zum Hauptinhalt
In den "Heraufschauenden Hund". Digitale Sportkurse sichern die berufliche Existenz vieler Trainer.

© Symbolfoto: Pilar Olivares/Reuters

Mit Onlinekursen durch die Coronakrise: Pilates im Wohnzimmer - ein Selbstversuch

Viele Fitnesskurse finden nun online statt. Pilates-Training per Videochat: Klappt das? Ein Selbstversuch.

Das Outfit sitzt. Tablet und Yogamatte liegen bereit. Hochmotiviert schließe ich die Tür zum Wohnzimmer und hoffe, dass das mit der Technik jetzt auch funktioniert. Zum ersten Mal in meinem Leben möchte ich per Videochat an einem Sportkurs teilnehmen. Ich bin skeptisch, doch das Coronavirus zwingt mich gewissermaßen zu diesem Experiment.

Seit die Kontaktsperre vor anderthalb Wochen eingetreten ist, findet mein Pilates-Kurs nicht mehr statt. Pilates ist ein Gymnastiktraining, das man wie Yoga auf einer Matte macht. Der Sport ist gut für die Figur, fördert eine bessere Haltung.

Manche befreit er von Rückenschmerzen. An dem Kurs gefällt mir besonders, dass der Trainer mich mit seiner lustigen Art dazu motiviert, Muskelübungen zu machen, für die ich sonst viel zu faul wäre. Ich mag außerdem, dass ich dort nette Leute treffe, und dass der Kurs nur fünf Minuten von meinem Zuhause entfernt stattfindet. Doch heute kommt er direkt zu mir ins Wohnzimmer. Kling eigentlich ganz praktisch.

Mehr zum Thema

Kurz nach dem Shutdown verschickter der Trainer einen Link

Erst war ich traurig, als es hieß, dass auch die Sportstudios schließen müssen. Doch nur wenige Tage nach dem vom Senat ausgerufenen Kontaktverbot schreibt mein Pilates-Trainer Thomas Westphal eine Mail an seine Kursteilnehmer. Er biete seine Kurse jetzt online an. Wir müssten nur zur gewohnten Zeit statt ins Studio ins Internet gehen.

Um am Kurs teilzunehmen, lädt man sich entweder mit dem Handy oder Tablet eine bestimmte kostenlose Videokonferenz-App runter und klickt auf den Link, den Westphal mitgeschickt hat. Mit dem Laptop kann man auch die Browserversion des Dienstes nutzen.

[In unserem Leute-Newsletter für Tempelhof-Schöneberg berichtet unsere Kollegin Sigrid Kneist regelmäßig über Themen aus dem Bezirk. Diesen und andere Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

„Am besten legt ihr die Yogamatte quer zur Kamera, damit ich euch seitlich gut sehen kann“, schreibt er. Während ich pünktlich zur vereinbarten Uhrzeit meine olivgrüne Sportmatte auf dem Dielenboden ausrolle, frage ich mich, wie das wohl gleich mit der Motivation klappen wird. Mir fehlen die anderen Kursteilnehmer, das Gequatsche kurz vor Trainingsbeginn. Immerhin steht, anders als bei einem aufgezeichneten Video, der feste Termin. Sonst hätte ich mich jetzt eventuell nicht aufgerafft.

Ich klicke also auf den Link und sehe nach kurzer Verzögerung Trainer Thomas Westphal, wie er ebenfalls auf einer Matte auf dem Dielenboden sitzt, mich jetzt auch erkennt und genau wie die anderen Teilnehmer aus der Online-Runde begrüßt.

Das Video hat eine überraschend gute Qualität. Ich bin allerdings noch nicht ganz firm mit der App. Während Westphal schon zackig mit den ersten Anweisungen loslegt, suche ich noch den Lautstärkeregler und die richtige Position für mein Tablet. Die Herausforderung: Ich muss den Trainer, der die Übungen zuerst vormacht gut sehen können, gleichzeitig muss er aber auch mich sehen, damit er mich korrigieren kann. Gar nicht so einfach.

Für den Trainer ist es zu Hause etwas einsam

Ausgerechnet mit Liegestützen geht es los. Die hasse ich, aber schummeln geht nicht. Denn der Trainer hat mich vermutlich gut im Blick. „Big Brother is Watching You. Endlich sehe ich euch alle gleichzeitig“, sagt er auch schon. Das gehe sonst im analogen Raum nicht so gut. Danach geht es auf den Rücken. Thomas sagt: „Single-Leg-Strech“ – und alle wissen sofort, welche Übung damit gemeint ist. Sein klarer Vorteil für das digitale Training: Die meisten der Teilnehmer besuchen den Kurs schon seit Jahren. Ein Stichwort reicht und alle wissen, was zu tun ist. Jetzt geht es auf die Seitenlage. Mehr oder weniger anstrengende Muskelübungen für Beine, Hüften, Rücken und Bauch folgen. Beim Pilates hängt alles davon ab, wie gut man gerade trainiert ist, angesprochen werden die tiefer liegenden Muskelgruppen.

Später wird Thomas Westphal am Telefon sagen, dass er beim Online-Training noch nicht so gut „im Flow“ sei. Er könne uns nicht hören. Ohne unsere „Stöhngeräusche“ wisse er nicht, wie es mit der Kraft aussehe. „Geht noch mehr? Oder soll ich mit einer leichten Dehnübung weitermachen?“. Das spüre er beim normalen Training schon, sobald er den Raum betrete. Beim Onlinekurs müssen alle Teilnehmer, heute sind es zehn, die Mikrofone wegen der Störgeräusche ausschalten. Er hört nur sich selbst sprechen, ein seltsames Gefühl. Besonders, wenn er wie so häufig einen Witz macht. „Dann hoffe ich einfach, dass irgendwer gelacht hat“, sagt Thomas Westphal.

