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Blick in die Markthalle 9 in Kreuzberg mit Aldi-Filiale.

© Doris Spiekermann-Klaas

Für Aldi, gegen Gentrifizierung: Was Berlin aus dem Streit um die Markthalle 9 lernen kann

Der Konflikt um den Discounter in der Markthalle 9 ist typisch für die jungen, hippen Viertel Berlins. Er zeigt, wie schwer sich die Stadt mit Veränderung tut.

Wenn die drei Chefs der Markthalle 9 ihre Immobilie verlassen, können sie auf Litfaßsäulen in der Nachbarschaft Plakate mit persönlicher Ansprache kleben sehen. Darauf stehen Sätze wie „Das ist unser Kiez, schmeißt doch endlich Florian und Bernd und Nikolaus aus Kreuzberg raus“. Als wären die drei mittelalten Männer mit den genannten Vornamen Immobilienhaie auf der Suche nach einem Objekt für Google. An einem Straßenschild ein paar Meter weiter liest man schwarz auf weiß im Din/A 4-Format: „Markthalle Neun/ suche: Fördergelder/ biete: tolles Image“.

Florian Niedermeier und seine beiden Geschäftspartner werden wissen, wie das gemeint ist – spöttisch, hämisch, eine Kriegserklärung auf kreuzbergisch. Der Krieg hat im März begonnen. Da wurde bekannt, dass Niedermeier und seine Partner den Aldi-Markt in der Halle nicht mehr wollen, der dort seit Jahrzehnten untergebracht ist.

Die Markthalle 9 ist eine der vier historischen Markthallen, die in Berlin noch stehen. 14 waren es mal, als die Stadt mit dem Markthallenkonzept die Ernährungslage der ärmeren, hart arbeitenden Bevölkerung verbesserte. Heute ist die Markthalle 9 nicht bloß ein Unternehmen; sie steht im Mittelpunkt eines Streits, der typisch Kreuzberg ist. Leute machen etwas, das den Kiez verändert. Andere lehnen das ab – diese eine Veränderung geht zu weit! Typisch Kreuzberg ist die ideologische Überhöhung: Hier die Unternehmer, die als „Gentrifizierer“ wahrgenommen werden. Da die neu-konservativen Langzeit- Kreuzberger.

Typisch ist die Anmaßung: "Unser Kiez"

Und das weist über den Kreuzberger Konflikt hinaus – in diesem Konflikt steckt die Stadt, die sich mit hohem, für viele ungewohntem Tempo verändert. Da kommen die Neuen, die sie von innen heraus modernisieren, besser machen wollen. Aber das sind noch die, die schon lange, sehr lange hier sind, sich sorgen, dass es lauter, enger, teurer wird. Zu überspitzt? Zu reduziert? Vielleicht. Das Muster passt auf die meisten Berliner Konflikte.

Die drei jungen Unternehmer, die nach eigenem Bekunden den Kreuzberger Kiez und die ganze Welt ein bisschen besser machen wollen, sind auf Kollisionskurs mit der Kreuzberger Wirklichkeit: Florian Niedermeier, sehr groß und sehr freundlich, Kulturwissenschaftler aus Augsburg mit Erfahrung als Betreiber eines Ladens für „alpenländische Lebensmittel“. Den hat er gemeinsam mit Bernd Maier, ebenfalls Augsburger, gelernter Gartenbauer, in Berlin betrieben. Den dritten, Nikolaus Driessen, lernte die beiden kennen, als sie sich für die Markthalle zwischen der Eisenbahn- und der Pücklerstraße im tiefsten SO 36 interessierten. Driessen gehörte zu einer Anwohner-Initiative.

Jetzt stecken sie tief im Aldi-Streit. Selbstverständlich haben sich gleich mehrere Initiativen gegründet, die sich daran beteiligen. Über viele Stunden an mehreren Abenden haben Hallenbetreiber, Anwohner, Interessenvertreter und Leute, die meinten, etwas zu sagen zu haben, heftig miteinander gestritten, sie haben einander beschimpft, einander böse Absichten und Lügen unterstellt – und sind immer beim Du geblieben.

