
© IMAGO/Ardan Fuessmann/IMAGO/Ardan Fuessmann
Gaza-Protesttag mit internen Konflikten: Warum die Linke Angst vor ihrer eigenen Demonstration hat
Die Linkspartei organisiert erstmals eine Großdemonstration für Gaza – und fürchtet nun, für antisemitische Ausfälle verantwortlich gemacht zu werden. Die Planung sei massiv aus dem Ruder gelaufen, heißt es.
Stand:
Die Frage „Was soll schon schiefgehen?“ sei an diesem Wochenende völlig unangebracht, sagt ein Abgeordneter aus der Bundestagsfraktion der Linken. Die passendere Frage sei: Gibt es irgendetwas, das morgen nicht schiefgehen wird?
Lange hat die Bundespartei gezögert, eine eigene Demonstration für einen Frieden in Gaza zu organisieren. Die interne Befürchtung war, dass aggressive Israelfeinde, die in Berlin seit zwei Jahren pro-palästinensische Proteste dominieren, ein derartiges Projekt umgehend kapern würden. Käme es dann zu Gewalt oder zu Aufrufen zur Vernichtung des jüdischen Staates, würde die Partei dafür verantwortlich gemacht.
Die Parteispitze stand unter Druck
Die Angst vor einem abzusehenden PR-Desaster überwog lange. Doch einzelne Parteifunktionäre übten massiven Druck auf die Bundesspitze aus – auch wegen der desaströsen humanitären Lage in Gaza. Im Juni erklärten die Vorsitzenden Ines Schwerdtner und Jan van Aken schließlich, man werde nun doch eine Demonstration organisieren, denn die deutsche Öffentlichkeit könne „nicht länger wegsehen“.
An diesem Samstag ist es so weit. „Zusammen für Gaza“ heißt der Protestzug, der ab dem frühen Nachmittag durch Berlin-Mitte ziehen wird. Neben der Linkspartei mobilisieren zahlreiche radikale Gruppen, die den jüdischen Staat von der Landkarte tilgen wollen. Auch DKP, Mera25, der BDS sowie trotzkistische Splittergruppen rufen zur Demonstration auf.

© imago/Chris Emil Janßen/IMAGO/Chris Emil Janssen
Wie riskant das Vorhaben ist, wurde der Parteispitze im Laufe des Sommers bewusst. Eigentlich war die Großdemonstration bereits für den Juli geplant, die Auswahl der Bündnispartner blieb zunächst geheim. Dann entschied man sich, den Termin erst einmal zu verschieben, offiziell aus organisatorischen Gründen.
Ein innerer Vorbereitungskreis beriet darüber, wie die Demonstration konkret aussehen könnte. Zusammen mit anderen Organisationen ernannte man 15 Personen, die offiziell als „Initiatoren“ auftreten könnten. Entscheidungen traf der Vorbereitungskreis per Mehrheitsentscheidung, und die Vertreterin der Partei musste feststellen, dass sich diese Mehrheit recht wenig um die Interessen und Positionen der Partei scherte.
Die Liste der 15 „Initiatoren“ ist bemerkenswert. Unter ihnen befinden sich Akteure, die das Existenzrecht Israels ablehnen und den bewaffneten Kampf gegen Israel propagieren. Die Anfrage des Tagesspiegels, seit wann Parteichef Jan van Aken davon wusste, beantwortet dieser nicht.
Man bemühte sich zwar, keine Anhänger der Hamas einzuladen. Sympathisanten der Terrorgruppen Hisbollah oder PFLP wurden jedoch nicht ausgeschlossen.
Erst Parteirauswurf, jetzt Erstunterzeichner
Die Liste der Erstunterzeichner ist noch problematischer. Es sei selbstverständlich kein Zufall, dass ausgerechnet der Aktivist Ramsis Kilani prominent an der Spitze der Erstunterzeichner genannt wird. Also jener Kilani, der erst Ende vergangenen Jahres aus der Partei ausgeschlossen wurde. Kilani hatte den Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 glorifiziert und behauptet, die Hamas besitze „das Recht auf militante Selbstverteidigung mit allen Mitteln“. Zudem stellte er infrage, ob israelische Bürger überhaupt als Zivilisten zu behandeln seien, schließlich habe jeder Israeli irgendwann in seinem Leben den Wehrdienst geleistet.
Kilanis Hervorhebung als Erstunterzeichner ist eine offene Provokation gegen die Parteispitze und auch den Berliner Landesverband
Ein Bundestagsabgeordneter der Linken
Nach dem Ausschluss Kilanis hatten viele in der Partei gehofft, der Flügel der Israelfeinde in der Partei werde nun ruhiger. Das passierte nicht. „Kilanis Hervorhebung als Erstunterzeichner ist eine offene Provokation gegen die Parteispitze und auch den Berliner Landesverband“, sagt ein Bundestagsabgeordneter.
