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Neuköllner Büchertaxi bittet um Hilfe: „Für viele Kinder ist es das einzige Geschenk, das sie an Weihnachten erhalten“
Mit seiner Ape will ein Neuköllner Verein regelmäßig Schulen, Kitas und Flüchtlingsunterkünfte mit Bücherspenden versorgen. Doch das Fahrzeug muss dringend repariert werden.
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Joel Mena-Gapar nestelt an seinem wallenden weißen Vollbart, bis der endlich festsitzt. Keine Sekunde zu früh. Im nächsten Moment streckt ihm schon ein siebenjähriger arabischer Junge die Hand durchs offene Fenster entgegen und verkündet: „Hallo Nikolaus.“ Der Nikolaus sitzt noch hinterm Lenkrad.
Zehn Sekunden später hat sich Mena-Gapar aus seiner Ape gezwängt, dem italienischen Kleintransporter mit drei Rädern, und steht mit rotem Mantel und roter Mütze vor 50 aufgeregten Jungen und Mädchen. Sie sind auf den Hof einer Flüchtlingsunterkunft am Kiehlufer in Berlin-Neukölln gerannt, nachdem sie den knatternden Motor des Büchertaxis gehört haben.
Sie wissen, dass der Nikolaus jetzt Geschenke verteilt, man hat sie vorher informiert. Mena-Gapar gehört zum Neuköllner Verein „Büchertisch“, mit zwei weiteren Vereinsmitgliedern verteilt er Tüten, gefüllt mit Büchern, dazu noch Malstiften, kleinen Spielen, Puzzle-Boxen oder Malbüchern.
Die Ape muss dringend repariert werden
Kinder und Jugendliche zum Lesen animieren, ihnen zeigen, wie sehr Bücher Spaß machen können, dafür arbeiten fast 50 Ehrenamtler des Vereins.

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Fast 130 Bücher hat der Nikolaus im Stauraum der Ape gelagert, viele Kinder sind ja nicht auf dem Hof, sondern warten noch in der Unterkunft. Mobile Vereinsarbeit ist Teil des Büchertisch-Projekts.
Doch die Ape muss dringend repariert werden. Das Dach ist undicht, außerdem haben die Holzregale Schimmel angesetzt. Deshalb bittet der Büchertisch um Mittel der Tagesspiegel-Spendenaktion.
Wir wollen vor allem Kindern aus bildungsfernen Familien, aber auch anderen Akteuren im Neuköllner Kiez Freude am Lesen vermitteln.
Büchertisch-Geschäftsführerin Cornelia Temesvari
Die Ape kann in diesem Jahr nur zweimal genutzt werden. Am 10. Dezember knattert das Vehikel noch in die Mörike-Schule in Neukölln. Zwei Einsätze, das ist dem Verein zu wenig, die Ape soll möglichst jeden Monat Kitas, Schulen oder Flüchtlingsunterkünfte anfahren, das ist der große Wunsch des Vereins.
„Wir wollen vor allem Kindern aus bildungsfernen Familien, aber auch anderen Akteuren im Neuköllner Kiez Freude am Lesen vermitteln und gleichzeitig Lese- und Schreibkompetenz fördern“, sagt Cornelia Temesvari, die Geschäftsführerin des Büchertischs.
Der Verein betreibt Kinder- und Jugendarbeit
In der Hauptstelle des Vereins in der Nähe der Karl-Marx-Straße lagern 50.000 Bücher für alle Altersklassen, sehr viele davon Kinder- und Jugendbücher, alle gespendet.
Die Zentrale liegt in einem Hinterhof, hier findet die meiste Kinder- und Jugendarbeit statt. Mit einem Bilderbuch-Kino zum Beispiel. Dabei wird ein Foto auf eine große Leinwand geworfen, zu dem dann Geschichten erzählt werden. Oder es gibt kleine Theateraufführungen. Auch dabei sehen die jungen Besucher Bilder, über die man sich gemeinsam unterhält. Und natürlich erhält jedes Kind und jeder Jugendliche auch ein altersgerechtes Buch geschenkt. Insgesamt 38.000 Bücher hat der Büchertisch im vergangenen Jahr ausgegeben.

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Die mobile Arbeit ergänzt die stationäre Betreuung. Gerade zur Weihnachtszeit ist der Einsatz der Ape enorm wichtig. „Für viele Kinder ist es das einzige Geschenk, das sie an Weihnachten erhalten“, sagt Cornelia Temesvari.
Viele Kinder am Kiehlufer kennen die Ape schon, der Nikolaus hatte hier bereits 2023 Tüten verteilt. Die Begeisterung der Kinder war damals so groß, dass der Verein jetzt wiederkam. Die Mörike-Schule dagegen ist neu als Anlaufpunkt, die Schulleitung hatte um einen Besuch gebeten.
Seit Dezember 2021 ist die Ape auf der Straße, Corona ist der Grund dafür. Während der Pandemie konnte stationäre Betreuung nicht mehr stattfinden. „Also haben wir uns gesagt, jetzt müssen die Bücher zu den Kindern kommen“, sagt Cornelia Temesvari.
Vor allem ukrainische Bücher sind gefragt
Die jeweilige Leitung der Einrichtung teilt dem Verein vorab die Zahl der Kinder und die Sprachen mit, die in der Unterkunft geredet werden. Allerdings stößt der Büchertisch hier schnell an Grenzen. Vor allem ukrainische Bücher werden nachgefragt, aber die gewünschte Literatur ist nur selten unter den gespendeten Büchern. Ans Kiehlufer hat der Nikolaus deshalb auch Bilderbücher gebracht.
Gut, es sind fast nur deutsche Bücher, aber mit denen fördert der Verein die Deutschkenntnisse, und die sind für eine gelungene Integration unverzichtbar. Der Verein will ja auch Eltern zur Sprachförderung ihrer Kinder motivieren und sie gleichzeitig dazu animieren, ihre eigenen Deutschkenntnisse zu verbessern. Der Verein arbeitet auch mit Stadtteilmüttern, die sind in der täglichen Arbeit eine große Hilfe.
Am Kiehlufer begutachten die Kinder sofort ihre Tüten, viele präsentieren freudestrahlend ihre Geschenke. Und zu seiner Verblüffung trifft Joel Mena-Gapar sogar einen Kollegen. Ein Elfjähriger in einem Anorak mit Tarnmuster streckt ihm die Hand entgegen. „Hallo“, sagt der arabische Junge, „Ich bin auch ein Nikolaus.“
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