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Polizisten stehen bei einer Kundgebung gegen die Corona-Beschränkungen auf der Straße des 17. Juni hinter einem Teilnehmer mit Deutschland-Flagge. Die Polizei hat die Veranstaltung kurz vor Ende doch noch aufgelöst.

© Christoph Soeder/dpa

Nach Kritik aus ganz Deutschland: Berliner Politik will mehr Polizei und härtere Auflagen bei Corona-Protesten

Linke und Grüne fordern schnellere Durchsetzung der Hygieneauflagen bei Demonstrationen. Die Berliner Innenverwaltung weist Kritik am Polizeieinsatz zurück.

Die Kritik am Vorgehen der Polizei während der Corona-Proteste am vergangenen Samstag wächst. Benedikt Lux, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, und Niklas Schrader, innenpolitischer Sprecher der Links-Faktions, forderten, für künftige Demonstrationen mehr Kräfte einzusetzen und früher gegen Verstöße gegen die Hygieneauflagen vorzugehen.

Rund 20.000 Demonstranten standen maximal 1.100 Polizisten gegenüber. Stundenlang verstießen die Teilnehmer gegen die vereinbarten Auflagen für die Demonstration, Lautsprecheransagen der Polizei wurden ignoriert. Ein Einsatzleiter der Polizei sagte in einem Video, die Polizei habe nicht genug Kräfte, um gegebenenfalls zu räumen.

Deshalb war am Wochenende auch auf Bundesebene Kritik am Einsatzkonzept der Polizei laut geworden. Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei, forderte, die Ordnungsbehörden sollten stärker auf detaillierte Hygienekonzepte bei der Anmeldung von Demonstrationen drängen. „Die exakte Umsetzung muss mit empfindlichen Geldbußen für die Organisatoren verbunden werden.“ Auch Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) pochte auf die Einhaltung der Auflagen zum Corona-Schutz.

Auch ein Sprecher des Innenministeriums äußerte sich zu dem Thema: "Wenn von vornherein absehbar ist, dass Auflagen nicht eingehalten werden, stellen sich Fragen, ob man solche Veranstaltungen zulassen kann", sagte er am Montag. Es sei Aufgabe der "zuständigen Behörden auf Länderebene", darauf zu achten, dass die Vorgaben zum Infektionsschutz auch eingehalten werden.

Niklas Schrader, Innenexperte der Berliner Linkspartei, sagte dem Tagesspiegel am Montag: "Das Vorgehen der Polizei war im Grundsatz richtig. Das Versammlungsrecht ist halt ein hohes Gut. Es ist auch klar, dass der Umgang mit solchen Demos alles andere als einfach ist." Allerdings müsste man sich für die Zukunft Gedanken machen, wie Auflagen zum Gesundheitsschutz besser durchzusetzen seien. "Sonst verkommen sie zur Farce", sagte Schrader.

Polizei soll früher einschreiten

Es sei erschreckend, wie verfassungsfeindliche Symbole und Äußerungen von den Corona-Demonstranten "ohne Widerspruch hingenommen oder sogar begrüßt wurden". Die Polizei müsse in solchen Fällen künftig früher einschreiten.

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Benedikt Lux, Innenexperte der Berliner Grünen, sagte: "Die notwendigen Hygieneauflagen müssen stärker kontrolliert werden. Personen, die so offensiv gegen das Masken- und Abstandsgebot verstoßen, sollten ausgeschlossen werden." Die Polizei müsste dafür aber mehr Kräfte einsetzen.

Zehntausende demonstrierten in Berlin.
Zehntausende demonstrierten in Berlin.

© REUTERS/Fabrizio Bensch

Es solle geprüft werden, inwiefern künftige Demonstrationen der Anmelder noch zugelassen werden könnten, weil so beständig gegen Auflagen verstoßen wurde. "Das kann dazu führen, dass wie bei Herrn Hildmann auch, Versammlungen dieses Anmelders verboten", sagte Lux und bezog sich damit auf die kürzlich untersagten Demonstrationen des Verschwörungsideologen Attila Hildmann.

Innenverwaltung sieht keinen Grund für Kritik an der Polizei

Ähnliche Signale kamen bereits am Wochenende aus der Innenverwaltung. Ist durch Demonstrationen die öffentliche Sicherheit gefährdet oder sind Straftaten zu erwarten, können sie verboten werden. Die vielen Verstöße gegen die vereinbarten Auflagen und den Infektionsschutz könnten ähnliche Demonstrationen durch die gleichen Veranstalter also tatsächlich künftig verhindern.

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Grundsätzlich gehören Meinungs- und Versammlungsfreiheit aber zu den höchsten Verfassungsgütern, weshalb es in Deutschland enorm hohe Hürden gibt, Demonstrationen von vorneherein zu verbieten. Auch deshalb hatte der Berliner Senat die Einschränkungen des Versammlungsrechts durch das Infektionsschutzgesetz relativ frühzeitig wieder zurückgenommen.

Die Innenverwaltung verteidigte das behutsame Vorgehen der Polizei am Montag. Martin Pallgen, Sprecher von Innensenator Andreas Geisel (SPD), sagte: "Wenn man 20.000 Menschen, die sich teilweise verbal aggressiv und ablehnend verhielten, ohne polizeiliche Gewalt auflösen will - was der richtige Weg der Deeskalation gewesen ist -, dann dauert das etwas länger."

Polizeigewerkschaft: Auch bei Regelverstößen darf nicht sofort Abgebrochen werden

Auch die Polizeigewerkschaften verteidigten die Einsatzstrategie. „Die Polizei hat nicht den gesetzlichen Auftrag, parteipolitischen Erwartungshaltungen zu folgen, sondern das Versammlungsrecht zu schützen“, sagte der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt.

Der Vizechef Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek, verwies auf Gerichtsbeschlüsse, wonach Versammlungen auch unter Infektionsschutz-Auflagen gewährleistet werden müssten. „Da haben die Berliner Kollegen eine gute Arbeit geleistet, da sie zunächst das Recht auf Versammlungsfreiheit durchgesetzt haben, denn die Polizei will sich hinterher auch nicht von einem Gericht vorwerfen lassen, dass man zu früh eingeschritten ist“, sagte Radek.

„Die Polizei darf auch bei festgestellten Rechtsverstößen eine Versammlung nicht sofort abbrechen, sondern muss dem Veranstalter immer ausreichend Gelegenheit geben, auf die Teilnehmenden einzuwirken“, erklärte Wendt. „Letztlich wird eine Beschränkung des Versammlungsrechts nicht durch die Politik, sondern durch die Verwaltungs- und Verfassungsgerichtsbarkeit entschieden werden.“ In der Vergangenheit sei von den Gerichten im Zweifel immer der Versammlungsfreiheit der Vorrang gegeben worden.

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