Typisch Kreuzberg ist die Anmaßung, mit denen Beteiligte sagen: „unser Kiez“. Typisch Kreuzberg ist, dass man um den Begriff „Gentrifizierung“ nicht herumkommt. Dass die Politik, etwa in Gestalt der Stadträte Andy Hemke (Wirtschaft) und Florian Schmidt (Stadtentwicklung), allenfalls moderierend und begleitend dabei sein darf und soll. Typisch Kreuzberg ist – das wollen auch die Betreiber –, dass in einem „offenen“ Diskussionsprozess eine Lösung gefunden werden soll. Miteinander reden. Und noch mal miteinander reden. Bis etwas gefunden ist, das wirkt wie ein Kompromiss.

Er soll bleiben, damit sich nicht alles ändert

Typisch Kreuzberg ist das moralische Gewicht, das Konfliktbeteiligten automatisch zugesprochen wird, wenn sie sagen: „Ich bin der Helmut und wohne hier seit 1975“. Ausgerechnet ein Aldi-Markt ist zum Symbol geworden: Er soll bleiben, damit sich nicht alles ändert.

Die Guten mögen Gutes wollen, aber sie bewirken das Schlechte. Auch Idealisten können wie Spekulanten wirken, wie Gentrifizierer: Das ist der Vorwurf, der den Hallenbetreibern gemacht wird.

Die Frage stellt sich in vielen Berliner Kiezen: Wer bestimmt das Tempo, wer gibt Richtungen vor, die Berlin verändern? Sind es diejenigen, die die Stadt ein bisschen grüner, vielleicht auch langsamer machen wollen? Ist es der Regierende Bürgermeister Michael Müller, der vor kurzem sagte, er wolle, „dass die Leute weiter hierher kommen“, auch wenn die notwendigen Baumaßnahmen „Schmerzen“ verursachen würden. Oder sind es die anonymen Kräfte, die Geldströme und Gewinninteressen?

Kann die Stadtgesellschaft etwas lernen vom Prinzip Kreuzberg?

Die drei Hallenbetreiber nehmen für sich nur idealistische Ziele in Anspruch. Anfangs hofften Niedermeier, der hier für die Betreibergesellschaft spricht, und seine Partner Bernd Maier und Nikolaus Driessen vermutlich darauf, dass ein Abend reichen würde, um dem Streit die Schärfe zu nehmen.

Sechs Tomaten, vier Eier, sechs Euro

Rund 250 Leute stehen und sitzen dann etwa an einem Dienstagabend im April in einem Teil der Markthalle, der sonst bewirtschaftet wird. Bierbänke, ein paar Stühle, drumherum noch Betrieb an einigen Ständen. Eine professionelle Moderatorin, hager, um die 50, leitet die Diskussion, Beginn 19 Uhr, kein Ende um 23 Uhr, kein Ergebnis.

Die Betreiber Bernd Maier, Florian Niedermeier und Nikolaus Driessen würden nie sagen: Das ist unsere Halle. Wir entscheiden.
Die Betreiber Bernd Maier, Florian Niedermeier und Nikolaus Driessen würden nie sagen: Das ist unsere Halle. Wir entscheiden.

© Doris Spiekermann-Klaas

Hallenbetreiber Bernd Maier sagt Sätze wie „diese Halle war tot“ und „für uns ist es eine Lebensaufgabe.“ Florian Niedermeier sagt „offensichtlich gibt es ein paar Leute, denen das Angebot nicht gefällt“. Aber man habe eben auch 467 Arbeitsplätze geschaffen. Und schließlich gehe es um eine Ernährungswende, eine Agrarwende. Und man müsse „darüber reden, wie man es machen kann, für jeden erreichbar“ und wie man „'ne Gesellschaft sozial gerecht ernähren“ könne. Eine stämmige, streitlustige Frau sagt: „Worum es geht: das Ding, was hier als Markthalle geführt wird, ist gar keine!“ Am Rand der Menge entsteht ein Tumult, drei Männer, einer in Tarnjacke, schreien und streiten. Die Moderatorin sagt Sätze wie: „Kommt ihr bitte in den Dialog zurück?!“

So geht es über Stunden, die Leute haben Bierflaschen und Weißweingläser in der Hand. Ein schwerer Mann mit Glatze und Vollbart sagt, die „Ernährungswende“ werde hier „von oben herab diktiert“. Eine Frau schimpft, die Halle ziehe Leute an, „die es geil finden, am Kottbusser Tor sauteuren Champagner zu trinken“. Eine andere Frau fragt, was denn die „Fressmeile“ an den Donnerstagen mit einer Ernährungswende zu tun habe. Eine Alt-Anwohnerin beschwert sich über den „Naschmarkt“ zu Ostern. „Ich habe mich lange genug falsch ernährt“, sagt sie, eine Anspielung auf ihr Körpergewicht. Eine andere in Richtung der Betreiber: „Was Sie hier machen, ist ein Event. Sechs Tomaten, vier Eier, sechs Euro.“

