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Künstler Txus Parras gehörte früher zum Tacheles-Umfeld, heute arbeitet er in Lichtenberg.

© Robert Klages

Lichtenberg: Kein Platz für die Kunst

Die Herzbergstraße könnte sich zu einer Kunst- und Kulturmeile entwickeln. Doch der Bezirk will das nicht – aus Angst vor Verdrängung.

Txus Parras zieht an seiner Zigarette. „Legalize it“, steht auf seinem schwarzen Kapuzenpulli. Lange Haare, rote Brille, fehlende Zähne. Sein Atelier voll mit Farbdosen, Malereien, Klamotten. Parras hat einst das Künstlerhaus Tacheles mitgegründet. Nun hat er, zusammen mit anderen Künstlern, einen neuen Standort für Kunst eröffnet, die „Kulturbotschaft“ in der Herzbergstraße in Lichtenberg.

300 Meter entfernt telefoniert Axel Haubrok, seine Angestellte hält den Kaffee bereit. Cordhose, schwarzer Samtpulli, weißes Haar. Auf den ersten Blick haben Parras und Haubrok nicht viel gemeinsam. Sie sind sich noch nie begegnet. Doch sie teilen ihre Sorgen: Sie würden gern hier ausstellen, dürfen aber nicht. Es handelt sich um ein reines Gewerbegebiet. Haubrok ist schon etwas länger dort, der Unternehmer und seine Frau haben das riesige Gelände der früheren Fahrbereitschaft der SED gekauft und zu Atelierwerkstätten für Gewerbetreibende und Künstler umgewandelt. Er und sein Projekt seien hier nur geduldet, sagt er. Der Bezirk hindere ihn daran, den Standort für Kunst auszubauen.

„Das Tacheles war ein besonderer Ort für den Austausch zwischen Künstlern verschiedener Richtungen“, sagt Lucas Böttcher. „Diese Idee wollen wir in gewissem Rahmen wiederbeleben.“ Der Videokünstler, der jahrelang im Kunsthaus an der Oranienstraße arbeitete, ist einer der beiden Gründer der Kulturbotschaft Lichtenberg. Ihren Namen verdankt sie dem niederländischen Fotokünstler Tim Roeloffs, den Klaus Wowereit zum „Kulturbotschafter Berlins“ ernannte. Das Tacheles ist seit einigen Jahren Geschichte, die Suche nach geeigneten Ateliers seitdem nicht einfacher geworden.

„Dass man hier kreativ sein kann, hätte ich niemals gedacht.“

„Wenn mir vor zehn Jahren einer gesagt hätte, dass man froh sein kann, in Lichtenberg ein Atelier zu finden, hätte ich ihn für verrückt erklärt“, sagt Roeloffs. „Dass man hier kreativ sein kann, hätte ich niemals gedacht.“ Und doch sitzen sie alle nun in einer ehemaligen Gerberei, die auch schon mal als Autowerkstatt diente. 1200 Quadratmeter offene Räume auf drei Etagen, die jahrelang leer standen. Etwa neun Künstler bilden nun den festen Stamm der Kulturbotschaft, organisiert wird im Plenum. Fast alle kennen sich noch aus Tacheleszeiten. „Wir sind von damals noch sehr gut international vernetzt, das ist wie eine große, erweiterte Familie“, sagt Roeloffs.

Parras, spanischer Flüchtling aus der Franco-Zeit, ist erst kürzlich nach Lichtenberg gekommen. Er gehörte zur Hausbesetzerszene. Von einem neuen Tacheles will er nichts wissen. Doch auch er möchte, dass die Kulturbotschaft eine Anlaufstelle für alternative Kunst wird. Um zu ihm zu gelangen, muss man sich den Weg vorbei an Schrotthändlern bahnen. Weil es nicht so einfach zu finden ist, hat Parras Pfeile auf den Boden gemalt.

Die „Fahrbereitschaft“ ist einfacher zu finden: ein riesiges Schild „los angeles artist in berlin“ an einem offenen Eingang nahe dem vietnamesischen „Dong Xuan“-Großhandelszentrum. Will man die ehemalige Einsatzzentrale für Dienstfahrer jedoch betreten und die „DDR-Bar und SED-Kegelbahn“ sehen, muss man einen Termin machen oder eine Führung buchen. Axel Haubrok ist oft in Los Angeles. Früher hatte er einen Showroom für Künstler am Strausberger Platz in Friedrichshain, er kennt die Kunstszene.

Axel Haubrok ist Unternehmer und hat einen Teil des Geländes gekauft. Er würde hier gern eine Kunsthalle eröffnen.
Axel Haubrok ist Unternehmer und hat einen Teil des Geländes gekauft. Er würde hier gern eine Kunsthalle eröffnen.

© Robert Klages

Er würde gern eine große Kunsthalle errichten, eine Mischung aus DDR-Museum und Galerie, mit dem Gropius-Bau und Hebbel am Ufer als Kooperationspartner, sagt er. Seit Jahren versucht er, eine Baugenehmigung zu bekommen. Die Senatsverwaltung für Wirtschaft sagt, „künstlerische Nutzungen“ würden für das Gewerbegebiet Herzbergstraße vermehrt nachgefragt. Doch die Anfragen seien alle abgelehnt worden, weil auf Kunsthallen und Galerien zwangsläufig Gastronomie, Unterhaltung und Freizeit folge. Und die dadurch steigenden Bodenpreise gefährdeten die Betriebe. Die Künstler können daher nicht öffentlich Werbung machen für ihre halblegalen Ausstellungen.

