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Aufgeheizte Stimmung vor dem Kanzleramt.

© Martin Niewendick

Kundgebungen für und gegen Israel im Regierungsviertel: "Der Stein gehört zu Palästina wie die Eiche zu Deutschland!"

Bei der Kundgebung von Israel-Gegnern geraten zwei pro-palästinensische Gruppen aneinander. Ein Piratenpolitiker kritisiert antisemitische Parolen.

Bereits nach einer Viertelstunde kommt es zur Spaltung. Eine Gruppe von rund zwanzig Personen, angeführt von dem palästinensischen Aktivisten Fuad Afane, stößt zu der Demonstration gegen den "israelischen Staatsterror" hinzu. Die meist jungen Leute skandieren lauthals Parolen auf arabisch. Weil er "Tod den Juden" gehört haben will, distanziert sich der Veranstalter Raif Hussein sogleich von der Gruppe und bittet die Polizei um Hilfe. Diese entfernt einen jungen Mann von der Veranstaltung. Nun stehen zwei propalästinensische Gruppen vor dem Kanzleramt und zeigen ihre Solidarität mit der "dritten Intifada", wie die aktuelle Serie von Angriffen von Palästinensern gegen Juden in Israel genannt wird. Die rund einhundert Menschen verurteilen die Reaktion der israelischen Sicherheitskräfte auf die Terroranschläge und rufen "Viva Palästina, Viva Intifada!" "Israel verbrennt Babys", ruft Afane.

"Ich möchte ein Zeichen gegen Israelhass setzen"

Einige hundert Meter weiter finden sich rund 80 Menschen zu Gegenprotesten ein. Von einem Lautsprecherwagen dröhnt Techno-Musik, zahlreiche Israel-Fahnen wehen im rauhen Herbstwind. "Ich bin hier, weil ich meine Solidarität mit Israel zeigen möchte", sagt Sercan Aydilek. Der 24-Jährige spricht von einem grassierenden Antisemitismus in der deutschen Zivilgesellschaft, dem es sich entgegen zu stellen gelte. Die Anti-Israel-Kundgebung ärgert ihn: "Diese Leute vertreten islamofaschistische Positionen."

Auch Dorothee B. ist zu der Gegenkundgebung gekommen. "Ich finde es ein Unding, dass dort drüben eine Demo stattfindet, die die sogenannte dritte Intifada verherrlicht", sagt die 50-Jährige. "Bei den Angriffen werden viele Israelis verletzt und zum Teil getötet. Dagegen möchte ich ein Zeichen setzen."

Veranstalter Raif Hussein (links) und Aktivist Afane liefern sich Wortgefechte.
Veranstalter Raif Hussein (links) und Aktivist Afane liefern sich Wortgefechte.

© Martin Niewendick

Bei den Palästina-Unterstützern gibt es ein Problem. Weil nun zwei Gruppen parallel demonstrieren, versuchen die einen, die anderen mit ihren Redebeiträgen zu übertönen. Es kommt zum offenen Streit zwischen Veranstalter Raif Hussein und dem Aktivisten Afane. Schmähungen werden ausgetauscht. Nach einigen Deeskalationsversuchen seitens des überfordert wirkenden Hussein beruhigt sich die Lage wieder. Die Polizei schaut aufmerksam zu. Sie wird noch einige Male eingreifen müssen um den aufbrausenden Afane zur Ordnung zu rufen.

Annette Groth: "Deutschland muss Druck auf Israel ausüben"

Im Vorfeld der Kundgebung gab es Kritik an dem Aufruf, wegen der Solidaritätsbekundung mit der "Intifada" und wegen dem Steinewerfer, der auf dem Plakat abgebildet ist. Der Grünen-Politiker Volker Beck appellierte an Innensenator Henkel (CDU), die Veranstaltung nicht zu genehmigen. Er sprach von einem möglichen Aufruf zu einer Straftat.

Das Logo sei nur ein Symbol, sagt Raif Hussein dem Tagesspiegel. "Der Stein gehört zu Palästina wie die Eiche zu Deutschland!" Einige Meter entfernt steht die Bundestagsabgeordnete der Linken, Annette Groth, und schaut konsterniert auf die zerstrittenen Gruppen. Sie kann die Wut der Menschen verstehen. "Es gibt ja keinen Aufschrei in der Welt angesichts der Situation in Israel und Palästina", sagt sie. Die jungen Palästinenser seien wegen der israelischen Besatzung "absolut frustriert". "Stellen sie sich mal vor sie werfen einen Stein, und dann kann ich sie abknallen." Die Messerangriffe verurteile sie aber genauso. Von der deutschen Regierung fordert sie, Druck auf Israel auszuüben. "Dieser Schießbefehl muss weg, wir dürfen keine Waffen mehr liefern und ich denke wir müssen das EU-Assoziierungsabkommen aussetzen." Deutschland mache sich mitschuldig, sagt die Linken-Politikerin, die im Mai 2010 mit an Bord der sogenannten Gaza-Flotille war.

Piratenpolitiker: "Die Polizei ist bei verbotenen Parolen nicht eingeschritten"

Hinter der Polizeiabsperrung, aber in Hörweite, steht Oliver Höfinghoff und beobachtet die Kundgebung. "So friedlich klingt das hier alles nicht", sagt der ehemalige Piratenpolitiker, der Mitglied des Abgeordnetenhauses ist. "Wenn ich hier Slogans höre wie 'Intifada bis zum Sieg' dann ist ziemlich deutlich, dass sie Israel von der Karte auslöschen wollen." Die Vernichtungsdrohungen richteten sich nicht nur gegen Israel, "sondern auch gegen Jüdinnen und Juden weltweit".

Offensichtlich hätten sich die Demonstranten nicht wirklich um die polizeilichen Auflagen zu der Veranstaltung gekümmert. "Eigentlich sind Slogans wie 'Kindermörder Israel' untersagt, ich habe das aber mehrfach selber gehört", sagt er. Die Polizei sei oftmals nicht eingeschritten. Dies müsse nachträglich geklärt werden. Stefan Redlich, Sprecher der Berliner Polizei, weist diese Kritik zurück. Der Slogan "Kindermörder Israel" sei eine Meinungsäußerung, die nicht mit einer Auflage belegt sei. Es habe für die Demonstration zwei Auflagen gegeben: Es durften keine Gegenstände, insbesondere keine Puppen und Fahnen, verbrannt werden. Zudem durften keine Parolen gerufen werden, durch die die Verletzung oder Tötung von Menschen gutgeheißen würde. "Kindermörder Israel" falle nicht unter diese Auflage - anders als beispielsweise "Tod Israel". Gegen die Auflagen habe es kaum Verstöße gegeben, die Polizei habe eine Strafanzeige gefertigt. Nach Angaben der Polizei wurde ein Arabischdolmetscher zum Bundeskanzleramt beordert, um etwaige volksverhetzende Äußerungen ahnden zu können.

Nach eineinhalb Stunden sollte die Palästinenser-Veranstaltung eigentlich vorbei sein. Doch nachdem Veranstalter Hussein seine Kundgebung beendet hat, meldet plötzlich sein Widersacher Afane spontan eine neue Kundgebung an. Ein Beamter rollt genervt mit den Augen: "Ich war eigentlich schon halb zu Hause...". Nach zehn Minuten verlassen dann doch alle den Platz vor dem Kanzleramt. Die Techno-Musik von dem Lautsprecherwagen der Gegenseite ist längst verstummt.

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