Ein Satz, den man in Kreuzberg nicht sagt

Die drei Hallenbetreiber sehen an diesen Abenden aus, als säßen sie auf der Anklagebank: die Gesichter verschlossen, der Blick gesenkt, getroffen von den Vorwürfen, die sie zu hören bekommen. In einem anderen Bezirk, einer anderen Stadt hätten sie schon nach dem ersten Abend sagen können: „Okay Leute, wir sehen Eure Interessen. Aber Ihr müsst schon respektieren, dass das hier unsere Halle ist. Wir entscheiden.“

Ein Satz, den man in Kreuzberg nicht sagt.

Typisch Kreuzberg ist auch, dass der Streit von den beiden Brennstoffen befeuert wird, die dem Stadtteil an die Substanz gehen: Immobilienentwicklung und Tourismus. Beide Geschäftsfelder heizen die Berliner Wirtschaft – und die Interessenkonflikte – überall an, mindestens innerhalb des S-Bahn-Rings.

Die einen finden, dass Berlin nun endlich wieder attraktiv ist und sich seinen großen Möglichkeiten gemäß entwickelt. Den anderen wird ihre Stadt immer fremder: zu viel Rollkoffer-Radau. Zuviel Party vor zu vielen Spätis. Zu viel Klamauk.

In anderen Städten ist der Widerstand längst deutlich und manchmal sogar militant. Vor allem in Spanien, in Barcelona und in Palma de Mallorca, auch in Venedig und Athen, machen Bürger mit Protesten klar, dass ihnen ihre Städte fremd werden. Da werden Reisebusse blockiert und harte Vorschriften über die Größe von Pensionen und Hotels erlassen. In Kreuzberg waren die Grünen auch schon mal so weit – bevor sie in den Senat einrückten und in Gestalt der Wirtschaftssenatorin gern regelmäßig Wachstumsraten verkünden, auch bei den Übernachtungszahlen. Vorschläge für einen neuen Umgang mit dem Massentourismus beschränkten sich darauf, den einfliegenden Berlin-Besuchern Spandau näher bringen zu wollen.

Die Guten bewirken Schlechtes

Allerdings sind die Gegensätze, die Kreuzberg prägen, im Markthallenzwist verworren. Die Guten bewirken Schlechtes – die Hallenbetreiber drehen an der Preisspirale.

Darauf kann kommen, wer normalerweise sein Bier bei Aldi kauft: sechs halbe Liter „Maternus Premium Pilsener“ zu 1,79 Euro. „Liter = 0,60“, schreibt Aldi. An einem „Street food Thursday“-Abend zahlt man für einen halben Liter von Johannes Heidenpeters süffigem Hellem fünf Euro. Der Liter gleich zehn Euro, das ist die Rechnung. Aber man zahlt ja für Heidenpeters Braukunst und das Gesamtereignis: für den Ort und das Angebot, für die Möglichkeiten, vom Burger bis zum Taco alles Mögliche zu essen, mit Leuten ins Gespräch zu kommen und zu feiern.

Der Betrieb beginnt am späten Nachmittag, Sitzplätze sind selten, die Leute kommen einzeln und in Gruppen, bestellen Wein und Schaumwein gleich flaschenweise, genießen das Leben und Berlin. Viele Touristen sind dabei. Das Konzept kommt an, der Betrieb läuft. Das Reisemagazin der Internetseite „Voucher Wonderland“ empfiehlt die Halle; die Internetseite „Reisereporter“ empfiehlt die Halle; www.top10berlin.de empfiehlt die Halle. Der Street food Thursday liefert, was die Leute erwarten.

Er gehört zum Gesamtkonzept der Hallenbetreiber, wie das tägliche Basis-Angebot, der Markt am Freitag und am Samstag, die Kantine, die Events, die „Pop up-Dinner“ oder der „Oster-Nasch- markt“, der Catering Service, die Kinder-Kochschule, der Tofu-workshop. Betrieb, Veranstaltungen, Nährmittel für die Event-Metropole Berlin, in der man ständig irgendwohin unterwegs ist. Kurse müssen sein.