Die Organisation ihrer Demonstration sei der Partei vollkommen entglitten, sagen wichtige Parteimitglieder. Eigentlich wolle man lediglich für sofortigen Frieden und ein Ende der Waffenlieferungen demonstrieren. Die radikalisierte Bubble der Israelfeinde werde jedoch ganz andere Botschaften transportieren. Als Anmelderin des Demozugs fungiert die israelfeindliche Aktivistin Jorinde Schulz, Mitarbeiterin der Bundestagsabgeordneten Stella Merendino. Schulz gehört selbst zum Umfeld der radikalisierten Berliner Israelfeinde.
Eine künstliche Trennung soll helfen
Als immer deutlicher wurde, wie unangenehm die Veranstaltung für die Partei enden könnte, reifte eine Idee. Um zu verhindern, dass Die Linke für Entgleisungen in Redebeiträgen verantwortlich gemacht werden könnte, bot sich ein Trick an: Man könnte die Veranstaltung in zwei Teile splitten.
So kommt es nun: Die Linke organisiert lediglich den Demonstrationszug, der vom Neptunbrunnen zum Großen Stern führt. Dort beginnt um 17 Uhr die Kundgebung „All Eyes on Gaza“, mit der die Partei dann offiziell nichts mehr zu tun hat. Sollte es dort eskalieren, könne die Partei jederzeit darauf verweisen, dass sie zu diesem Zeitpunkt ja offiziell nicht mehr zu den Organisatoren gehörte.
Die künstliche Trennung ist eine Farce, die nicht einmal in der eigenen Partei ernst genommen wird. Die Linke Leipzig zum Beispiel bewirbt auf Ihrer Webseite eine Großdemonstration namens „Zusammen für Gaza / All Eyes on Gaza“, also beide Veranstaltungen als eine. Die zahlreichen Busse, mit denen die Partei aus ganz Deutschland Teilnehmer nach Berlin bringt, fahren erst spät am Abend zurück, sodass die Anreisenden beide Veranstaltungen besuchen können.
Zudem wird auch der Demonstrationszug der Linken hin zur Kundgebung nicht den Eindruck vermitteln, hier gehe es um eine Zweistaatenlösung. Denn ganz vorne sollen ausgerechnet die zwei offen israelfeindlichen Blöcke laufen: zunächst der Block „Anti-Kolonial“, anschließend jener des „Internationalistischen Bündnisses Berlin“, zu dem neben radikalen Splittergruppen und dem BDS auch das „Vereinigte Palästinensische Nationalkomitee“ gehört. Also ausgerechnet jene Gruppe, in der laut Verfassungsschutz Anhänger der Terrorgruppe PFLP mit Berliner Anhängern der Hamas zusammenarbeiten.
Mit etwas Glück werden die Mitglieder der eigenen Partei allerdings überhaupt nicht mitbekommen, was die Menge vorne ruft und welche Redebeiträge dort gehalten werden: Der Linken-Block soll noch hinter dem „Familienblock“ herlaufen.
Israelis sollen nicht auf Kundgebung sprechen
Die Initiatoren der Demonstration werden auch als Initiatoren der großen Kundgebung präsentiert – mit einigen Ausnahmen: So fehlen zwei Vertreter der gemäßigteren Gruppe „Israelis for Peace“. Aus der Linkspartei heißt es, man habe extra vorgeschlagen, dass „Israelis for Peace“ bei der Kundgebung einen Redebeitrag halten darf. Dieser Vorschlag sei jedoch von der Mehrheit des inneren Vorbereitungskreises abgelehnt worden. Nicht einmal als „Initiatoren“ waren die Vertreter von „Israelis for Peace“ willkommen.
Stattdessen darf die Gruppe nun auf dem Lautsprecherwagen der Linken sprechen, während sich der Demozug zum Ort der Kundgebung bewegt. Israelis for Peace bestreitet den Vorgang offiziell. Allerdings war die Gruppe nicht Teil der Vorbereitungskreises. Aus der Partei bestreitet den Vorgang hingegen niemand.
Für Die Linke soll unter anderem Parteichefin Ines Schwerdtner einen Redebeitrag halten. Sie ist auch eine der „Initiatoren“ des Demo-Bündnisses. Ihr Auftritt gilt intern als besonders riskant: Erst in diesem Monat war die Parteichefin in die Kritik geraten wegen eines Videos, auf dem sie einen Palästina-Schal trug. Dieser zeigte eine Karte mit den Umrissen der Region, bei dem sämtliche israelischen Städte mit arabischen Städtenamen markiert werden. In der Szene gilt dies als Statement dafür, dass der jüdische Staat Israel verschwinden soll.
