitieren.

Eine Disziplin ist möglichst knappes Vorbeifahren an Hindernissen.

© Stefan Jacobs

Nächste Disziplin: „Perfekter Stopp“. Dafür wird der Spiegel weggeklappt und dann nach Gefühl so weit vorgefahren, dass die zweite Tür exakt auf Höhe einer bereitstehenden Rampe ankommt. Langkopf verrät den Trick für diese Übung: „Wir zählen beim Vorbeifahren leise: 21, 22, 23.“ Man könne das auch im Liniendienst üben, indem man sich einen bestimmten Fahrgast an der Haltestelle als Bezugspunkt ausguckt. Probst hält nur wenige Zentimeter versetzt vor der Rampe. Sieht gut aus. Aber wo an den Wiener Bahnen die Türen sind, wird sie erst bei der Generalprobe am Tag vor der WM sehen.

Die freihändige Bremsung wäre im Alltag eine Todsünde

Jetzt üben sie die „Zielbremsung“, die Sandra Probst als schwierigste Disziplin empfindet, „weil man die im Alltag nicht üben kann“: Bei Tempo 25 wird auf Höhe eines Kegels der Bremshebel exakt so weit zurückgezogen, dass die Bahn genau an einer Markierung stehen bleibt. Im Linienbetrieb wäre es eine Todsünde, den Bremshebel loszulassen – auch wenn der in der gewählten Stellung bleibt. Probst hat ein bisschen zu sachte gebremst, steht erst zwei Meter hinter der Markierung.

60
km/h dürfen die Straßenbahnen der BVG maximal fahren.

Also gleich noch mal, bevor sie übt, genau Tempo 25 mit abgedecktem Tacho zu fahren. Auch so eine Übung mit mutmaßlichem Heimvorteil. Aber wer weiß. Auch an anderen Orten irgendwo auf der Welt werden Kolleginnen und Kollegen in diesen Tagen diese Übungen absolvieren. Und dann haben die Wiener ja noch das „Curling“ erfunden, bei dem eine Draisine mit genau dem richtigen Schwung angeschubst werden muss. Die BVG hat aber keine solche Draisine. Das Team hofft auf die Kreativität der Leipziger Kollegen, bei denen im August noch ein Trainingstag ansteht.

Wenn Sandra Probst nach Wien fährt, ist sie die eine von 1400 Straßenbahn-Fahrerinnen und -Fahrern der BVG, die Deutschland vertreten darf. Und natürlich ihren Beruf, in dem sie oft mehr Ärger als Anerkennung bekommt. Nach achteinhalb Stunden im Berliner Stadtverkehr sei sie definitiv reif für eine Runde mit dem Hund und ein bisschen Arbeit im Garten zum Ausgleich, sagt sie. Aber sie fahre auch nach 25 Jahren noch gerne, am liebsten die M1. In der sei das Publikum so angenehm gemischt. Und ihr Ziel für Wien? „Alles auf Gold!“ Mental scheint sie fit zu sein für den Titel.

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