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Prozess zu rechten Anschlägen in Berlin-Neukölln: Neonazis wegen Brandstiftung zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt
Im Prozess wegen Brandstiftungen auf Autos politischer Gegner wurden zwei Neuköllner Neonazis zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Das Berliner Landgericht hob damit ein Urteil aus erster Instanz auf.
Stand:
Im Berufungsprozess wegen zweier Brandanschläge in Neukölln und weiterer Straftaten hat das Berliner Landgericht zwei Neonazis zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Das Gericht hob zudem die rechte Gesinnung der Angeklagten hervor. Diese habe für die Taten eine wesentliche Rolle gespielt. „Das waren politische Straftaten“, sagte die Vorsitzende Richterin, Susann Wettley, bei der Urteilsbegründung.
Den früheren NPD-Kader und polizeibekannten Neonazi Sebastian T. verurteilte das Gericht unter anderem wegen zweifacher Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von drei Jahren und sechs Monaten. T. wurde zudem wegen Betrugs in fünfstelliger Höhe, Störung des öffentlichen Friedens, Bedrohung, Beleidigung und Sachbeschädigung in 18 Fällen verurteilt.
Seinen Mitangeklagten, den früheren AfD-Politiker Tilo P., verurteilte das Gericht ebenfalls wegen zweifacher Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten. Den Haftbefehl gegen ihn, den die Staatsanwaltschaft wegen einer fehlenden Wohnanschrift und Fluchtgefahr beantragt hatte, lehnte das Gericht ab. Da das Urteil noch nichts rechtskräftig ist, bleiben beide bis zur Vollstreckung zunächst auf freiem Fuß.
Das Gericht hebt mit dem Urteil einen Richtspruch aus erster Instanz auf. Das Amtsgericht hatte die beiden Angeklagten mit Blick auf die Brandstiftungen im Februar 2023 freigesprochen.
Der mehrfach einschlägig vorbestrafte Sebastian T. war damals wegen der übrigen Anklagepunkte zu einer Haftstrafe in Höhe von eineinhalb Jahren ohne Bewährung verurteilt worden, gegen Tilo P. hatte das Amtsgericht eine Geldstrafe in Höhe von 150 Tagessätzen zu je 30 Euro verhängt. Gegen das Urteil hatten sowohl die Generalstaatsanwaltschaft als auch die Verteidiger Berufung eingelegt.
Führt man die Indizien zusammen, besteht kein Zweifel daran, dass die Taten wie festgestellt begangen wurden.
Vorsitzende Richterin Wettley bei der Urteilsbegründung
Was die Hauptanklagepunkte der Brandstiftung angeht, begründete die Richterin ihre Entscheidung damit, dass es auch ohne unmittelbare Tatzeugen eine Reihe objektiver Beweismittel gebe, vor allem aus abgehörten Chats, Telefonaten und persönlichen Äußerungen der Angeklagten. „Führt man die Indizien zusammen, besteht kein Zweifel daran, dass die Taten wie festgestellt begangen wurden“, sagte Richterin Wettley bei der Urteilsbegründung am Donnerstag.
Mit Blick auf rechtsextreme Sticker und Plakate hob die Richterin das Urteil des Amtsgerichts aus der ersten Instanz teilweise auf, weil die Urheberschaft und auch der Tatbestand der Sachbeschädigung nicht immer klar nachweisbar gewesen sei.
Auch das ursprünglich verurteilte Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verneinte das Gericht in mehreren Fällen. In den übrigen Anklagepunkten der Sachbeschädigungen, gesprühten Morddrohungen und den Betrugsdelikten folgte das Landgericht weitgehend dem Urteil des Amtsgerichts.
Staatsanwältin forderte Haftbefehl für Tilo P.
Im Berufungsprozess hatte die Generalstaatsanwaltschaft für die beiden Hauptangeklagten mehrjährige Haftstrafen gefordert. Für Sebastian T. forderte die Generalstaatsanwaltschaft eine Haftstrafe in Höhe von vier Jahren. Der Prozess habe belegt, dass T. die Autos des Linken-Politikers Ferat Koçak sowie des Buchhändlers Heinz Ostermann in der Nacht zum 1. Februar 2018 in Brand gesetzt habe, sagte eine der beiden Staatsanwältinnen in ihrem Plädoyer.
Für Tilo P. hatte die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe in Höhe von drei Jahren und sieben Monaten gefordert. Zudem beantragte sie die Ausstellung eines Haftbefehls, da P. im Gegensatz zu T. keine feste Wohnanschrift vorweisen könne und damit eine positive Sozialprognose fehle. Außerdem bestehe Fluchtgefahr.
Die Beweislage ist so eindeutig, dass eine Verurteilung unausweichlich ist.
Lukas Theune, Nebenklagevertreter
P. hat nach Auffassung des Gerichts bei den beiden angeklagten Brandstiftungen Schmiere gestanden. Allerdings verurteilte das Gericht beide Angeklagte wegen gemeinschaftlicher Delikte: „Das Anzünden ist ohne das Schmierestehen nicht zu denken“, sagte Wettley.
