
© dpa/Christophe Gateau
Neukölln kein Einzelfall – Berliner LKA warnt: Automatensprenger steigen auf gefährlichen TATP-Sprengstoff um
Der Sprengstofffund in Neukölln war kein Einzelfall. In Zukunft sollen schon bei geringstem Verdacht auf den hochexplosiven Stoff TATP Entschärfer alarmiert werden.
Stand:
Nach dem Sprengstofffund bei zwei flüchtigen mutmaßlichen Automatensprengern vor einer Woche hat das Berliner Landeskriminalamt (LKA) eine interne Warnung herausgeben. Auch andere Dienststellen wie Bundeskriminalamt, Bundesamt für Verfassungsschutz, Bundespolizei und Zollkriminalamt wurden informiert.
Beim geringsten Verdacht auf den gefährlichen Sprengstoff TATP (Triacetontriperoxid) sollen die Entschärfer des Landeskriminalamtes alarmiert werden und die Gefahrenstellen abgesichert werden. „Veränderungen jeglicher Art sind zu unterlassen“, lautet die Order des LKA.
Denn der TATP-Fund in Neukölln war kein Einzelfall, die Automatensprenger setzen den Stoff zunehmend für ihre Diebeszüge ein, warnt das LKA. Der Einsatz für Sprengungen von Geldautomaten „in Deutschland scheint sich seit einigen Monaten zu potenzieren“.
Bereits Ende Juli war in Karow ein Geldautomat mit TATP in die Luft gejagt worden. Damals schlugen die Täter in den frühen Morgenstunden um 3 Uhr zu. Anwohner „sahen kurz nach der Explosion zwei Personen aus einer Bankfiliale kommen, die auf abgestellte Motorroller stiegen“ und flüchteten, teilte die Polizei damals mit.
Veränderungen jeglicher Art sind zu unterlassen.
Aus der internen Warnung des Berliner LKA
Einer der Täter hatte damals einen Unfall gebaut, ließ seinen Motorroller zurück und flüchtete zu Fuß weiter. Beamte fanden damals neben dem Gefährt, „weitere Beweismittel“, wie es damals hieß. Eines ließ die Polizei damals jedoch unerwähnt: Der Mann verlor einen Sprengsatz, gefüllt mit TATP.
Das Berliner LKA verweist auch auf einen Fall aus Schleswig-Holstein. Dort hatten Mitarbeiter einer Geldtransportfirma vor zwei Wochen einen Geldautomaten befüllt. Offenbar geringe Mengen von TATP explodierten dann, ein Mitarbeiter wurde verletzt.
„Mutter des Satans“
Der Sprengstoff heißt in Sicherheitskreisen und im Nahen Osten auch „Mutter des Satans“, er ist bei Islamisten beliebt für Terroranschläge. Das sogenannte Selbstlaborat lässt sich einfach herstellen, ist aber höchst empfindlich. Kleine Erschütterungen und Stöße können zur Explosion führen.
Deshalb warnt das LKA jetzt alle Dienststellen. Bei dem „hochbrisanten und sensiblen Initialsprengstoff“ reichten bereits „sehr kleine Mengen im Grammbereich, um eine Explosion mit detonativer Umsetzung zu bewirken“. Komplett getrocknetes TATP könne bereits bei leichter Berührung explodieren.
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Um die Sicherheit zu gewährleisten, sollten nach jeder Automatensprengung die Entschärfer des LKA alarmiert werden. Denn häufig werden „Tatmittelreste in Form von Sprengstoffresten und sogar vollständige Sprengsätze“ gefunden oder von den Tätern zurückgelassen.
Zwei Bundespolizisten wollten am Mittwoch um 15.45 Uhr auf dem Bahnsteig zwei Männer überprüfen, es war eine „verdachtsunabhängige Kontrolle“. Doch die beiden rannten sofort los und flohen vor den Beamten über die Gleise. Einer der Männer ließ eine Tasche fallen und damit den Inhalt zurück.
Polizisten hielten das Pulver zunächst für Drogen
Darin befand sich ein mit Panzerband umwickeltes Päckchen, darin ein helles kristallines Pulver, insgesamt 530 Gramm. Ebenfalls in der Tasche lagen zwei leere Plastikflaschen, um die Drähte gewickelt waren, und eine Tüte mit Kabeln. Aber auch ein gestohlener polnischer Ausweis.
Die Bundespolizisten hielten das Kristallpulver zunächst für Drogen. Sie schnitten ein Loch in das Päckchen, um einen Drogen-Schnelltest vorzunehmen. Der verlief jedoch negativ. Die Beamten sollen nach der internen Auswertung der Polizei nur knapp einer Katastrophe entgangen sein. Die Beamten und die zahlreichen Fahrgäste der S-Bahn hatten Glück: Das TATP soll frisch hergestellt, noch feucht, die Kristalle noch nicht voll ausgebildet und damit noch etwas weniger fragil gewesen sein.
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Erst später, als Sprengstoffexperten die Tasche durchleuchteten, wurden Bauteile für einen Zünder gefunden. Die Einsatzleitung entscheid sich, den Fund nicht durch die Stadt zum Sprengplatz am Grunewald transportieren zu lassen. In einem nahen Park hob die Feuerwehr stattdessen ein Loch aus, wo die Tasche kontrolliert gesprengt wurde. Mit dem Fall betraute Beamte nehmen die beiden Bundespolizisten aber auch in Schutz. Weil sie ein Loch ins Päckchen geschnitten hätte, habe der Sprengstoff später schneller identifiziert werden können.
Die Sprengstoffmenge soll nach Analyse der Experten für deutlich mehr als einen einzigen Angriff auf einen üblichen Geldautomaten in Banken und an Bahnhöfen ausgereicht haben. Das LKA geht davon aus, dass es sich „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ um einen „vorbereiteten Sprengsatz“ für Geldautomaten handelte.
Beim Landeskriminalamt liegt der Fall nun bei der Ermittlungsgruppe „Maske“. Sicherheitskreise gehen davon aus, dass sich die zwei flüchtigen Männer ins Ausland abgesetzt haben. Sie sind bei der Polizei als Automatensprenger bekannt. Der Gesuchte, der den Beutel mit dem Sprengstoff zurückließ, ist polnischer Staatsbürger. Sein Begleiter, der sich nach bisherigem Stand nicht zwingend strafbar gemacht hat, ist Moldauer.
Beide Männer sind Mitte 30, nach ihnen wird international gefahndet. Deutsche Ermittler sprachen dazu offenbar auch mit den Behörden in Polen und Moldau, das an Rumänien und die Ukraine grenzt. Sowohl der Pole als auch der Moldauer sind in Deutschland nicht gemeldet, aber als sogenannte Automatensprenger verdächtig gewesen.
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