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Hellelfenbeingelb steht ihm. Christian Schmitz kennt die Feinheiten im Umgang mit seinen Kunden.

© Thilo Rückeis

Jahreswechsel: Wie ein Taxifahrer die Silvesternacht in Berlin erlebt

Wenn sich Fahrgäste vor den Wagen schmeißen und auf der Rückbank würgen, dann muss Silvester sein in Berlin. Und Christian Schmitz sitzt hinterm Steuer.

Silvester, die Nacht ohne freie Taxis. Das erfahren jährlich zahlreiche Berliner, wenn sie in der Nacht des Jahreswechsels versuchen, eines der hellelfenbeingelben Autos zu bekommen. Man steht am Straßenrand und winkt und winkt, keine Taxe hält an. Man ruft die Hotline an: entweder besetzt oder eine Wartezeit von mehr als einer Stunde. Ja, arbeitet denn keiner mehr?

Wir ändern die Perspektive: Für Taxifahrer ist es die Nacht ohne Pause. Christian Schmitz fährt Nachtdienst, seine Schicht geht von 16 Uhr bis open end. „Silvester ist natürlich einer der wichtigsten Tage, da kann man das Dreifache des sonstigen Umsatzes machen“, erzählt er bei einem Kaffee an einer Schöneberger Tankstelle, wo seine Schicht beginnt und er den Wagen eines Kollegen übernimmt.

Silvester kann er sich vor Kunden kaum retten. Schmitz berichtet vom vergangenen Jahr: Die Taxisuchenden hätten ihm sogar den Kofferraum aufgerissen und versucht, hineinzuklettern, obwohl der Wagen bereits voll war. Es verginge keine Minute ohne Auftrag und die „Winker“ verteilten sich entlang der größeren Straßen. Winker, das ist Taxifahrerjargon für Kunden, die vom Straßenrand aus versuchen, einen Wagen zu bekommen. Silvester jedoch würden diese Winker zu Springern, da sie sich teilweise sogar auf die Motorhauben der an Ampeln wartenden Taxen werfen, in der Hoffnung, mitgenommen zu werden. „Aber ich kann nur vier Leute mitnehmen“, sagt Schmitz und lacht. „Mehr geht nicht.“

"Bitte... bitte, ich suche schon seit Ewigkeiten"

In der letzten Silvesternacht habe er versucht, eine Pause zu machen. Er fuhr in eine dunkle Straße und stellte die Scheinwerfer, die Innenbeleuchtung und die Fackel, also das Taxilicht auf dem Dach, aus. Schmitz wühlte sein Pausenbrot heraus und wollte soeben abbeißen, da klopfte es an der Scheibe. Ein Mann lallte, er müsse nach Kreuzberg. Schmitz rührte sich nicht, vielleicht würde ihn der Mann durch die verdunkelte Scheibe nicht sehen. Doch es klopfte erneut. „Hallo. Halloooo! Ich muss nach Kreuzberg.“

Schmitz schaute ihm direkt in die Augen. „Bitte… bitte, ich suche schon seit Ewigkeiten“, winselte der Mann und sackte zusammen, seine Hand glitt an der Scheibe herunter. Schmitz stellte das Licht an und öffnete die Tür, der Mann fiel ihm um den Hals und nur wenige Sekunden nach Start des Motors in einen komatösen Schlaf. „Das war knapp“, dachte sich Schmitz.

Als Nachtfahrer hat er es öfter mit Betrunkenen zu tun. In seinem Buch „Der Fuchsflüsterer vom Zeltinger Platz“ erzählt er humorvoll davon. Der 57-Jährige hat 1983 seinen Taxischein gemacht, ist aber eigentlich Historiker. An der Freien Universität hat er zu Berliner Bürgermeistern im 17. Jahrhundert geforscht. Taxi gefahren ist er schon als Studierender, das sei damals so üblich gewesen.

Im vergangenen Jahr hat Christian Schmitz seine Taxi-Geschichten auf diversen Berliner Lesebühnen präsentiert, wie „LSD – Liebe Statt Drogen“ oder der „Reformbühne Heim und Welt“. Sein Buch verkauft er natürlich auch im Taxi, im Schnitt eins pro Woche. Er ist nicht der erste Taxifahrer, der ein Buch schreibt. Das wohl bekannteste heißt „Rauchender Hund zur Nolle 17“ von Stefan Buchenau, erschienen 1984. Die Interaktionen zwischen Menschen, die von A nach B gebracht werden wollen, und denen, die sie von A nach B bringen, liefern immer neue Geschichten.

