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Nachruf auf Henning Schaller: Der macht das!
Man kann ihn als Helden feiern, als Revolutionär. Lustig eigentlich, denn vor allem war er ein Glückskind.
Stand:
Seine kleinste Bühne hat er nicht entworfen. Für Entwürfe ist in einer Revolution selten Zeit. Er hat sie schnell zusammengenagelt auf der Pritsche eines Lastkraftwagens. Und er ist, was er davor und danach so gut wie nie tat, auch noch heraufgeklettert auf die Bühne. Vor ihm standen Hunderttausende, die den Atem anhielten, frenetisch klatschten, Buh riefen und wussten, dass sie Geschichte schrieben.
Henning Schaller war nicht ganz unbeteiligt am Zustandekommen dieses revolutionären Moments. Man könnte ihn deshalb als Helden feiern, als Revolutionär. Und das ist ein bisschen lustig, denn vor allem war er doch ein Glückskind, dem es unverschämt gut ergangen war in diesem Land, dem sie hier und jetzt, auf dem Alexanderplatz am 4. November 1989, eher unbewusst, den Todesstoß versetzten.
Gut, der Vater in Altenburg war ein strenger Knochen, der Unbotmäßigkeit nicht duldete, und Henning als mittleres von drei Geschwistern war weder dessen Liebling noch der der Mutter. Dafür hat der Vater ihn zum Basteln und Zeichnen gebracht. Denn er, der Vater, hatte nach dem Krieg viel Zeit dafür. Weil er in der NSDAP gewesen war, durfte er zunächst die Tanzschule nicht mehr fortführen – das tat die Mutter umso tatkräftiger. Und Vater und Sohn verbrachten Stunde um Stunde im Bastelraum.
Hennings Bruder wurde Tänzer, die Schwester Sängerin. Dass auch er etwas mit der Bühnenkunst zu tun haben würde, verstand sich von selbst.
Die Kurzhaarige aus der Hauptstadt
Ein weiteres Glück, vielleicht das größte, widerfuhr ihm an der Kunsthochschule Weißensee. Da traf er Irena, sie studierte Formgestaltung, er Bühnenbild. Seine Eltern waren nicht sehr begeistert von der Kurzhaarigen aus der Hauptstadt; immerhin kam sie aus einem Professorenhaushalt. Hennings Perspektiven aber weitete sie immens. Die beiden ermöglichten einander jegliche Entfaltung. Ihre Kunst war angewandte Kunst: Wer so etwas tut, der fügt sich ein, der schaut, was passt und funktioniert. Für Egomanen ist das nichts.
Nun war die DDR – das könnte man als Unglück deuten – kein Ort, in dem man unbehelligt, jenseits aller Politik vor sich hinleben konnte. Man musste sich einfügen, so oder so. Dass Henning Schaller das trotz tollster Privilegien ohne Gesichtsverlust gelang, wie anders sollte man das deuten denn als Schicksalsgnade.
Sein Metier, Theaterausstattung und Bühnenbild, war gleichermaßen anspruchsvoll wie unverdächtig. Bekenntnisse ablegen, Schwüre leisten mussten Autoren und Regisseure. Hinzu kam, dass Henning Schaller das Metier so gut beherrschte wie wenig andere. Da mochte sein wenig liebevoller Vater eine Rolle gespielt haben. Genaues, hochpenibles Arbeiten hat er dem Sohn eingebläut, und der Sohn, auch wenn er das kaum eingestanden hätte, wollte seinen Vater stolz machen – er, der, anders als die Geschwister, nicht auf der Bühne stand.
Privilegien – ein Wort, dem oft ein Vorwurf innewohnt: Dafür muss man doch was tun, sich den Herrschenden, Verteilenden andienen. Er sah dafür keinen Anlass. Im Gegensatz zu seinem Vater – früher NSDAP, dann CDU der DDR – genügte Henning Schaller die Mitgliedschaft im Künstlerverband vollauf.
In die große Wohnung in Pankow baute er selbst die Heizung ein – bei deren Beschaffung ihm sein Schwiegervater half. Die Zeitschriften aus dem Westen bekam er von seinem guten Freund, einem westdeutschen Ost-Berlin-Korrespondenten. Diese Freundschaft half auch in anderer Hinsicht: Die Stasi wusste über Henning Schaller gut Bescheid, weil sie über alle Korrespondentenfreunde gut Bescheid wusste. Ihr war klar, dass es bei dem gar keinen Sinn hatte, eine Zusammenarbeit anzuregen.
So kämpferisch, wie ihm das kaum jemand zugetraut hätte
Und dann die Reisen in die Welt, für viele im Mauerland die größte Sehnsucht, unerfüllbar. Den Bühnenbildner ließ die DDR hinaus, in die Schweiz, die Niederlande, die Bundesrepublik, je nachdem, wo er Bühnen bilden sollte für Westgeld, von dem die DDR einen guten Teil abbekam. Sogar seine Frau durfte er mitnehmen, als er vorgab, sie sei für die Kostüme zuständig. 1988 durften sie mitsamt der beiden Kinder mal in die Niederlande. Da blieb kein familiäres Unterpfand zurück wie sonst üblich. Waren die entscheidenden Genossen wirklich so einfühlsam, dass sie sich auf die Heimattreue der gar nicht staatstreuen Schallers verließen? Ahnten sie, dass Henning Schaller erst Fluchtgedanken entwickeln würde, wenn sie ihn nicht reisen ließen? Geheimnisse des Willkürstaates.
Dass es ein solcher war, dass die Freiheiten, die er selbst genoss, alles andere als selbstverständlich waren, dass das Land in Agonie zerbröselte und dringend etwas geschehen musste, das sah er selbstverständlich. Und als plötzlich was geschah, die Fluchten des Sommers ‘89, die Demonstrationen des Herbstes in Leipzig, die Umbauten im SED-Politbüro – da war das sein Moment. Hunderte Theaterleute trafen sich am 15. Oktober und berieten, was sie tun könnten. Da stand er auf und rief so kämpferisch, wie ihm kaum jemand das zugetraut hätte: „Es geht hier nicht um Kosmetik, sondern um befreiende Schritte. Wir brauchen radikale Formen, revolutionäre Veränderung!“
Als sie schließlich die Demonstration vom 4. November auf dem Alexanderplatz beschlossen, ernannten sie ihn kurzerhand zum Moderator: Der Schaller macht das!
Er hat also die kleine Bühne zusammengezimmert, ist selbst draufgestiegen und hat die Redner angesagt und Besonnenheit angemahnt. Ein Held, ein Revolutionär? Jedenfalls sah er ein bisschen so aus, abgemagert, blass. Was allerdings weniger am Revolutionsstress lag als an einem Magenleiden, dessentwegen er kurz davor operiert worden war.
Ein Glückskind blieb er. Als die Landsleute seines Alters, Mitte 40, sich vollkommen neu zu orientieren hatten, als ihre alte Welt zusammenbrach und die neue Anpassung und Umstellung einforderte, blieb ihm sein Metier erhalten. Am Gorki-Theater, wo er seit 1980 arbeitete, blieb er noch drei Jahre, dann wurde er Professor für Bühnenbild in Dresden.
Richard von Weizsäcker steckte ihm das Verdienstkreuz an; das Vaterland braucht Helden. Er fand das lustig und war bestimmt auch geschmeichelt. Wirklich stolz auf die Angelegenheit war sein Vater in Altenburg.
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