Die Markthalle wurde 1891 eröffnet, damit hart arbeitende Kreuzberger frische Lebensmittel kaufen konnten. Dieses Foto ist von 1970.
Die Markthalle wurde 1891 eröffnet, damit hart arbeitende Kreuzberger frische Lebensmittel kaufen konnten. Dieses Foto ist von 1970.

© ullstein bild - Grabowsky

Sie wissen, wo ihr Auto steht

Die Halle ist nicht bloß ein überdachter Markt. Sie ist ein Projekt, ein immobiles Transportmittel für die „Ernährungswende“, die Florian Niedermeier vorantreiben will. Die Halle, eröffnet 1891, soll jetzt und in Zukunft das Essen der Kreuzberger von heute gesünder machen.

Niedermeier passt mit seinem Idealismus deshalb gut nach Kreuzberg. Er wohne, sagt er, fünfhundert Meter Luftlinie entfernt. Sein Sohn gehe im Kiez zur Schule. „Wir“ – die Betreiber – „sind jemand, der sichtbar ist und der da ist – von wegen ‚Gentrifizierung'. Wir sind jeden Tag in der Halle. Man weiß, wo wir wohnen, und“ – das sagt er mit einem Lachen – „wo unser Auto steht“.

Auch was Streitbarkeit und Diskussionskultur angeht, ist Niedermeier bekennender Kreuzberger. Hier gebe es diese „Kultur des Nicht-mehr- Hinnehmens“, sagt er, „diesen Geist des ‚Das passt mir nicht!' Deswegen bin ich ja auch hier.“

Bloß, dass dieses entschlossene „Das passt mir nicht!" nun ihn trifft, ihn und seine Kollegen.

Wie sich das Aldi-Angebot auf die Halle mit den kleinteiligen Bio-Angeboten auswirkt, passt allerdings Niedermeier und seinen Partnern nicht. Deshalb die Kündigung. Aldi ist laut dem Marktforschungsinstitut GfK der größte Bio-Lebensmittel-Anbieter in Deutschland. Klar, dass da Produzenten aus der Region nicht mithalten können. Zum weiteren Vorgehen? Niedermeier will sich nicht festlegen. Die Diskussion sei „ergebnisoffen – ich kann das Ergebnis nicht vorwegnehmen. Ich sage nicht: Uns gehört die Halle und wir machen, was wir wollen. Und ich sage auch: Wir müssen am Ende die Verantwortung als Unternehmer tragen. Für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und unsere Mieter, die sich hier eine Existenz aufbauen. Und über unsere Zukunft kann nicht einfach mal öffentlich abgestimmt werden.“

"Dann ist die Ernährungswende gescheitert"

Zur Aldi-freien Ernährungswende, wie Niedermeier sie will, gehört Versorgung in regionalen Zusammenhängen. Brandenburg, sagt er, habe das Potenzial, Berlin zu versorgen. Er kennt Studien dazu, Geschichten, schwärmt von den Lieferanten im Spreewald, und schimpft auf die Politiker, die Berliner und Brandenburger, die die Möglichkeiten nicht sehen. „Die Halle soll der Ort sein, wo die Leute alles bekommen. Wir haben Ideale. Wir haben einen Auftrag!“

Damit kann Arif Büyük nicht viel anfangen. Der stattliche Mann mit der freundlichen Stimme gehört zu den Anwohnern, die für den Aldi-Markt kämpfen. Er wohnt „eine Minute entfernt“ von der Halle, und wenn er Tomaten und Gemüse kaufen möchte, dann verlangen alle außer Aldi „viel zu teure Preise“. Dass die Markthallenbetreiber die Aldi-Freunde mit dem Hinweis schwächen wollen, es gebe doch einen Lidl-Markt nur wenige hundert Meter entfernt, „überzeugt uns nicht“, sagt Arif Büyük: Einerseits wollten sie die Ernährungswende, andererseits sagten sie: „geht doch zu Lidl“.

Und dann fällt wieder das G-Wort. Die Markthalle sei kein Vehikel der Ernährungswende, sie sei ein „Gentrifizierungsmotor“, sagt Arif Büyük. Und wenn man tausende, die täglich bei Aldi kaufen, nicht mitnehmen könne, „dann ist die Ernährungswende eben gescheitert“.

