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Frieden in Friedrichshain?: Polizei registriert immer weniger Straftaten in der Rigaer Straße
Die Straße im Friedrichshainer Norden ist als sogenannter „Kriminalitätsbelasteter Ort“ eingestuft, die Polizei darf hier etwa anlasslos kontrollieren. Das sei nicht mehr angemessen, findet der Linken-Abgeordnete Niklas Schrader.
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Die Zeiten, als die Rigaer Straße in Friedrichshain als autonomer Kiez unter der Kontrolle Linksextremer galt, sind offenbar vorbei. Seit Jahren registriert die Polizei hier immer weniger Straftaten. Das geht aus einer bislang unveröffentlichten Anfrage des Linken-Abgeordneten Niklas Schrader hervor, die dem Tagesspiegel vorliegt. Zuerst hatte die „Taz“ berichtet.
Wurden 2020 noch 1120 Straftaten in der Straße dokumentiert, waren es 2024 nur noch 688. Im ersten Halbjahr 2025 registrierte die Polizei 329 Delikte. In die Statistik fließen auch Straftaten wie Wohnungseinbrüche, Urkundenfälschung und Amtsdelikte ein. Besonders drastisch zeigt sich das sinkende Gewaltpotential der linken Szene beim Widerstand beziehungsweise tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte – also meist Polizist:innen: Wurden hier 2020 noch 90 Delikte registriert, waren es 2024 16 und im laufenden Jahr sechs.
Dennoch ist die Rigaer Straße weiter als sogenannter „kriminalitätsbelasteter Ort“ (kbO) eingestuft, als eines von sieben Gebieten berlinweit. Die Polizei hat hier besondere Befugnisse: So kann sie etwa Personen ohne konkreten Verdacht kontrollieren oder die Straße anlasslos per Video überwachen.
Der Senat stuft Gebiete als „kbO“ ein, wenn dort besonders viele „Straftaten von erheblicher Bedeutung“, also insbesondere Gewalttaten, begangen werden. Neben dem Friedrichshainer Nordkiez tragen dieses Label der Alexanderplatz, die Warschauer Brücke, der Hermannplatz, die Gegend rund um den S-Bahnhof Neukölln und die Hermannstraße, die Kieze rund um das Kottbusser Tor und am Görlitzer Park.
Von allen „kBO“ werden in der Rigaer Straße mit Abstand am wenigsten Straftaten registriert. So zeigt eine Vorlage des Senats aus dem September, dass am Alexanderplatz im Jahr 2024 471 „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ festgestellt wurden, am Görlitzer Park sogar 555. In der Rigaer Straße waren es im gleichen Zeitraum 18.
Für Fragesteller Niklas Schrader ist daher die Einstufung der Straße als „kbO“ nicht länger haltbar: „Es geht der Polizei nur noch um die Rigaer 94. Und das, obwohl die Konflikte um dieses Haus längst nicht mehr die Bedeutung haben wie vor einigen Jahren“, sagte er dem Tagesspiegel. Das Haus mit der Nummer 94 ist das wohl letzte teilbesetzte Haus Berlins und gilt seit langem als Schwerpunkt der linksextremen Szene.
Mit hoher Kriminalitätsbelastung hat das nichts mehr zu tun.
Niklas Schrader, Linken-Politiker
So begründet dann auch der Senat, warum die Straße weiter als kriminalitätsbelastet gilt: Die Rigaer Straße sei „geprägt von der besonderen Phänomenlage linksextremistischer Straftaten“ und sei ein „Rückzugsort der linken Szene mit überregionaler Bedeutung“, heißt es in der Antwort. Die Bewohner:innen des Hauses würden „anarchistische Werte“ und eine „feindliche Haltung gegenüber staatlichen Institutionen zeigen“. Zudem seien „jederzeit Ordnungsstörungen“ aus dem Haus heraus zu erwarten.
Schrader zweifelt das an: Die Fluktuation der Bewohner:innen in dem besetzten Teil des Hauses sei hoch, die Bewohnerschaft selbst im Kiez „weitgehend isoliert“, sagte er dem Tagesspiegel. Zudem habe das Haus „keine große Bedeutung mehr für die linke Szene“. Offenbar wolle die Polizei schlicht die Möglichkeit, anlasslos kontrollieren zu können, nicht aus der Hand geben.
„Mit hoher Kriminalitätsbelastung hat das nichts mehr zu tun“, sagte Schrader. „Das zeigt die ganze Absurdität des Konzepts der kriminalitätsbelasteten Orte auf.“ Die Polizei handhabe dieses Instrument nach eigenem Gutdünken. „Ich finde, es müsste unabhängig und kriminologisch evaluiert werden“, sagte der Linken-Politiker.
Die Rigaer Straße gilt seit langem als Schwerpunkt der linksextremen Szene. Seit der Räumung mehrerer weiterer Hausprojekte, etwa der Liebigstraße 34, ist es in der Straße allerdings spürbar ruhig geworden. In der Rigaer Straße 94 gibt es fünf Wohnparteien mit legalen Mietverträgen. Über zwölf weitere Wohnungen streiten die Eigentümerin, eine britische Limited, und die Bewohner:innen aktuell vor Gericht. Auch innerhalb des Hauses kam es nach Tagesspiegel-Informationen zuletzt immer wieder zu Konflikten, etwa wegen der Positionierung zum Gaza-Konflikt.
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