
© Tsp / Alexander Fröhlich
Kampfkandidatur gegen Parteikollegin in Pankow: Grünen-Politiker Gelbhaar will für Berlin-Wahl 2026 antreten
Das dürfte Bündnisgrüne nicht nur in Pankow herausfordern: Stefan Gelbhaar will im kommenden Jahr für das Abgeordnetenhaus kandidieren. Für viele in der Partei ist der Fall noch nicht ausgestanden.
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Jetzt ist es gewiss: Der frühere Bundestagsabgeordnete Stefan Gelbhaar will es trotz der nicht ausgestandenen Affäre um sein Verhalten gegenüber Frauen noch einmal wissen. Der 49-Jährige reichte seine Bewerbung um eine Direktkandidatur für die Abgeordnetenhauswahl 2026 beim Kreisverband Pankow ein.
Am Mittwochabend nahm er auch an einer Kandidatenvorstellung für den Wahlkreis 6 in Prenzlauer Berg teil. Zuvor hatte Sunčica Klaas, die Mitglied des Kreisvorstands ist, ihre Kandidatur um denselben Pankower Wahlkreis eingereicht, der von der Schönhauser Allee bis zur Bezirksgrenze nach Mitte reicht. Sollten beide daran festhalten, käme es zur Kampfkandidatur und die Grünen-Mitglieder in Pankow müssten am 8. November zwischen beiden entscheiden.
Der Wahlkreis gilt für die Grünen als sichere Bank. Seit 2006 hatte Andreas Otto jedes Mal das Direktmandat errungen. 2026 tritt er nicht erneut zur Wahl an. Otto gilt als Gelbhaars politischer Ziehvater, er hatte ihn auch seit den im Dezember 2024 laut gewordenen Vorwürfen stets verteidigt und nun wiederholt eine Kandidatur gefordert.
In der Partei wächst jedoch die Sorge, dass Gelbhaar mit seiner Kandidatur die Partei vor eine Zerreißprobe stellt. Ein Teil des Kreisverbands könnte ihm die Unterstützung im Wahlkampf versagen, heißt es.
Für viele, gerade für Frauen in der Partei, ist der Fall Gelbhaar noch nicht ausgestanden, in der breiten Öffentlichkeit dagegen blieb nur hängen, er sei das Opfer einer Intrige. Das stimmt zwar, ist jedoch nur die halbe Wahrheit.
In seinem dreiseitigen Bewerbungsschreiben für die Berlin-Wahl 2026 äußert sich Gelbhaar zum Geschehen der letzten elf Monate nur am Rande. Allerdings erwähnt er, dass er seit 25 Jahren Bündnisgrüner sei und sich unter anderem „feministischen Verbänden in Ost wie West“ und deren Überzeugungen verpflichtet fühle.
Zu Beginn heißt es: „In den letzten Monaten habe ich viele Gespräche geführt, Zuspruch und Ermutigung, aber auch Zweifel erfahren.“ Und am Ende, nach dem Abschiedsgruß „Euer Stefan“, schreibt er: „PS: Eine intensive Zeit verändert Menschen – und hat auch mich verändert. Innehalten, nachdenken, neu sortieren und klarer werden. Viele Gespräche haben mir zusätzliche Perspektiven eröffnet.“
Der Fall Gelbhaar
Vor elf Monaten sprach zunächst wenig für eine Perspektive: Im Dezember 2024 hatte Gelbhaar überraschend auf eine Kandidatur für die Landesliste der Grünen zur Bundestagswahl verzichtet. Von Vorwürfen der sexuellen Belästigung gegen ihn war zu lesen.
Der RBB hatte detaillierte Schilderungen vermeintlicher Opfer veröffentlicht. Auch die Kandidatur für das Direktmandat in Pankow verlor Gelbhaar im Januar darüber. Später kam raus: Gelbhaar wurde Opfer einer Intrige, orchestriert von Parteimitgliedern. Der RBB saß einem Betrug auf, wie der Tagesspiegel damals herausfand. Der Fall wurde zum größten Skandal in der Geschichte der Grünen – in Berlin, im Bund.
Es gab aber auch Berichte von Frauen, die jenseits fingierter Vorwürfe schlechte Erfahrungen mit Gelbhaar gemacht haben wollen. Trotz des RBB-Skandals hielten einige ihre Beschwerden bei der Ombudsstelle der Grünen aufrecht.
Darin ginge es nicht um strafbare Taten, sondern um grenzverletzendes Verhalten, teilte die Bundespartei seinerzeit mit. Die Parteispitze richtete eine Sonderkommission ein, um den Fall aufzuklären. Doch die bewertete die Vorwürfe mehrerer Frauen gegen Gelbhaar nicht. Sie attestierte der Partei aber schwere Fehler – im Umgang mit den Frauen und Gelbhaar.
Parallel zog Gelbhaar gegen Medien, die über Vorwürfe berichtet hatten, vor Gericht. Der RBB zahlte 400.000 Euro Schadenersatz. Auch gegen die Berliner Grünen-Abgeordnete Klara Schedlich, auf die sich der RBB gestützt hatte, ging Gelbhaar vor.
Die Gerichte in Hamburg untersagten Schedlich Aussagen aus ihrer eidesstattlichen Versicherung für den Sender. Selbst Mitglieder, die es gut mit Gelbhaar meinen, verstanden nicht, warum Gelbhaar gegen eine Parteikollegin vor Gericht zog.
Belastung auch für die Grünen-Fraktion
Gegen die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) und ihre „Chronologie eines Grenzfalls“ prozessierte Gelbhaar durch zwei Instanzen. Am Landgericht Hamburg verlor er noch größtenteils. Beim Oberlandesgericht ging es weiter. Von 17 beklagten Passagen wurden acht untersagt, also weniger als die Hälfte, meist wegen Widersprüchen, weil Gelbhaar nicht ausreichend konfrontiert wurde oder die Darstellung unvollständig war. Was bleibt: ein in weiten Teilen zulässiger Bericht über die Erfahrungen von acht Frauen mit wohl grenzverletzendem Verhalten.
Ein Mandat im Abgeordnetenhaus dürfte auch dort die Grünen-Fraktion belasten. Schedlich ist bislang Fraktionsvize. Fraktionschefin Bettina Jarasch, die einflussreiche Abgeordnete Antje Kapek und Co-Landesparteichefin Nina Stahr begleiteten Schedlich demonstrativ zum Gerichtstermin nach Hamburg.
Gelbhaars Anwälte hingegen meinen, der Politiker sei „in weiten Teilen rehabilitiert“. Tatsächlich darf die „SZ“ weiter dies schreiben: Die Erfahrungen der betroffenen Frauen „berühren Fragen von ungleicher Macht, Status und Einfluss und beschreiben, sofern sie zutreffen, ein Verhalten, das heute in vielen Unternehmen wohl die Compliance-Abteilung beschäftigen dürfte: junge weibliche Grüne anflirten, ihnen Komplimente machen, bis manche sich bedrängt fühlen“.
Die „SZ“ darf laut den Gerichten auch weiterverbreiten, dass acht Frauen „von eigenen Begegnungen mit dem Politiker berichtet“ haben, „die sie als unangenehm und vor allem unangemessen empfunden haben“. Und zwar „Annäherungen, die nicht einvernehmlich, sondern einseitig“ waren. Und dass er „eine Zeugin auf einer Party bei einem Bierpong-Spiel mit beiden Händen an der Hüfte zu sich gezogen und ihre Hand festgehalten“ haben soll.
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