Für die Idealisten von gestern und vorgestern, die herzogen, als Kreuzberg das arme Ende West-Berlins war, für Genossenschaftler, Selbstverwalter, Projektmacher und Lebenskünstler und nicht zuletzt für Leute, die nie viel verdienten, ist es schwer bezahlbar geworden. Seither ist der Bezirk mit sich und seiner Entwicklung im Dauerstreit. 2007: Krach um das erste McDonald's-Schnellrestaurant, das in der Wrangelstraße eröffnet werden sollte. Media-Spree, die Bebauung der Spree-Ufer mit Geschäftsgebäuden, führte 2008 zu einem Bürgerentscheid gegen die Großpläne.

Widerstand gehört zur DNA

Je größer die Projekte, desto fundamentaler die Konflikte.

Das Car loft-Haus in der Reichenberger Straße, eine Immobilie mit Eigentumswohnungen und Aufzügen für die Autos: es wurde schon in der Bauphase immer wieder grob attackiert. Auf der Cuvry-Brache am Schlesischen Tor entstand ein Zeltdorf, während ein süddeutscher Großinvestor dort ein Geschäftshaus plante. Hausbesetzer übernahmen einen Teil von Bethanien und mobbten das dortige Kunsthaus weg. Das für 2012 auf der Brache geplante Guggenheim-Lab, eine Art Kunst-Projekt, eröffnete nach heftigen Widerständen lieber auf dem Pfefferberg.

Und doch hat sich Kreuzberg komplett verändert, ist voller Geschichten von Wegzügen, von Leuten, die ihre 80er-Jahre-Existenzen kaum noch aufrecht erhalten können, voller Groll über Touristen und Hostels und teure Investitionen. Stadt ist Veränderung, gewiss – aber in Kreuzberg kann man schon den Eindruck haben, die Veränderung geschehe im Zeitraffer und sei so brutal und rücksichtslos wie sonst nur in Prenzlauer Berg (geschehen).

Der hinhaltende Widerstand, der in Kreuzberg zur Bewohner-DNA zu gehören scheint, hat kaum etwas verhindert. Aber es gibt ihn immer noch und weiterhin. Und wenn die große Stadt um Kreuzberg herum aus Streitereien wie der um die Markthalle mit ihrem Aldi etwas lernen kann, dann vielleicht das: Politische Interessen können sich auch jenseits der Parteien, der Gremien, der etablierten Politik äußern. Und im Streit mit offenem Ausgang miteinander arrangieren.

In den 90er Jahren ging es abwärts

Als zuletzt in Kreuzberg mal etwas verhindert wurde, 2012, hatten Florian Niedermeier und seine Partner die Halle gerade gekauft. Ein schönes Bauwerk, filigrane eiserne Säulen, umlaufende Fenster unter dem Dach, um Licht und Luft hineinzulassen, Ziegelwände. Und drinnen der Aldi und ein Drospa-Drogeriemarkt, dazu ein paar Geschäfte, Schreibwaren, ein Schlüsseldienst, über die die Zeit hinweg gegangen war.

Inge Wruck, geborene Kreuzbergerin, hat sie alle gekannt. Sie wohnt seit 1974 in der Nachbarschaft der Halle. Seit Anfang 1989 arbeitet sie mittendrin, am Kaffeestand, täglich bis zum frühen Nachmittag. Man könnte von ihr ein „Früher-war-alles-besser“ erwarten. Aber so ist sie nicht.

Sie hört sich die Diskussionen und Streitereien an. Und nimmt die Zeiten, wie sie sind. Klar, „ganz früher“ gab es „alle“ in der Halle, einen Fleischer, einen Fischhändler, einen Zeitungsladen. „Wir hatten sogar ein Plattengeschäft da drin, sehr gut sortiert.“ Es gab „zwei türkische Geschäfte, die hatten richtig tolle Klamotten“. Dann, in den 90er Jahren, ging es abwärts. „Immer mehr türmten, war schon schlimm“, sagt Inge Wruck. Der Tiefpunkt, sagt sich lachend, sei eine Veranstaltung nach dem Motto „Wir feiern den neuen Hallenfußboden“ gewesen.

Und heute? Inge Wruck verteidigt „die Jungs“ von der Markthalle. Sie verteidigt die Bio-Händler, die „bezahlbare Preise“ verlangten, und sie verteidigt die Donnerstags-Events, die man brauche, damit die Halle sich trage. „Was die Leute anmacht: es ist ‚ne hübsche Halle’“. Sie werde oft auf Englisch gefragt, wann der Markt öffnet. Sicher, es seien sehr viele Touristen unter der Kundschaft. Aber „die zahlen, ohne zu meckern“.

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