Ein Wisch nach rechts und ich sehe die Wohnzimmer der anderen

In meinem Wohnzimmer versuche ich jetzt, mich auf die Übungen zu konzentrieren. Normalerweise gucke ich in den Kursen viel nach links und rechts, sehe, was die anderen machen. Das mache ich jetzt genauso mit der App. Ein Wisch nach rechts und ich sehe neben Trainer Thomas noch drei weitere Teilnehmerinnen, die alle offenbar wissen, welche Übung gerade gemeint ist. Ich orientiere mich an ihnen, bewundere nebenbei noch deren Wohnzimmereinrichtungen.

Die eine hat eine rote Tapete, sieht cool aus, denke ich. Bei mir im Zimmer hüpfen jetzt meine zwei Kinder durchs Bild und um mich herum. Das können jetzt auch alle sehen. Hoffentlich aber nicht die Umzugskisten, die immer noch hinter dem Sofa stehen, weil das neue Regal aufgrund der Coronavirus-Krise nicht geliefert werden konnte.

Nach dem Training bin ich leicht erschöpft. Zwischendurch musste ich meine Kinder aus dem Zimmer schmeißen, ihre Betreuung werde ich beim nächsten Mal anders organisieren. Ansonsten fühle ich mich für kommende Online-Sportkurse gut gerüstet. Das digitale Training ersetzt nicht den persönlichen Kontakt, aber für den momentanen Ausnahmezustand ist es eine gute Lösung.

Kein Teilnehmer ist abgesprungen - seine berufliche Existenz gesichert

Thomas Westphal hat durch sein schnelles Handeln geschafft, dass er nicht zu den Soloselbstständigen gehört, die jetzt auf finanzielle Hilfe von der staatlichen Förderbank angewiesen sind. Sein Kursprogramm läuft genauso weiter wie bisher. Etwa zehn Kurse gibt er die Woche. Von rund hundert Teilnehmern sei wegen der Krise kein einziger abgesprungen, erzählt er am Telefon. Es hätten sich alle Teilnehmer auf die digitale Kursversion eingelassen – sogar die Senioren aus seinen Rückenfitnesskursen für die Generation 70 plus. Für Westphal sind seine Sportkurse eine wichtige finanzielle Basis, auch wenn er außerdem noch als Heilpraktiker arbeitet.

Trotzdem liegt eine anstrengende Woche hinter ihm. Der digitale Wandel habe ihn viel Kraft gekostet, sagt Westphal. In der Seniorengruppe musste er in langen Gesprächen über die Handhabung der Videokonferenz-App informieren. „Dabei wollten natürlich auch alle ein bisschen plaudern, weil sich viele momentan so einsam fühlen“, sagt er.

Doch nur drei der Senioren seien aus technischen Gründen momentan noch nicht in der Lage, beim Onlinekurs teilzunehmen. Eine 80-Jährige war eigentlich davon überzeugt, dass sie das mit der App auf dem Handy sowieso nicht hinbekomme und war dann ganz überrascht, als es doch geklappt hat. Alle seien sehr motiviert, da der Sport für sie so wichtig sei. „Viele der Älteren haben ohne Training große Schmerzen“, sagt Westphal.

Aber auch die Jüngeren brauchen die Bewegung als Ausgleich zum Bürojob und der vielleicht jetzt noch schlechteren Sitzhaltung im Homeoffice.

Würde er auch ohne Coronavirus Web-Sportkurse anbieten? „Nein“, sagt er sehr entschlossen. Aber solange es die Situation bedingt, sei es für ihn eine gute Option. Dem technischen Wandel sei Dank. Hätte es die Krise schon vor 15 Jahren gegeben, wäre das vermutlich alles nicht so einfach gewesen.

Digitale Sportkurse für zu Hause

Sportkurse anbieten
Trainer, die ihren Unterricht digital fortsetzen möchten, können dabei ganz unkompliziert auf Videokonferenz-Software aus dem Büroalltag zurückgreifen. Am meisten verbreitet ist das Programm „Zoom“, oder bei weniger Teilnehmern „Hangouts“.

Yoga und Pilates im Wohnzimmer
Viele Berliner Sportstudios bieten in der Krise ihre Kurse online an. So zum Beispiel Dharma Yoga (dharmayogaberlin.com), Yoga Sky (yoga-sky.de), Lotos Yoga (yoga-lotos.de) Den Kontakt zu Pilates-Trainer Thomas Westphal findet man unter www.pilateskoerpertraining.de.

Fitness in Echtzeit
Die Fitness-Plattform www.cyberobics.com bietet mehr als 100 Trainingseinheiten per Video an und streamt zu festen Zeiten Kurse in Echtzeit. Es gibt eine einmonatige kostenlose Testphase, danach variieren die Preise je nach Angebot. Ein täglich neues Yoga-Workout fürs Wohnzimmer gibt es auch bei der App „Down Dog“ (www.downdogapp.com).

Personalisiertes Workout
Das Fitnessstudio Urban Gladiators bietet ein Online-Coaching für das regelmäßige Workout an und erstellt personalisierte Trainingspläne, auch über Facebook. Zu finden unter: www.urbangladiators.de/home-training saa

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false