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Ludwig Engels Vision für Berlin 2030: „Umbau statt Neubau, renovieren statt abreißen“
Ausreichend Wohnraum schaffen – ohne ein einziges Haus neu zu bauen. Das geht, wenn alte Häuser nicht abgerissen werden und der Umbau vereinfacht wird, sagt der Stadtforscher.
Fangen wir gleich mit der guten Nachricht aus 2030 an: Berlin hat einen Großteil des bitter nötigen Wohnraums geschaffen, ohne ein einziges Haus abzureißen und neu zu bauen. Stattdessen wurden leerstehende Bürogebäude und Wohnhäuser renoviert, saniert und umgenutzt.
Denn die Berliner haben begriffen, dass der Umbau von Gebäuden gut für die Gesellschaft, die Umwelt und die lokale Wirtschaft ist. 2030 sieht Berlin also gar nicht so anders aus als damals, aber in der Stadt lebt es sich für viele Menschen viel besser. Was nicht zuletzt an der gestiegenen Luftqualität und geringeren Lärmbelastung in der Stadt bemerkbar ist.
Viele Menschen sind glücklich, eine neue alte Wohnung gefunden zu haben, viele Menschen sind glücklich, weil sie in der Wohnung bleiben konnten, in der sie schon lange leben. Und natürlich gibt es auch schlauen Neubau, aber eben nicht dort, wo schlaue Köpfe mit guten Ideen dem Bestand wieder Leben eingehaucht haben. Und alles dank eines Umdenkens in der Wohnungspolitik: Umbau statt Neubau, renovieren statt abreißen, umwidmen statt neu planen ist zur Norm geworden.
Jedes Gebäude ist vom Abriss bedroht
Zurzeit ist es leider noch so: Wohnhäuser werden abgerissen, wie gerade in der Mollstraße in Mitte geschehen, wo ein Haus mit über 200 Einzimmerwohnungen nun einem Bürohaus weichen muss. Oder an der Urania in Schöneberg, wo ein Bürohochhaus nicht in Wohnungen umgewandelt wurde – stattdessen wurde es abgerissen, was auf dem Grundstück passieren soll, ist noch unklar.
Diese zwei Beispiele stehen stellvertretend für ein ganzes System: Jedes Gebäude in der Berliner Innenstadt ist potenziell vom Abriss bedroht. In den meisten Fällen nicht, weil die Gebäudesubstanz schlecht oder im Gebäude kein menschenwürdiges Wohnen möglich wäre – nein, tragischerweise geht es, wenn es tatsächlich zum Abriss kommt, oft einfach nur darum, auf dem inzwischen wertvoller gewordenen Grundstück einen Neubau mit höherer Rendite zu verwirklichen.
Das führt in der Regel im Wohnungsbau dazu, dass auf dem gleichen Stück Land nach Abriss und Neubau ein Gebäude steht, in dem weniger Menschen mit mehr Geld in größeren Wohnungen wohnen. Wenn Berlin Glück hat. Denn oftmals entstehen an gleicher Stelle Bürogebäude, die aus verschiedenen steuerlichen Gründen eine noch größere Rendite versprechen und dafür manchmal nicht einmal vermietet sein müssen.
Wer am Abend durch Berlin läuft und die leeren Bürogebäude zählt oder sein Augenmerk auf die dunklen Wohnungen richtet, deren verwaiste Balkone auf Zweitwohnsitze, Ferienwohnungen oder leerstehende Kapitalanlagen hinweisen, und das mit den Schlangen vergleicht, die sich inzwischen bei jeder Wohnungsbesichtigung auf der Straße bilden, dem muss klar sein, dass eine Stadt, die in den letzten Jahrzehnten um 300.000 Einwohner gewachsen ist, aber systematisch bewohnbaren Bestand vernichtet, ein strukturelles Problem hat.
Zu klein, zu groß, immer zu teuer
Wenn man mit PsychologInnen und NeurowissenschaftlerInnen spricht, ist eine gute Wohnung die beste Voraussetzung, um mit Stadt-Stress umzugehen: Eine gesunde Teilhabe an der Stadtgesellschaft ist dann möglich, wenn man sich in sichere Räume zurückziehen um seine sozialen Akkus immer wieder aufladen kann. Nur dann sind wir großzügig, nachsichtig, verständnisvoll im öffentlichen Raum mit unseren Mitmenschen.
Menschen finden aber in Berlin zurzeit keine Bleibe oder wohnen in unpassenden Wohnungen: Familien in zu kleinen, Alte in zu großen, alle in zu teuren und niemand kann umziehen, weil es keine Alternativen gibt. Jeder Abriss von Bestand verstärkt dieses Dilemma. Wir müssen schneller werden und mehr Wohnraum anbieten, als es durch Neubau möglich wäre.
Damit Berlin in 2030 so wird wie eingangs beschrieben, reicht ein Umdenken allerdings nicht aus – auch die Gesetze müssen sich ändern, um Renovierung und Umbau einfacher, schneller und sozialer zu machen und nicht zu erschweren. Viele Menschen setzen sich dafür auf unterschiedliche Art schon ein – Sie bitte auch! Wir haben vor einigen Jahren HouseEurope! gegründet – eine europäische Initiative, die dafür zur Zeit Stimmen in ganz Europa sammelt.
Denn für Berlin gilt: Die Zukunft ist schon gebaut. Jetzt müssen wir nur noch darin wohnen dürfen!
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