
© TASCHEN/Helmut Newton
Phantastisch und erotisch: Fotograf Helmut Newtons Blick auf seine Heimatstadt Berlin
Ein dreisprachiger neuer Bildband mit Fotos aus verschiedenen Jahrzehnten erzählt, was der international berühmte Fotograf an seiner Heimatstadt geliebt hat.
Stand:
Der Funkturm war 1932 eines der ersten Motive, die Helmut Neustädter, aus dem später der berühmte Fotograf Helmut Newton werden sollte, fesselten.
Da war er mit 12 Jahren gerade mal doppelt so alt wie das Bauwerk, das 1926 aus Anlass der Internationalen Funkausstellung errichtet wurde. Beim Funkturm blieb es nicht. Rasch wandte er sich den Menschen zu – und blieb die meiste Zeit dabei.
Neustädter emigrierte 1938, um sich vor den Nazis in Sicherheit zu bringen. Aber der deutsch-australische Fotograf, der dann als Helmut Newton berühmt wurde, blieb seiner Heimatstadt immer treu, wenn auch mit größeren Pausen. Sein Geburtshaus stand in der Innsbrucker Straße im Bayerischen Viertel in Schöneberg.
Das Motto „Berlinerinnen sind fantastisch“ mag dabei eine Rolle gespielt haben. Es findet sich in dem neuen Band „Berlin, Berlin“, der eindrucksvolle fotografische Einblicke bietet, wie Newton seine Heimatstadt sah, und was vor allem ihn interessierte. Vor der Flucht ging er zwei Jahre lang bei der berühmten Fotografin Yva in die Lehre, die seinen Stil auch später noch prägte.

© TASCHEN/Helmut Newton
Das Buch ist dreisprachig, in Englisch Französisch und Deutsch verfasst, wie es sich für einen großen Kosmopoliten gehört.

© TASCHEN/Helmut Newton
Einige der schönsten Berlin-Bilder in dem Buch hat er 1959 für die Constanze aufgenommen, damals die wichtigste Modezeitschrift des Landes. Es war seine erste Rückkehr in die Heimatstadt nach dem Krieg, zwei Jahre vor dem Mauerbau.
Die akkurat gestylten Mannequins posieren vor dem Hilton Hotel, dem heutigen Interconti, schicken mit aufgespannten Schirmen Handküsse vom Luftbrückendenkmal in die Kamera, winken von einem Autodach vor der damaligen Kongresshalle, heute „Haus der Kulturen der Welt“.

© TASCHEN/Helmut Newton
Anfang der 60er Jahre erweiterte Newton sein Repertoire, fotografierte für die „Vogue“ Mode mit Mata-Hari-Touch an der Mauer und besuchte für das französische Magazin „Adam“ Tanz- und Stripteaseclubs, darunter das 1958 gegründete „Chez Nous“, das bald zu internationalem Ruhm gelangte.
Seinen Blick für das besondere Flair seiner Geburtsstadt schärfte er weiter 1977, als er das französische Model Jenny Capitain in altmodischen Pensionen mit groß gemusterten Tapeten fotografierte oder im „Exil“, dem Kreuzberger Künstler-Restaurant. Auch das Travestie-Kabarett „Lützower Lampe“ faszinierte sein fotografisches Auge.
Ledermantel und Schäferhund
Für die erste Ausgabe der deutschen Vogue seit den 20er Jahren fotografierte er 1979 an den Orten seiner Jugend. Das war eine Idee seiner Frau June, und Newton war überrascht, dass sich viele dieser Orte seit seiner Kindheit praktisch nicht verändert hatten.

© TASCHEN/Helmut Newton
Deutsche Mode und vor allem Dessous sollten bei diesen Shootings im Mittelpunkt stehen. Ledermantel, Schäferhund, Silberfuchsfelle aus dem Pelzhaus Schrank, aufgenommen am Grunewaldsee, ließen tief blicken in die Psyche der Stadt mit ihren aus der‚ Vergangenheit resultierenden Ängsten und der Sehnsucht nach verlorenem Glanz.
Szenen aus dem geheimen Berlin
Neben Aktbildern liebte er Aufnahmen von Filmschaffenden, wie Hanna Schygulla, Otto Sander, John Malkovich oder Wim Wenders im roten Jackett an der Mauer. David Bowie traf er im Bademantel, Nadja Auermann nahm er an der Glienicker Brücke auf, dem legendären Austauschort für Spione.
„Secret Berlin“, lautete der Titel einer Reportage für das Reisemagazin Condé Nast Traveler, nach einem Ausflug in den Biergarten in Lübars nahm er auch hier die Betrachter mit in das sündige Berlin, ins Bordell. Zwei Themen waren ihm wichtiger als alles andere: Essen und Frauen. Offenbar in dieser Reihenfolge, obwohl die Bilder eine andere Sprache sprechen.

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Die besten gebratenen Hühnchen fand er in der „Henne“, direkt an der Mauer, die es immer noch gibt. Auch ins „Bovril“ zog es ihn und in den „Diener“, eine Art West-Berliner Borchardt-Vorläufer in der Grolmanstraße. 1990 fotografierte er sein Berlin noch einmal als Stadt im Umbruch nach dem Fall der Mauer.
Der „Wurstmaxe“ war dabei mit einer tief dekolletierten Frau, die mit vollen Lippen von einer Wurst abbeißt, eine Frau in der Paris Bar, die neben einem Werk von Martin Kippenberger posiert.

© TASCHEN/Helmut Newton
In der „Männer Vogue“ enthüllte er 1991 einige seiner Berliner Lieblingsplätze, ein stehender nackter Akt in der Präsidentensuite des damaligen Grand Hotels in der Friedrichstraße, wieder mit dieser unheimlichen Anmutung, der Mann im Trench, ein weiterer Mann mit Schirmmütze, die das Model sitzend und irgendwie lauernd umgeben.
Aber nicht mehr die Frauen allein fesselten ihn, auch die Landschaften, der Anhalter Bahnhof, der verhüllte Reichstag, ein Birkenwäldchen, der Eingang vom Olympiastadion. Baustellen. Der Fernsehturm. Am 23. Januar 2004 starb Helmut Newton in Los Angeles.

© Promo/Joachim Rissmann
Der Abzug des Fotos von 1932 war in den Wirren von Flucht und Krieg verloren gegangen. Also nahm er den Funkturm 1990 noch einmal auf. Dieses Buch zeigt, was für ein kunstvolles Denkmal Helmut Newton seiner Heimatstadt gesetzt hat.
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