Schwerdtner distanzierte sich nach Bekanntwerden öffentlich und erklärte, der Schal sei ihr geschenkt worden. Sie habe ihn sofort abgelegt, als sie begriffen habe, was sie dort eigentlich trug. Ihre Partei stelle sich klar gegen Antisemitismus und stehe für das Existenzrecht Israels ein, sagte sie.
Diese Distanzierung brachte Schwedtner einen Shitstorm aus dem Milieu der radikalisierten Israelfeinde ein. Die Zeitung „Junge Welt“ beschimpfte die Parteichefin als „Rückgratlose des Tages“ und warf ihr einen „Kotau vor der Staatsräson“ vor. Sie habe die Solidaritätsbewegung für Palästina „mit Dreck“ beworfen.
In der Partei fürchtet man nun, Schwedtner könnte am Rednerpult niedergebuht werden. Insbesondere falls sie es wagen sollte, auf der Bühne zu wiederholen, dass ihre Partei für das Existenzrecht Israels einsteht.
Die Anfrage des Tagesspiegels, ob Ines Schwerdtner befürchte, dass sich radikale Akteure auf der Demo in den Vordergrund drängen werden, beantwortet die Parteichefin nicht. Dafür erklärt Bundesgeschäftsführer Janis Ehling, man werde „natürlich auch dort unsere Forderung nach einer Zweistaatenlösung“ thematisieren.
Update 28.9.: Die Demonstrationen sind überwiegend friedlich verlaufen. Am Tag nach den Protesten gibt es in der Partei interne Kritik daran, dass Extremisten wie der szenebekannte PFLP-Anhänger Ibrahim Ibrahim Redebeiträge halten durften. Zudem tauchten auf der Demonstration antisemitische Protestschilder auf. Mindestens eines setzte Gaza mit dem Warschauer Ghetto gleich, auf einem anderen stand: „Wollt Ihr den totalen Völkermord?“ Die Plakate wurden von den Ordnern geduldet. Internen Unmut erregt zudem die Tatsache, dass extremistischen Gruppen wie Handala Leipzig das Mikrofon überlassen wurde. Eine Handala-Vertreterin forderte das Ende des jüdischen Staates.
In der Partei kursieren nun mindestens drei unterschiedliche Deutungsversuche. Manche sind erleichtert, dass die Veranstaltung nicht eskalierte und nach jetzigem Stand insgesamt skandalfrei zu Ende gegangen ist.
Sie hoffen, der radikale Anti-Israel-Flügel in den eigenen Reihen werde jetzt Ruhe geben, zumindest intern. Dieser habe die Demonstration schließlich weitgehend nach eigenen Vorstellungen gestalten dürfen, sagt ein Fraktionsmitglied. Die Führung sei diesem Flügel trotz Bauchschmerzen weit entgegengekommen.
Andere hoffen, dass die kommunizierte Zahl von 100.000 Menschen sowie die Bilder und Videos auf Social-Media einen wichtigen Impuls setzen werden – dass von Berlin nicht nur ein beeindruckendes Zeichen der Solidarität ausgehe, sondern auch eines, das dabei helfen werde, den deutschen Diskurs zu verändern.
Möglicherweise sei es allerdings ein Fehler gewesen, die Bündnisplanung ausgerechnet der Landesarbeitsgemeinschaft Palästinasolidarität des Berliner Landesverbands zu überlassen. Die Anordnung der Blöcke sowie die Auswahl der Redner seien teils als direkte Affronts gegen offizielle Parteipositionen zu werten, heißt es in der Bundestagsfraktion. Die Sprecherin der betreffenden Landesarbeitsgemeinschaft vertrat die Bundespartei im inneren Vorbereitungskreis des Bündnisses.
Verbreitet ist zudem die Sorge, der Druck der radikalisierten israelfeindlichen Szene auf die Partei werde nun weiter wachsen. Als Nächstes könne etwa „die Unterstützung der Gaza-Flotte gefordert werden“, sagt ein Mitglied der Fraktion. Als Worst Case gilt dabei das Szenario, eine von der Partei unterstützte Bootsflotte könnte ausgerechnet am 7. Oktober, dem zweiten Jahrestag des Massakers der Hamas, die Konfrontation suchen. „Es wäre der Versuch, dem Datum eine andere Bedeutung zu geben”, sagt der Abgeordnete. Derartiges zu unterstützen, sei nicht nur unmoralisch, sondern auch parteischädigend.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: