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Stadtverkehr in Berlin.

© Michael Kappeler/dpa

Berufsverkehr in Berlin: "Oft hilft nur umdrehen und das Fahrrad holen"

Per S-Bahn, per Rad oder auch per Flieger: Fünf Tagesspiegel-Redakteure berichten von ihrem täglichen Weg zur Arbeit, der selten stressfrei verläuft.

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Von Japan nach Köpenick

Wenn alles wie am Schnürchen läuft, schafft man es vom Waldrand in Köpenick zum Askanischen Platz in Kreuzberg in 56 Minuten. Aber das ist nicht so oft der Fall und außerdem ist damit nicht gesagt, in welchem Zustand man ankommt. Wenn man Pech hat, trifft man schon auf der ersten Etappe in der Tram 62 oder 63 Schülergruppen.

Die verdoppeln bis verdreifachen ihren Flächenverbrauch im Waggon, da sie in der Regel noch nicht gelernt haben, dass man Riesenranzen vom Rücken auch abschnallen kann. Und da sie ja auch noch nach vorn gebeugt auf dem Smartphone daddeln müssen, passen so natürlich kaum noch andere Fahrgäste in die Tram. Da hilft oft nur umdrehen und das Fahrrad holen.

Am S-Bahnhof Köpenick angekommen ist es dann aber wirklich kein Kindergeburtstag mehr: Die S3 sollte man umtaufen zur „Mita-Linie“, wie die ebenfalls dunkelblaue Strecke der Tokioter U-Bahn. Statt von Erker nach Spandau fühlt es sich oft an wie zwischen Nishi-Takashimadaira und Endstation Meguro. Fehlen eigentlich nur die „Drücker“, die Oshiyas, robuste Herren in Uniform, die immer noch ein paar Fahrgäste mehr in die Waggons quetschen.

S3-Pendelprofis fahren in Köpenick zunächst ein oder zwei Stationen stadtauswärts nach Hirschgarten oder Friedrichshagen, in der Hoffnung, dass sie nach dem Wechsel in den Zug gen Mitte schon mal einen Sitzplatz ergattern – bevor die Gruppen in Köpenick zusteigen.

Warum auf der Strecke nicht mehr Züge eingesetzt werden, bleibt ein Rätsel. Hat sicher was mit Geld zu tun. Oder liegt es daran, dass zumindest der östliche Abschnitt der S3 bei den Zugführern nicht so beliebt ist, wie mal einer erklärte? Der Abschnitt sei ermüdend langweilig, da längere Teilstrecken hinter blickdichten Lärmschutzwänden eingezäunt sind. Für Fahrgäste gibt es wenig Langeweile, dafür viele Krampfadern.

Erlösung dann beim Umstieg am Bahnhof Friedrichstraße, wo aber so viele Touristen das bewährte Rolltreppenprinzip „Rechts stehen, links gehen“ nicht kennen. Aber das ist noch mal ein Thema für sich. Kevin P. Hoffmann

Stau und Glauben

Glauben die Autofahrer das wirklich? Glauben die, dass der Stau heute eine Ausnahme ist? Glauben die, die da alleine in ihren Autos sitzen, wirklich, wenn sie morgen wieder mit dem Auto kommen, geht’s schneller? Glauben die da in den Autoschlangen auf den Einfallstraßen Richtung Innenstadt, dass sie ausgerechnet heute zur falschen Zeit losgefahren sind und es zehn Minuten später viel besser gewesen wäre?

Und glauben sie es abends auch, wenn sie auf den Ausfallstraßen Richtung Zuhause wieder im Stau stehen? Glauben sie wirklich, dass es sich ja nur heute so staut, weil es ein bisschen regnet? Glauben die Autofahrer wirklich, dass wir noch mehr Autostraßen brauchen? Glauben Autofahrer wirklich, dass Autofahren praktisch ist? Glauben die Autofahrer, dass das alles ganz normal ist? Ja, tun sie. Morgen sind alle wieder da. Im Stau. Lutz Haverkamp

Der glückliche Pendler

Ich nenne es den „Korridor“: die Bahnstrecke, die Berlin von Süden kommend bis Potsdamer Platz durchzieht. Praktischerweise liegt meine Wohnung direkt hier. Entspannter pendeln geht kaum. Der Einstieg erfolgt bei den knallroten Häusern am Lokdepot, dann 12 Minuten mit dem Fahrrad, immer die Gleise entlang – der Bus darf gerne ohne mich nicht kommen. Einmal durch den neuen Flaschenhalspark und den Park am Gleisdreieck.

„Park“ ist sowieso eine Untertreibung, das Areal ist viel mehr, nämlich Erlebnisraum und Spielplatz für alle. Hier hat gute Planung mal wirklich funktioniert. Dann noch über den Landwehrkanal, ein ritueller kurzer Blick nach rechts auf die Morgensonne, die jeden Tag anders auf dem Wasser tanzt. Ergebnis: Man kommt fast immer gut gelaunt an. Blöd nur – wie immer beim Radfahren –, wenn es regnet. Dann zum S-Bahnhof Yorckstraße und eine Station bis Tagesspiegel. Züge kommen oft, gefühlt alle drei Minuten (am Bahnsteig von S2/S25, nicht S1!). Fahrt dauert zwei Minuten. Läuft. Udo Badelt

Pendlen per Flieger

Am angenehmsten ist es früh morgens in der S1. Die Leute, die aus Zehlendorf kommen, sind alle frisch geduscht, die verschiedensten Parfums wabern durch den Waggon. Es ist sehr eng, aber da alle diskret in sich gekehrt sind, herrscht eine angenehme Atmosphäre. Unangenehmer ist es, wenn die Arbeit später anfängt und einige Leute wach geworden sind, die dann andere Fahrgäste belästigen. Obwohl viel weniger Leute im Waggon sind, riecht es dann deutlich strenger.

Was aber auch nicht so schlimm ist. Wir meckern auf hohem Niveau. Wer montags mit dem Flieger zur Arbeit nach Berlin kommt, dem könnte auffallen, dass das Personal auf den Flughäfen und im Flieger ausgesprochen freundlich ist, obwohl die Kunden das gar nicht verdient haben. Die sind oft ziemlich bräsig. Es geht nicht voran in der Schlange. Das liegt nicht am Personal, na ja, manchmal schon, aber es liegt vor allem an den Kunden, am Verbraucher, der einfach nicht vorankommt mit seinen Sachen.

Viele brauchen eine Sonderaufforderung, bis sie ihr Zeug auf das Band am Security-Check legen. Brauchen eine zweite Aufforderung, um ihre Flüssigkeiten aus dem Rucksack zu holen und noch mal eine, um das Tablet rauszuholen und die Hosentaschen zu leeren. Und der nächste dahinter guckt sich das an, kommt aber nicht auf die Idee, langsam selber mal seinen Kram aufzuschnüren.

Auch im Flieger geht es einfach nicht voran, weil irgendeiner einen Sonderwunsch hat und die Stewardess damit beschäftigt, der ganze Laden wird aufgehalten. Vielleicht würde es helfen, wenn das Personal etwas verbindlicher wäre, nicht unfreundlich, unverschämt oder gewalttätig, so weit sollte es nicht gehen, aber vielleicht etwas strenger und unerbittlicher?

Aber die Angst vor dem Kunden und den Verbraucherzentralen führt bei dem bemitleidenswerten Personal zu einer Unterwürfigkeit, die völlig fehl am Platze ist. Schlimm sind umgekehrt aber auch diejenigen Fluggäste, die fix, aber immer ungeduldig sind und sich über die bräsigen Vordermänner aufregen, mit den Augen rollen und eine unmögliche Atmosphäre verbreiten.

Aber auch die werden notorisch freundlich behandelt, obwohl sie es überhaupt nicht verdient haben. Die Welt ist ungerecht. Und wenn dann dem zwangsfreundlichen Personal irgendwann doch der Kragen platzt und ein renitenter Passagier gewaltsam rausgeschleift wird, trumpft die Internationale der Verbraucher wieder auf und beklagt, dass der kleine Mann schlecht behandelt wird. Andreas Oswald

Profis unter sich

Meistens wird die Sache per Hechtsprung ausgetragen. Profi-Pendler in der stets übervollen S5 erkennen einander daran, dass auch der andere in Lauerposition geht, sobald – etwa vor dem Ostbahnhof – eine der Sitzenden beginnt, Jacke und Tasche zusammenzuraffen.

Wird tatsächlich ein Platz frei, ist die Frage, wie viel die eigenen guten Manieren zählen – und wie dringend der Wunsch ist, nicht schon völlig abgekämpft bei der Arbeit anzukommen. Die Antwort? Ziemlich oft der Hechtsprung. Karin Christmann

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