Die Staatsanwaltschaft hatte beantragt, die Strafen für die angeklagten Delikte mit einer Strafe aus einem Urteil wegen einer rassistischen Attacke auf einen Taxifahrer zusammenzuführen. Dem folgte das Gericht.
Zur Begründung führten die beiden Staatsanwältinnen aus, dass es zwar keine Zeug:innen oder objektiven Beweise für die Brandstiftungen gebe. Allerdings gebe es unzählige Indizien: Unter anderem habe der Angeklagte P. mehrfach gegenüber Polizisten geäußert, dass ja „jeder weiß, wer die Brände legt, man kann es T. nur nicht beweisen“.

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In mehreren abgehörten Telefonaten äußerte P., er habe „nur Schmiere gestanden“ und er wolle „T. nicht in die Pfanne hauen“. Zudem sei ausführlich dokumentiert, dass die beiden Angeklagten insbesondere den Betroffenen Koçak intensiv ausgespäht und verfolgt hatten.
Der Vertreter der Nebenklage, Lukas Theune, stellte keine eigene Forderung für ein Strafmaß. „Die Beweislage ist so eindeutig, dass eine Verurteilung unausweichlich ist“, sagte er in seinem Plädoyer. Das Urteil des Berliner Amtsgerichts bezeichnete er als „eindeutig rechtsfehlerhaft“. Zu den Äußerungen P.s gegenüber Polizeibeamten sagte Theune: „Wie viele Geständnisse will das Gericht denn noch?“
Selbst wenn man die Brandstiftungen nicht konkret beweisen könnte, hätten T. und P. durch ihre umfassenden Ausspähversuche aus seiner Sicht zumindest einen konkreten Tatbeitrag für einen dann „ominösen Dritten“ geleistet, erklärte Theune.
Verteidigung forderte Freisprüche
„Aber wie wahrscheinlich ist es, dass sich zwei Rechtsextremisten – von den wenigen, die es da überhaupt gibt – über ein Jahr hinweg nachweislich äußerst intensiv mit den beiden Betroffenen beschäftigen und dann rein zufällig kurz darauf jemand anderes kommt und exakt das gleiche Auto anzündet?“, sagte Theune weiter.
Die Anwälte der Angeklagten hatten Freisprüche für ihre Mandanten beantragt. Sie beriefen sich im Wesentlichen darauf, dass es deutliche Zweifel an der Täterschaft ihrer Mandaten gebe und auch alternative Täter infrage kämen.
Mirko Röder, Anwalt von P., sagte, man prüfe, in Revision zu gehen. „Das war ein reiner Indizienprozess. Das hat auch die Kammer anerkannt. Aber sie hat eine Mittäterschaft für meinen Mandanten angenommen. Das Narrativ der Kammer lautet, dass die Tatbeiträge beider Angeklagten gleichwertig sind. Das bezweifeln wir. Wenn man der Tatsachendarstellung der Kammer folgt, dann wäre für meinen Mandanten allenfalls eine Beihilfe zu bejahen.“ Gleichwohl sei der Nichterlass eines Haftbefehls „verhältnismäßig und richtig“.

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Auch der Betroffene und Nebenkläger Koçak äußerte sich vor Gericht. „Ich sehe jeden Tag, wie dieser Anschlag uns Stück für Stück unser Leben nimmt“, sagte er. Er wünsche es niemandem, die eigenen Eltern in dieser Situation sehen zu müssen. Sein Auto hatte direkt an der Hauswand seines Elternhauses gebrannt, das Feuer hätte vielleicht auf das Haus übergreifen können.
Ich bin ein Gefangener dieser Nacht.
Ferat Koçak, Linken-Abgeordneter und Betroffener eines Brandanschlags
Er bekomme die Bilder nicht aus dem Kopf und die Tatsache, dass seine Eltern bei dem Anschlag hätten sterben können. Die Auswirkungen seien weiter gravierend, sagte Koçak weiter. So habe seine Mutter aus der Belastung heraus drei Wochen später einen Herzinfarkt erlitten.
„Weder mein Vater noch meine Mutter haben sich von diesem Anschlag erholt, die Angst bestimmt ihr Leben“, sagte Koçak unter Tränen im Gericht. Er habe bis heute das Gefühl, seine Eltern schützen zu müssen. „Ich bin ein Gefangener dieser Nacht“, sagte er merklich mitgenommen.
Die beiden Anschläge auf die Autos von Koçak und Ostermann gelten als trauriger Höhepunkt einer Anschlagsserie insbesondere in Süd-Neukölln. Insgesamt rechnen die Behörden der Serie mindestens 72 Straftaten zu, darunter weitere Brandanschläge, Morddrohungen und andere Einschüchterungsversuche.
Korrekturhinweis: Nach einer korrigierten Mitteilung des Gerichts haben wir die Meldung leicht angepasst.
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