Gewerbe wird von der Politik unterstützt - Kunst nicht

Lichtenbergs Baustadträtin Birgit Monteiro sagt, Kreativwirtschaft dürfe hier produzieren, aber nicht ausstellen. Haubrok ist auf die SPD-Politikerin nicht gut zu sprechen. Das Bezirksamt und Vertreter des Senats diskutieren derzeit, wie es mit der Straße weitergeht. Konsens bisher: keine weiteren Wohnungen, Schutz des produzierenden Gewerbes mit „Würdigung der bereits entstandenen Nutzungen“. Eine Flüchtlingsunterkunft gibt es in der Straße auch, sie hat eine Sondergenehmigung bekommen. Lichtenbergs Bürgermeister Michael Grunst (Linke) hält Haubroks „Fahrbereitschaft“ für einen Gewinn – auch eine Kunsthalle in der Herzbergstraße würde er gut finden. Neben „Kulturbotschaft“ und „Fahrbereitschaft“ gibt es noch das „HB55 – Räume für Kunst“. Ateliers, Werkstätten und Studios auf 7000 Quadratmetern.

Während sich die Kunst in der Straße schon seit einigen Jahren selbstständig entwickelt, wird das Gewerbe vor Ort von der Politik gefördert. Im vergangenen Jahr hat sich das „Netzwerk Herzbergstraße“ gegründet. Ziel der Initiative von 14 Betrieben ist es, das Gebiet als Gewerbestandort zu sichern. Die Unternehmen müssen sich „darauf verlassen können, dass das Gebiet auch in zehn Jahren noch ein Gewerbegebiet ist“, sagt Monteiro. Kunst könne sie sich eher in Hohenschönhausen vorstellen.

Kultursenator Lederer will sich nicht äußern - Bezirkssache

Wenn es nach ihr geht, wird es auch weiterhin keine große Kunsthalle in der Herzbergstraße geben. Gegen kleinere oder einzelne größere Ausstellungen sei aber nichts zu sagen, diese würden ja kein Gewerbe verdrängen. Eine große, permanente Kunsthalle hingegen schon. Kultursenator Klaus Lederer (Linke) will sich nicht zum Thema äußern. Aus seinem Büro heißt es, das sei Bezirkssache.

Txus Parras von der „Kulturbotschaft“ sagt, man wisse, was man in der Straße dürfe und was nicht. Sie sind erst mal zufrieden, einen Ort für ihre Ateliers gefunden zu haben. Es soll eine Art freie Schule für Kunst entstehen. Es soll kein Club werden, kein Ballermann. Nicht so wie das, was aus dem „Tacheles“ geworden sei, bevor es schließen musste, sagt Parras.

Wie früher sollen offene Räume ein Austausch zwischen den Künstlern fördern. Feste Ateliers sind nicht geplant, vielmehr sollen Künstler für einzelne Projekte die Räume nutzen. „Dieser Austausch stimuliert die Kreativität ungemein“, sagt Tim Roeloffs. Deswegen sollen auch internationale Künstler aus dem Netzwerk eingeladen werden, um für kurze Zeit in Lichtenberg zu arbeiten. Was die Künstler nicht wollen: 24 Stunden am Tag offen stehende Türen, durch die auch von draußen jeder ständig einund ausgehen kann; wilde Tacheles-Partys und Drogenexzesse sind Geschichte. „Dafür sind wir mittlerweile vielleicht auch zu alt“, sagt Böttcher. Stattdessen hat die Kulturbotschaft nun ein eigenes Zimmer für die Kinder der Künstler, damit die ungestört spielen können.

Gehört Kunst dorthin, wo sie nicht recht erwünscht ist?

Man könnte auch fragen: Gehört Kunst nicht genau dorthin, wo sie nicht recht erwünscht ist? Dorthin, wo man sie nicht so ganz erwartet? Parras und Haubrok könnten sich in der „Airstream Catering Lounge“ treffen, vielleicht, irgendwann einmal. Dort würde man ebenfalls gerne ausbauen: Aus der Kantine soll ein Restaurant werden, doch sie darf derzeit noch nicht abends öffnen. Kantinen müssen sich an den Öffnungszeiten der umliegenden Unternehmen orientieren – was auch für die Imbisse im Dong-Xuan-Center gilt.

Mittags ist in der Airstream-Kantine einiges los, gleich nebenan sitzt die Deutsche Kreditbank Service GmbH. „Airstream“-Besitzer Lars Sommer hat bereits zwei Restaurants in Berlin. „Die Leute werden danach schreien, dass wir abends öffnen“, sagt er. „Die Straße entwickelt sich gigantisch.“ Dem entgegnet Stadträtin Monteiro: „Wer eine Kantine beantragt hat, der bekommt auch eine Kantine“ – und solle sich nicht beklagen, wenn er dort kein Restaurant aufmachen darf. In einer Kleingartenanlage sei es ja auch nicht erlaubt, ein Einfamilienhaus zu bauen.

Haubrok bleibt gelassen. „Wir verändern unser Konzept fast täglich“, sagt er. Sein Gelände finanziere sich auch so durch den Gewerbebetrieb. Bootsbau, Rahmen, Druckerei, Tanzstudio, Tonstudio, Taxidienst. Txus Parras entwirft derzeit Leggings für einen pakistanischen Großhändler, mit Flower-Power-Motiven, die in der „Kulturbotschaft“ produziert werden sollen. Haubrok findet die Situation vor Ort „vollkommen verdreht“. In Los Angeles würden solche Künstleransiedlungen gezielt gefördert. „Hier in Berlin hat man Angst vor der Gentrifizierung.“

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