Bei Betrunkenen gilt: Heizung aus, Fenster öffnen

Silvester 2017/2018, Bahnhof Spandau, kurz nach Mitternacht. „Ein Pärchen, beide rotzevoll. Sie wollen nach Falkensee gefahren werden.“ Schmitz erzählt das mit tiefer, ruhiger Stimme. Das Wichtigste bei Betrunkenen sei: Heizung aus und das Fenster einen Spaltbreit runter. „Und dann ist denen immer noch zu warm.“ Und man müsse den Moment erkennen können, ob sich jemand wirklich übergeben muss oder nur besoffen ist. So auch diesmal: die Frau würgt, Schmitz hält, die Frau spuckt aus dem Wagen. Und wieder: „Das war knapp.“

Ein paar Tipps für Taxikunden hat Christian Schmitz auch: Die Kurzstrecke, eine Eigentümlichkeit der Hauptstadt – maximal zwei Kilometer für fünf Euro. Ein Kollege aus Hamburg berichtete, dass sich immer wieder Kunden zu ihm in den Wagen setzen und „einmal Kurzstrecke“ wünschen. „Ah, Sie kommen aus Berlin“, weiß der Kollege dann sofort.

Kurzstrecke gibt es nur bei einer Taxe aus freier Fahrt. Und die Kunden sollten darauf bestehen, meint Schmitz. Es gebe durchaus Taxifahrer, die so täten, als gäbe es den Tarif nicht. Übrigens sei es in Berlin üblich geworden, hinten einzusteigen. Man könne auch vorne einsteigen, betont Schmitz. Würde aber kaum jemand machen. Auch am Halteplatz: Man müsse nicht den ersten Wagen nehmen, wenn dieser nicht gefällt, weil etwa der Fahrer schläft oder das Auto zu dreckig ist.

Nicht jeder Taxifahrer kennt sich mit Fußball aus

Was aber, wenn der Taxikunde dem Fahrer nicht gefällt? Schmitz mag keine ausländerfeindlichen Fahrgäste. Letztens sei einer mit den Worten „Oh, mal ein deutscher Fahrer“ eingestiegen. Schmitz fuhr auch diesen Mann an sein Ziel, er fühlte sich schlecht hinterher, betrübt und traurig. „Ich hätte sagen sollen: oh, mal wieder ein ausländerfeindlicher Fahrgast.“

Nicht ganz so schlimm, aber ungünstig fürs Gespräch ist es, wenn die Kunden mit Schmitz über Fußball reden wollen. „Von einem Berliner Taxifahrer wird anscheinend erwartet, dass er sich wie selbstverständlich für Fußball interessiert.“ Wenn von hinten die Frage kommt: „Wie haben sie denn gespielt?“, weiß Schmitz das nicht. Er stellt dann meistens das Radio an.

In seinen Kurzgeschichten erzählt er auch davon, wie sich manche Leute von ihm durch Berlin kutschieren lassen – nur, um zu quatschen. Dem Taxifahrer, dem kann man es ja erzählen, so anonym in der Nacht. Schmitz hat eine Regel: „Die Unterhaltung muss immer vom Fahrgast ausgehen.“ Und klar: Die Gespräche wiederholen sich. So zum Beispiel der alte Witz auf die Frage, wo es denn hingehen soll: „Nach Hause“. Da lacht Schmitz nicht mehr, sondern drückt aufs Gas.

„Aber im Grunde macht es Spaß, Silvester zu fahren. Die Leute sind gut drauf“, sagt er. Der Kaffee ist leer, seine Schicht beginnt. In diesem Jahr bleibt Schmitz zum Jahreswechsel allerdings zu Hause. Er will mit seiner Familie feiern.

Wer Christian Schmitz und seine Texte ohne Taxe live erleben möchte: Am 10. Januar ist er um 20.30 Uhr bei den „Brauseboys“ zu Gast, der Lesebühne in Wedding im „La Luz“ in den Osramhöfen, Oudenarder Straße 16-20. Eintritt 8 Euro, ermäßigt fünf Euro. „Der Fuchsflüsterer vom Zeltinger Platz“ ist beim Periplaneta-Verlag erschienen, 144 Seiten, 12 Euro.

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