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Einer der im Libanon geborenen Angeklagten wird zum Prozess gegen insgesamt vier mutmaßliche Mitglieder der islamistischen Hamas in den Gerichtssaal geführt.

© dpa/Fabrizio Bensch

Update

„Kiste mit Kalaschnikow“: Hamas-Prozess startet mit hohen Sicherheitsmaßnahmen – Anschlag in Berlin geplant?

In Berlin stehen mutmaßliche „Schläfer“ der islamistischen Hamas vor Gericht. Sie sollen sich in Dänemark, Bulgarien und Polen um versteckte Waffenlager gekümmert haben.

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Jacken, Taschen, Handys kommen vor diesem Prozess im Kriminalgericht Moabit in einen zu verschließenden Schrank. Nach einer Metalldetektor-Schleuse werden die Zuschauer am Dienstag noch von Justizbeamten abgetastet. Deutlich verspätet führen Bedienstete dann die vier Angeklagten aus der Untersuchungshaft in die Panzerglas-Kabinen des Saals A 142.

Das Berliner Hamas-Verfahren startet. Die Bundesanwaltschaft wirft vier Männern vor, Mitglieder der streng-muslimischen Organisation zu sein. Die Hamas ist in Deutschland verboten und wird als ausländische Terrororganisation verfolgt. Zudem sollen die Angeklagten gegen Waffengesetze verstoßen haben.

Alle vier wurden im Libanon geboren. Zwei von ihnen, 46 und 41 Jahre alt, geben „palästinensisch“ als ihre Staatsangehörigkeit an. Ein 34-jähriger Angeklagter ist Ägypter, ein 57-jähriger ist Niederländer. Die Männer wurden im Dezember 2023 festgenommen, also nach dem großflächigen Angriff der Hamas auf Israel im Oktober jenes Jahres. Drei Angeklagte wohnten in Berlin, der Älteste in Rotterdam.

Potenzielle Anschlagsziele in Berlin

Die vier Männer sollen als „Auslandsoperateure“ der Hamas in „unmittelbarer Anbindung an Führungskräfte“ aktiv gewesen sein. Der militärische Flügel der Islamistenorganisation, die Kassam-Brigaden, hatte demnach vor Jahren unterirdische Waffendepots anlegen lassen, um für Anschläge in Europa gewappnet zu sein. Als mögliche Ziele werden am Dienstag die israelische Botschaft in Berlin, der US-Luftwaffenstützpunkt in Ramstein und das Gebiet um den Ex-Flughafen Tempelhof genannt – unklar, warum sich die Untergrundzelle für das letztgenannte Areal interessiert haben soll.

Die Anklage trägt Jochen Weingarten vor. Der Bundesanwalt war schon federführend für die Anklage im Verfahren gegen den „Nationalsozialistischen Untergrund“ zuständig.

Weingarten legt am Dienstag dar: Der 41-jährige Angeklagte, der in Berlin ein Restaurant betrieb, habe für die Hamas schon 2019 im bulgarischen Plowdiw ein Waffendepot angelegt. „Unter einem Nadelbaum“ habe der Mann eine Kiste vergraben, darin in „einem schwarzen Plastiksack“ eine Kalaschnikow und Magazine, zudem Pistolen samt Patronen. Die Lage des Verstecks habe der Angeklagte durch Handybilder dokumentiert und Hamas-Instrukteuren im Libanon geschickt. Im selben Jahr soll der Mann aus einem Depot im dänischen Ørbæk „mindestens eine Schusswaffe“ nach Berlin geholt haben.

Israel schaltet Hamas-Instrukteur aus

Bei Jeleniów in Polen hätten dann alle Angeklagten zwischen Juni und Dezember 2023 nach einem Versteck gesucht, von dem sie durch die Hamas-Instrukteure erfahren haben sollen. Alle Versuche, das Waffenlager mit den aus dem Libanon übermittelten Koordinaten zu finden, scheiterten offenbar.

Der Anklage zufolge brachen die Männer die Suche dann auch deshalb ab, weil der für Auslandseinsätze zuständige Hamas-Vertreter im Libanon starb: Denn ihre Befehle bekamen die vier Angeklagten den Ermittlern zufolge auch von Khalil Kharraz, einem Vize-Kommandeur der Kassam-Brigaden, den israelische Streitkräfte im November 2023 durch einen Luftangriff töteten. Der 46-jährige Angeklagte trug der Bundesanwaltschaft zufolge auf Kharraz’ Beerdigung dessen Sarg.

Zum Prozessauftakt in Berlin sind fast 20 Angehörige nach Moabit gekommen. Mit akkuraten Kopftüchern die Frauen, die Männer mitunter in Calvin-Klein-Jacken. Sie sind nicht zuletzt wegen der harschen Sicherheitsvorkehrungen verärgert, den Angeklagten winken sie zu. Zuschauer und Prozessbeteiligte trennt eine Panzerglaswand.

Schläfer in weltweitem Netzwerk

Fusselbärtige Heranwachsende, wie man sie aus Verfahren um Anhänger des „Islamischen Staates“ kennt, gibt es in diesem Prozess nicht. Die Hamas pflegt einen anderen Dschihadismus. Sie ist ein aus der Muslimbruderschaft gewachsenes Netzwerk, das von der türkischen Regierungspartei AKP, den Herrschern in Katar sowie zahlreichen Geistlichen und Warlords der muslimischen Welt unterstützt wird.

Seit 2007 regiert die Hamas nicht nur in Gaza, sondern de facto auch eigenen Städten gleichende Flüchtlingsviertel im Libanon, in Syrien und im Westjordanland. Die Hamas verfügt über militärische Brigaden in Nahost, diverse Moscheen, eine internationale, legalistische Unterstützerszene sowie klandestine Helfer weltweit, die gern als „Schläfer“ bezeichnet werden – und zu denen deutsche Ermittler die vier Angeklagten in Berlin zählen.

Auf die Männer hingewiesen hatte der Verfassungsschutz, der wiederum von einem verbündeten Nachrichtendienst gewarnt worden sein soll. Daraufhin wurden die Verdächtigen überwacht, letztlich Mobiltelefone, Computer, USB-Sticks konfisziert und ausgewertet. Gegen eine deutsche Unterstützerin wird gesondert ermittelt, die Frau soll einen der Angeklagten auf einer Waffentour begleitet haben.

Er hoffe, sagt ein Anwalt am Dienstag, dass das Gericht für „Alternativtheorien“ offen sei – einige von den Strafverfolgern ausgewertete Nachrichten seien falsch übersetzt worden. Ein zweiter Verteidiger erklärt, sein Mandat weise die Vorwürfe zurück. Im März werden erste Zeugen und Sachverständige erwartet. Der Prozess wird bis Jahresende dauern.

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